Gewerkschafter aus Ost und West erklären:

Arbeiten ohne Grenzen?

Grenzüberschreitende Arbeitsaufnahme ist genehmigungspflichtig - Deutschtümelei missachtet Recht und soziale Sicherheit

Wochenlang ist in der Öffentlichkeit behauptet worden, es gäbe keine rechtliche Handhabe, um die Aufnahme von Arbeitsverhältnissen durch DDR-Bürger in Westberlin und im Bundesgebiet zu unterbinden. Der Berliner Arbeitgeberverband stellte die Rechtslage in einem Rundschreiben so dar, dass dies einer Aufforderung gleichkam, DDR-Bürgern kurzfristig Beschäftigungsverhältnisse anzubieten: "DDR-Bürger sind Deutsche im Sinne des Grundgesetzes. Sie bedürfen keiner Arbeitserlaubnis." (ZBA-Rundschreiben vom 16. November 1989).

Dabei würde eine Entwicklung in Gang gesetzt, die weder im Interesse der Einwohner von Berlin (West) noch im Interesse der Einwohner der DDR liegen kann: Die DDR blutet aus und der Arbeitsmarkt in Berlin (West) gerät vollständig aus den Fugen. Tarifbestimmungen werden unterlaufen, ungeschützte Beschäftigungsverhältnisse und Arbeitslosigkeit nehmen zu bei jetzt schon über 90 000 offiziell registrierten Arbeitslosen.

Nun stellt sich heraus: Unter dem Motto "Wir sind alle Deutsche" wurde nicht nur sozialer Sprengstoff gelegt, sondern in Westberlin und der BRD und auch in der DDR Rechtsbruch praktiziert. Die Unternehmerverbände empfahlen durch falsche Schilderung der Rechtslage den Rechtsverstoß, die Landesarbeitsämter handelten rechtswidrig und der Senat duldete dies. Während man vorgab, nicht das Recht zu haben, um verschärfte soziale Spannungen zu vermeiden, wurde ständig gegen eben dieses Recht verstoßen. Es geht um die Genehmigungspflicht für die Aufnahme von Arbeitsverhältnissen von DDR-Bürgern in Westberlin bzw. in der Bundesrepublik auf Grund der alliierten Devisenbewirtschaftungsgesetze, VO 500 für Berlin (West) und MRG 53 bzw. VO 253 für die Bundesrepublik. Dabei handelt es sich nicht um verstaubte Bestimmungen, sondern es geht um die ständig gebrauchten Rechtsgrundlagen des innerdeutschen Wirtschafts- und Zahlungsverkehrs (siehe Merkblatt der Deutschen Bundesbank über den innerdeutschen Zahlungsverkehr - Stand Januar 1989). Das dort verankerte Verbotsprinzip mit Erlaubnisvorbehalt ist zwar für viele deutsch-deutsche wirtschaftliche Aktivitäten liberalisiert worden, die Arbeitsaufnahme von DDR-Bürgern in Westberlin oder der Bundesrepublik ist aber auch heute noch genehmigungspflichtig.

Für DDR-Bürger gilt der Beschluss "Zur Erhöhung von Ordnung und Disziplin sowie zur Durchsetzung einer straffen Kontrolle bei Leistung zusätzlicher Arbeit" vom 14. August 1975 (GBI. I/1975 Nr. 35 S. 631), in dem festgelegt ist, welche freiwillig bezahlte Tätigkeiten von Werktätigen außerhalb des bestehenden Arbeitsrechtsverhältnisses zulässig sind.

Wir, als IG-Metall-Mitglieder West, fordern den Westberliner Senat auf, dafür zu sorgen, dass Recht und soziale Sicherheit nicht weiter von Deutschtümelei missachtet werden und die Genehmigungspflicht bei grenzüberschreitender Arbeitsaufnahme wahrgenommen wird. Vor allem aber warnen wir vor Bestrebungen in Bonn, rechtswidriges Handeln von Unternehmern und Behörden dadurch zu legalisieren, dass einfach eine allgemeine Genehmigung für die grenzüberschreitende Arbeitsaufnahme erteilt wird. Damit würde ein Instrument zur Regelung dieser Fragen aus der Hand gegeben. Denkbar wären auch weitere Regelungen im Zusammenhang der angestrebten Vertragsgemeinschaft zwischen der DDR und der Bundesregierung, in jedem Fall allerdings ist nicht Deutschtümelei gefragt, sondern Respektierung der zweistaatlichen Realitäten und dabei insbesondere auch der unter schiedlichen wirtschaftlichen Realitäten.

Wir, als IG-Metall-Mitglieder Ost, fordern sowohl von den betrieblichen Leitungen und Staatsorganen in der DDR als auch von der Bundesregierung und dem Westberliner Senat die hierzu gültigen gesetzlichen Grundlagen der DDR einzuhalten. Nur bei beidseitigem Einverständnis des Westberliner Senats bzw. der Bundesregierung und der DDR wäre eine grenzüberschreitende Arbeitsaufnahme nützlich und wünschenswert, damit in Westberlin ohnehin rare Arbeit nicht weggenommen wird und auf der anderen Seite der DDR nicht auch noch Arbeitskräfte fehlen.

Unterzeichnerinnen:
West

Brigitte Z(...), Betriebsrätin bei Dr. Lange
Karl K(...), Betriebsratsvorsitzender bei Krupp-Stahlbau
Benno H(...), Betriebsrat bei Wema GmbH
Ralf P(...), Jugendbildungsstätte Prisma

Ost
Manfred M(...), Betriebsgewerkschaftsleitungsvorsitzender im VEB Elektroprojekt und Anlagenbau Berlin
Gerd H(...), Abteilungsgewerkschaftsleitungsvorsitzender im VEB Elektroprojekt und Anlagenbau Berlin

Bei Nachfragen wenden Sie sich bitte an
West:
Brigitte Z(...), 1000 Berlin 30
Ost: Manfred M(...), Tel. dienstlich (...)

Berlin, den 4. Januar 1990

aus: Impuls, 2/90, 2. Januar-Ausgabe, 31. Jahrgang, Betriebszeitung im VEB Elektroprojekt und Anlagenbau Berlin, Herausgeber: Betriebsparteiorganisation der SED im VEB Elektroprojekt und Anlagenbau Berlin

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