Empfehlungen der Expertenkommission zur Schaffung eines Geschichtsverbundes "Aufarbeitung der SED-Diktatur"

I. Leitlinien der Empfehlungen

Die historisch-politische Auseinandersetzung mit der DDR und ihrem SED-Regime hat sich seit der friedlichen Revolution und der Wiedervereinigung 1989/90 im Zusammenwirken von wissenschaftlicher Erforschung und gesellschaftlichen Aufarbeitungsinitiativen entfaltet. Von einer breiten öffentlichen Debatte getragen und dank ihrer politischen und parlamentarischen Flankierung hat sie heute einen bemerkenswert hohen Standard erreicht und nimmt auch im europäischen Vergleich der Auseinandersetzung post-kommunistischer Gesellschaften eine herausragende Position ein.

Diese Entwicklung wäre undenkbar ohne die vorgängige Sicherung der Hinterlassenschaft der SED-Herrschaft durch engagierte Bürgerinnen und Bürger, die so die entscheidende Voraussetzung für eine eingehende Auseinandersetzung mit vierzig Jahren DDR-Geschichte auf persönlicher wie öffentlicher und wissenschaftlicher Ebene schufen. In fast allen Bezirks- und Kreisstädten der damaligen DDR haben Bürgerkomitees insbesondere Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit für die Zukunft bewahrt, indem sie die im November 1989 in Gang gesetzte Vernichtung der Akten weitgehend stoppten. Im Zuge dieses mutigen Einsatzes ist ein Spektrum verschiedener staatlicher und staatlich unabhängiger Dokumentationszentren, Archive und Bibliotheken entstanden, deren Potenzen eine maßgebliche Grundlage der Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur bleiben werden.

Zu den hervorzuhebenden Leistungen der in den letzten eineinhalb Jahrzehnten geleisteten Aufarbeitung zählen insbesondere

- die Schaffung eines Netzwerkes von Archiven, Dokumentationszentren und Austauschforen zu Widerstand und Opposition gegen das SED-Regime und seine Politik, das in seinen Veranstaltungen und Dokumentationen eine wichtige Säule der politischen Bildungsarbeit in den neuen Ländern darstellt,

- die generelle Öffnung der staatlichen und parteilichen Überlieferung der DDR, die im Bundesarchiv bzw. der Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv (i.f. SAPMO) sowie in den Archiven der neuen Länder und in kommunalen Archiven unter Aufhebung der dreißigjährigen Sperrfrist der historischen Forschung zur Verfügung steht,

- die Einrichtung der auf Basis eines speziellen Gesetzes (Gesetz über die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, i.f. StUG) arbeitenden Behörde der BStU und des damit verbundenen Zugangs zu geheimpolizeilichen Quellen,

- die in zwei Enquete-Kommissionen zum Ausdruck gebrachte Teilhabe des Deutschen Bundestags an der "Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland" und der "Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozess der deutschen Einheit" einschließlich der aus dieser Anstrengung erwachsenen Stiftung Aufarbeitung,

- die breite und intensive wissenschaftliche Erforschung der DDR und ihre Integrierung als Forschungsthema in die deutsche und internationale Zeitgeschichte sowie

- die Ausbildung einer facettenreichen Topographie von Lern- und Gedenkorten und Sammlungen insbesondere von Zeugnissen der Opposition und des Widerstands sowie von Dauer- und Wechselausstellungen, die in ihrer Pluralität und Vielschichtigkeit Ausdruck einer offenen Gesellschaft ist und zu den schützenswerten Charakteristika der Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur zählt.

Diese Auseinandersetzung ist aber auch durch eine Reihe von geschichtspolitischen und erinnerungskulturellen Defiziten gekennzeichnet. Hierzu zählen aus Sicht der Kommission insbesondere

- eine nach Ost und West geteilte Wahrnehmung der DDR-Geschichte, die gerade in den alten Bundesländern nur sehr bedingt als Teil der gesamtdeutschen Geschichte verstanden wird,

- eine in den letzten Jahren zunehmende und insbesondere medial vermittelte Trivialisierung der DDR als politischem System, mit der gerade in jüngerer Zeit vermehrt Versuche einer geschichtsrevisionistischen Negierung ihres Diktaturcharakters und einer Verächtlichmachung ihrer Opfer einhergehen,

- die trotz beachtenswerter didaktischer Angebote für das schulische und außerschulische Lernen und verbesserter Lernplanvorgaben mehr und mehr in den Hintergrund tretende Vermittlung der DDR-Geschichte in Schulen und Hochschulen,

- die finanzielle Unterausstattung, aber auch unzureichende Vernetzung und mangelnde Professionalität einzelner Einrichtungen in dem Gesamtkomplex der Auseinandersetzung mit der DDR,

- das Fehlen einer gemeinsamen Planungsstrategie für die zukünftige Entwicklung der institutionellen und thematischen Auseinandersetzung mit der DDR auf Bund-Länder-Ebene sowie

- eine gegenwärtige Vorrangstellung der öffentlichen Dokumentation staatlicher Repression gegenüber derjenigen von Widerstand und Anpassung, Ideologie und Parteiherrschaft sowie von Alltag in der Diktatur, die als Wirkungsmechanismen deutlich unterbelichtet bleiben.

