Wirkungsvolle Gewerkschaftsarbeit ist das Ziel

"Wir Mitarbeiter im VEB Geräte- und Regler Werke 'Wilhelm Pieck' haben beschlossen aus dem FDGB auszutreten und die unabhängige Betriebsgewerkschaft 'Reform' zu gründen."

Ich staunte nicht schlecht, als das am vergangenen Mittwochabend der Potsdamer Jugendpfarrer vor der Babelsberger Friedenskirche über Megaphon verkündete. Er hatte das Pamphlet, in dem dieser Kernsatz vorkommt, von einem GRW-Kollegen namens K(...), tätig bei AES gereicht bekommen.

Gerade in der letzten Zeit erreichen auch uns in der Redaktion Briefe von Gewerkschaftskollektiven und einzelnen Werktätigen, die uns in tiefer Sorge um die uns alle bewegenden Probleme geschrieben haben. Um es noch einmal zu betonen: Der öffentliche Gedankenaustausch verlangt eine Atmosphäre der Sachlichkeit. Und Kritik muss geübt werden, wo Kritik notwendig ist. Dass sich jedoch einer ohne mich zu fragen zu "meinem Sprecher" und damit auch für Tausende andere Gewerkschafter unseres Betriebes aufschwingt, das ging mir doch etwas zu weit.

Offensichtlich war es bei den Vertrauensleuten von A genauso, denn sie trafen sich am Donnerstag danach, um über diesen "Aufruf" zureden, aber auch über die Probleme, die sie konkret im Bereich betreffen. Nun reicht der Platz in dieser Zeitungsspalte nicht aus, um alles ausführlich darzustellen, was die Kollegen bewegt. Da sind z. B. bei der Verteilung der Jahresendprämie die "eingeschliffenen Ungerechtigkeiten", eine junge allein erziehende Mutter unterstrich die Probleme, die sie (und viele andere) noch hat mit dem sozialistischen Handel. Die Probleme des Wettbewerbs wurden diskutiert, die Vergabepraktiken von Ferienplätzen, das Im-Sande-Verlaufen von Eingaben. Vor allem aber auch die Diskontinuität im Zusammenwirken der einzelnen Bereiche unseres Betriebes. Und immer wieder das Gefühl der Machtlosigkeit gegenüber solchen Dingen und daraus resultierend eine weit verbreitete Resignation unter den Kollegen auf der Versammlung. Sie sind sich zwar einig eine separate Gewerkschaft, eine Zersplitterung der Gewerkschaftsbewegung überhaupt bringt auch nicht den Erfolg. Das hat im übrigen die Geschichte eindeutig bewiesen.

Die Frage geht also darum WIE eine wirkungsvollere Gewerkschaftsarbeit erreicht werden kann. Harry Tisch hat in den vergangenen Tagen mehrfach öffentlich eine Reihe von Fragen berührt, die vordringlich zu beraten sind. Lebendige Mitgliederversammlungen, eine Plandiskussion für einen realen Plan, ein verbindlicher BKV das sind einige wesentliche Punkte. Kurzum die Widersprüche müssen produktiv gemacht werden. Tun wir was dafür in unserer Gewerkschaft, denn die alte Weisheit gilt: Der Sozialismus ist so gut, wie wir ihn selbst gestalten.

Bernd M(...), seit 25 Jahren Mitglied des FDGB

aus: Impuls 25.10.1989, 37. Jahrgang, Organ der Betriebsparteileitung der SED des VEB Geräte- und Reglerwerke "Wilhelm Pieck" Teltow