Erklärung des Präsidiums des Komitees für Unterhaltungskunst am 11. Oktober 1989

Unterhaltungskünstler sind schon von Berufs wegen mehr mit der Lage im Lande, der Stimmung der Bevölkerung vertraut als andere. Seit Jahren schon beobachten wir eine fortschreitende Politisierung des Publikums, eine wachsende Sensibilisierung der Menschen angesichts der globalen Bedrohung, des Schicksals des Sozialismus in der Welt von heute. Höchst verschiedenartige Befürchtungen und Hoffnungen sind mit den Krisen und Konflikten in sozialistischen Ländern verbunden, noch halten viele eine Erneuerung des Sozialismus für unumgänglich. Auch in der DDR wird mehr wirkliche Demokratie und erlebbare Öffentlichkeit gefordert, immer offener wird die Kritik an Bevormundung und Entmündigung von Bürgern.

Unterhaltungskünstler versuchen seit Jahren, mit ihren Mitteln und Möglichkeiten auf diese Bedürfnisse und Erwartungen zu reagieren, im Dialog mit dem Publikum Antworten auf viele, dringliche Fragen zu suchen. Immer wieder konnten wir erleben, dass diese Sicht auf die reale Wirklichkeit unsere Autorität im Lande erhöht, dass ein Konsens der progressiven Kräfte und Bestrebungen möglich und notwendig ist. Dabei wurden und werden wir aber zunehmend mit Problemen und Widersprüchen, Forderungen und Meinungen konfrontiert, die nur gemeinsam analysiert, nur mit vereinten, gesellschaftlich organisierten Kräften gelöst werden können. Die entschlossene Führung unserer Gesellschaft durch die Partei der Arbeiterklasse ist in dieser Situation notwendiger denn je. Kunst, auch Unterhaltungskunst ist überfordert, wenn an sie einseitig Funktionen kritischer Öffentlichkeit delegiert werden. Mehr noch, gerät die soziale und kulturelle Identität des Randes in Gefahr, kann auch eine noch so entschlossene und mutige Kunst nichts retten. Die Ereignisse der letzten Wochen haben die politische und kulturelle Situation in der DDR dramatisch zugespitzt. Immer deutlicher äußern sich in unseren Veranstaltungen, im Kollegenkreis Betroffenheit, Ohnmacht und Empörung im Zusammenhang mit dem legalen und illegalen Übertritt von DDR-Bürgern in die BRD. Angeheizt wurde und wird diese Stimmung durch das Medienspektakel der BRD-Medien.

Erregt wird eine öffentliche Diskussion über diese Entscheidung der überwiegend jungen Menschen gegen die DDR, über die Ursachen des Verlustes von Glaubwürdigkeit und Identität unserer Politik, Ideologie und Medienkultur gefordert. Enttäuschung und Verwirrung breitet sich angesichts einseitiger Berichterstattung und tendenziöser Kommentierung und des Verfalls politischer Kultur in den eigenen Medien aus. Betroffenheit und auch Angst wird angesichts der offenen Bekundung revanchistischer Ansichten und großdeutscher Absichten in den BRD-Medien geäußert. Befürchtet wird, dass Errungenschaften der Politik der Entspannung und des Dialogs der Zuspitzung der Lage zum Opfer fallen. Wir erleben extremistische Stimmungen und gewaltsame Aktionen im eigenen Lande. Bekannte Unterhaltungskünstler sehen sich bereits öffentlichen Beschuldigungen und antisozialistischen Verleumdungen ausgesetzt.

Erschwert wird ein offensives Reagieren von unserer Seite noch dadurch, dass mancherorts Partei- und Staatsorgane rigoros gegen unbequeme Haltungen von Unterhaltungskünstlern - vor allem von Liedermachern, Rockmusikern, Kabarettisten und Wortkünstlern - vorgehen. Mit Verboten und Verurteilungen ist aber keine Klärung von Sachverhalten und Tatbeständen zu erreichen, wie auch Maßregelungen und kleinliche Zeilenzensur kein Mittel zur Austragung von Meinungsverschiedenheiten sind. Auch ist allein die Abwehr und Ablehnung gegnerischer Attacken nicht ausreichend, unsere eigenen Angelegenheiten können und müssen wir schon selber klären. Wir halten gerade jetzt eine öffentliche Verhandlung der das Land seit längerem bedrängenden, im Lande besonders dringlichen Probleme für unerlässlich.