In dem Bemühen, auf der Grundlage des Erreichten Vorschläge zum gezielten Abbau dieser Defizite zu entwickeln, hat die Kommission unter Konzentration auf Einrichtungen von gesamtstaatlicher Bedeutung Leitlinien für die zukünftige Entwicklung der DDR-bezogenen Diktaturaufarbeitung definiert, die sich wie folgt umreißen lassen:

- Offenheit und Pluralität: Historische Vergegenwärtigung und die Auseinandersetzung mit den Folgen einer belastenden Vergangenheit bilden einen nie abgeschlossenen Prozess, der in demokratisch verfassten Gesellschaften in ständigem Fluss bleibt und kontinuierlicher Erneuerung im gesellschaftlichen Diskurs unterliegt. Um diesem Erfordernis zu genügen, sollte die öffentliche Auseinandersetzung mit der DDR (ebenso wie die mit der NS-Diktatur) unterschiedlichen Gesichtspunkten Raum geben. Sie darf nicht auf das Ziel einer einheitlichen oder gar geschlossenen Gesamtaussage verpflichtet werden.

- Dezentralität und Autonomie: Die dezentrale Struktur der existierenden Erinnerungslandschaft hat sich im Wesentlichen bewährt. Sie ist in Anerkennung der historischen Leistung der bürgerschaftlichen Aufarbeitungsinitiativen, die sie mitgestaltet haben, aber auch wegen ihrer Bürgernähe und im Interesse der Wahrung regionaler Arbeitszusammenhänge nach Möglichkeit zu erhalten. Die Errichtung einer übergreifenden, zentralistischen Struktur zur Aufarbeitung der DDR-Geschichte wäre kontraproduktiv und würde mehr an institutioneller Eigeninitiative gefährden als an Synergieeffekten erbringen.

- Vernetzung und Effizienz: Im Interesse der gegenseitigen Stärkung in Verbundbeziehungen, aber auch eines verantwortungsvollen Umgangs mit öffentlichen Geldern kommt der kooperativen Vernetzung der bestehenden Einrichtungen zur DDR-Aufarbeitung und deren profilbildender Abstimmung untereinander hohe Priorität zu.

- Professionalisierung und Perspektivenerweiterung: Die Auseinandersetzung mit der DDR-Vergangenheit unterliegt mit zunehmendem Abstand zur friedlichen Revolution und zur Wiedervereinigung 1989/90 einerseits einem allmählichen Akzentwechsel, der dem Bemühen um historische Erschließungstiefe und Perspektivendifferenzierung gegenüber der aktuellen Auseinandersetzung stärkeres Gewicht verleiht. Auf der anderen Seite bietet die verblassende Anschaulichkeit der Diktaturvergangenheit aber auch eine wachsende Chance, das zusammengebrochene und überwundene Herrschaftssystem der DDR in der öffentlichen Diskussion politisch und moralisch zu relegitimieren; dies lehren etwa in jüngster Zeit die um die Gedenkstätte Hohenschönhausen geführten Auseinandersetzungen um Charakter und Ausmaß der geheimpolizeilichen Unterdrückung und Verfolgung im SED-Staat. Unter diesen Umständen wachsen in gleichem Maße die öffentlichen und fachwissenschaftlichen Ansprüche an eine weitere theoretisch-methodische und didaktische Professionalisierung der historischen Beschäftigung mit der DDR, wie sie in Bezug auf die Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur mittlerweile weithin erreicht ist. Gegenwärtig erscheint es besonders dringlich, die Vermittlung historischer Kenntnisse inhaltlich und methodisch an die sich mit dem allmählichen Zurücktreten der Erfahrungsgenerationen ändernden Erwartungs- und Bildungshorizonte anzupassen. Nicht weniger wichtig ist es, einer drohenden "Verinselung" der DDR-Geschichte im Geschichtsbewusstsein entgegenzutreten und die DDR in eine integrierte deutsch-deutsche Geschichte zwischen 1945 und 1990 im europäischen und globalen Kontext einzubetten.