Wir sehen uns in diesem Zusammenhang veranlasst, neuerlich auf die bewusstseinsverändernde und sozial-orientierende Kraft der Massenmedien hinzuweisen. Sie müssen besonders in der DDR, wo immer mehr und auch neue bürgerliche Medien an Einfluss gewinnen, als Organe kultureller Kommunikation und eines öffentlichen Diskurses eingesetzt werden. Die Kritik an den inneren Verhältnissen und Zuständen in der DDR darf nicht den BRD-Medien überlassen werden, die ja nichts anderes können und wollen, als eine bürgerliche Gegenöffentlichkeit zum Sozialismus zu konstituieren und zu organisieren. Insofern haben die BRD-Medien angesichts der verbreiteten Hilf- und Sprachlosigkeit in unseren eigenen Medien ein leichtes Spiel. Ein offenes Wort zur rechten Zeit - das haben in diesen Tagen nicht nur Unterhaltungskünstler vermisst. Über den Tag hinaus behindert das auch von unserem Kongress kritisierte Festhalten an einem einseitigen Medienkonzept die Kommunikation mit den Bürgern, einschließlich des Fehlens der schon seit langem aus den Medien verbannten Karikatur und Satire. Wir bemerken, dass der Widerspruch zwischen dem Bild der DDR in den nationalen Medien und den sozialen und individuellen Erfahrungen des Publikums immer eklatanter wird. Die wirklichen Errungenschaften und Leistungen des Sozialismus geraten in Gefahr. wenn sie beständig und einseitig überbetont werden, wenn die Medien ein Bild des Arbeitseifers. des Aufstiegs, der Eintracht und Zufriedenheit zeichnen, obwohl der Alltag der DDR-Bevölkerung nachweislich anstrengender und schwieriger geworden ist und die Zahl der ungelösten Probleme und persönlichen Sorgen zunimmt. Der Weggang von Arbeitskollegen und unersetzbaren Fachleuten tut gerade gegenwärtig ein übriges, wozu noch der Eindruck kommt, dass Gesellschaft und Staat diesem Phänomen irgendwie hilflos gegenüberstehen.

In vielen unserer Veranstaltungen werden in Sonderheit die Verminderung von sozialer Lebensqualität und die Verschlechterung der ökologischen Situation in vielen Städten, Industrieregionen und Landschaftsräumen in der DDR beklagt. Auch der Zerfall vieler Altbaugebiete, wichtiger historischer Stadtteile und der Abriss traditionsreicher Gebäude belastet die Stimmung. Die Kritik am unzureichenden Angebot des Handels und den weiter reduzierten Dienstleistungen nimmt zu. U. E. muss der Erfolgsbilanz zum 40. Jahrestag der DDR eine ehrliche Darstellung der ungelösten Probleme und Aufgaben folgen. Für die 90er Jahre müsste über die gesellschaftlich dringlichsten Probleme und die Methoden und Wege ihrer Losung eins öffentliche Verständigung erreicht werden. Nicht nur Mitglieder der SED erwarten vom Xll. Parteitag der SED einen mutigen Schritt in die Richtung eines humaneren, moderneren und leistungsfähigeren Sozialismus.

Auch bedarf das Lob an der ehrlichen und gewissenhaften Arbeit vieler Arbeitskollektive, Betriebe und Einrichtungen einer Ergänzung durch die Auseinandersetzung mit Mittelmaß, mangelnder Qualitätsarbeit in nicht wenigen Bereichen der Industrie, Landwirtschaft, der Dienstleistungen, des Handels und der Gastronomie. Dies gilt auch für die Angebote und Leistungen des kulturellen Bereiches, einschließlich der Künste. Zweifellos ist in der DDR ein höheres Arbeitsethos nötig, das auch durch die materielle und ideelle Stimulierung realer Leistungen nachhaltig gefördert wird. Die gesamte Lebensweise muss mehr auf hohe Leistungen und produktives Arbeiten zentriert werden. Das erfordert eine große gesellschaftliche Anstrengung in Richtung einer produktiven sozialistischen Arbeits- und Freizeitkultur, einschließlich einer modernen, dynamischen und kreativen Unterhaltung. Kritische Seitenhiebe und satirische Zuspitzung über Vergeudung von Arbeitszeit und Verschwendung menschlicher Energie - künstlerisch wirkungsvoll gestaltet - können hierbei notwendige und u. U. sogar vergnügliche Hilfestellungen leisten. Wie schon auf dem Kongress betont, ist auch in der Unterhaltungskunst das Problem der Qualität. Authentizität und Glaubwürdigkeit erstrangig.

Alles in allem müssen wir der Leistungs- und Konsumgesellschaft des Westens jetzt erst recht das zukunftsorientierte Modell einer Arbeitsgesellschaft und Solidargemeinschaft des Sozialismus auf deutschem Boden entgegensetzen. Wir können nicht besser, wir können nur anders sein.

Im 40. Jahr der DDR erscheint uns ein neuer Anlauf zu höherer Leistung, erwiesenerer Lebensqualität und realer Demokratie unerlässlich. Wir Unterhaltungskünstler wollen das Unsere tun, um den Weg aus den Gefährdungen der Gegenwart in die Bewährungen der Zukunft zu finden. Die gewählten Interessenvertreter der Unterhaltungskünstler wollen in diesem Prozess gehört werden und sind bereit mitzuarbeiten, die DDR als historische Errungenschaft und gesellschaftliche Alternative zu bewahren.

Berliner Zeitung, Do. 19.10.1989, Jahrgang 45, Ausgabe 246

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