Die folgenden Empfehlungen der Kommission versuchen, die gewachsene Vielfalt der öffentlichen Auseinandersetzung mit der DDR-Geschichte durch Strukturierung, Straffung und gezielte Ergänzung für die Zukunft zu sichern und unter Beachtung des Gebots umsichtiger Mittelnutzung in der Konkurrenz um öffentliche Aufmerksamkeit sowie wachsender Professionalitätsansprüche zu stärken. Parallel zu einer gleitenden Umstrukturierung der Behörde der BStU und einer verbesserten institutionellen Abstimmung im Bereich der politischen Bildung sprechen sie sich für die zukünftige Ausrichtung der DDR-Aufarbeitung im Zusammenwirken von Musealisierung, Gedenkstättenarbeit und politischer Bildung auf drei übergeordnete Themenbereiche aus. Ihnen sollte jeweils eine bestehende oder neu zu schaffende Aufarbeitungseinrichtung als impulsgebende und kompetenzsichernde Kerninstitution zugeordnet werden. Als die drei aufeinander bezogenen Schwerpunkte einer zukunftstauglichen Befassung mit der DDR-Geschichte definiert das Votum die Themenbereiche "Herrschaft - Gesellschaft - Widerstand", "Überwachung und Verfolgung" sowie "Teilung und Grenze". In wechselseitiger Verschränkung und Ergänzung erlaubt es diese Strukturierung, ein differenziertes und vielschichtiges Bild der SED-Diktatur und ihrer Gesellschaft im Kontext des 20. Jahrhunderts als öffentliches Vermittlungsangebot zu entwerfen. Als Kerninstitutionen schlägt die Kommission für den ersten Themenbereich "Herrschaft - Gesellschaft - Widerstand" ein organisatorisch von der Stiftung Aufarbeitung getragenes "Forum Aufarbeitung" vor, für den zweiten Themenbereich "Überwachung und Verfolgung" ein aus der BStU und den Gedenkstätten Hohenschönhausen und Normannenstraße mittelfristig zu entwickelndes Forschungs- und Dokumentationszentrum "Diktatur und Geheimpolizei" und für den dritten Themenbereich "Teilung und Grenze" die bereits bestehende und weiter auszubauende Gedenkstätte Berliner Mauer. Die Kommission spricht sich dafür aus, alle drei Kerninstitutionen als Stiftung zu führen.

II. Entwicklungsperspektiven der historisch-politischen Aufarbeitung

1. Verbesserung des Aktenzugangs unter Berücksichtigung des Opferschutzes

Der gegenwärtige Zugang zur archivarischen Hinterlassenschaft der DDR ist uneinheitlich. Eine nach Einsichtsfreiheit, Erschließungstiefe und Nutzungsinfrastruktur gleichermaßen gute Zugänglichkeit weisen die Bestände im Bundesarchiv auf. Die allgemeine Schutzfrist von 30 Jahren wurde für die (nicht personenbezogenen) Bestände der SAPMO aufgehoben. Für sonstige (nicht personenbezogene) DDR-Akten wird sie in der Praxis nahezu ausnahmslos auf Antrag aufgehoben. Eine Ausnahme bilden die Akten des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten der Deutschen Demokratischen Republik im Politischen Archiv des Auswärtigen Amts, wo die dreißigjährige Schutzfrist - anders als beim Bundesarchiv - nicht oder nur selten aufgehoben wird. Bei personenbezogenen Unterlagen sieht das Bundesarchivgesetz Ermessensspielräume vor, die in vielen Fällen einen Aktenzugang vor Ablauf der diesbezüglichen Schutzfristen (grundsätzlich 30 Jahre ab dem Tod des Betroffenen) ermöglichen.

Dass die Akten des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten der DDR der Forschung innerhalb der Sperrfrist von 30 Jahren bislang grundsätzlich entzogen sind, bewertet die Kommission als überprüfungsbedürftig. Hier ist im Interesse der historischen Aufarbeitung, unter Rücksichtnahme auf außenpolitische Erfordernisse, auf größere Liberalität und Flexibilität der Aktenfreigabe zu dringen.

Für die wissenschaftliche Forschung ist zudem der Zugang zu MfS-Akten nach dem StUG unbefriedigend. Die ohnehin als Ausnahme konzipierten Zugangsmöglichkeiten sind infolge der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts noch weiter eingeengt worden. Angesichts der Besonderheit, dass die MfS-Akten im großen Umfang rechtsstaatswidrig erhobene personenbezogene Daten enthalten, steht das Bemühen um eine Zugangsverbesserung zwangsläufig im Spannungsfeld zwischen fachlichem und gesellschaftlichem Erkenntnisinteresse einerseits, dem Opferschutz und darüber hinaus dem allgemeinen Schutz von Persönlichkeitsrechten und dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung andererseits. Zwar wird die wachsende Zeitdistanz wohl eine Liberalisierung des Zugangs zu den MfS-Akten erlauben, eine kurzfristige Übernahme der MfS-Akten durch das Bundesarchiv würde jedoch die rechtlichen Zugangsmöglichkeiten derzeit nicht verbessern.

Auf lange Sicht bleibt das Ziel einer archivrechtlichen Normalisierung des Aktenzugangs im Sinne der geltenden Archivgesetze anzustreben. Bereits jetzt einen Zeitpunkt für eine spätere Überführung festlegen zu wollen, ist nach Auffassung der Kommission nicht sachdienlich. Die Entscheidung hängt vielmehr von der gegenwärtig nicht abschätzbaren Bedeutung der MfS-Überlieferung für die gesellschaftliche Selbstverständigung in den kommenden Jahren und von der sich durchsetzenden politischen Überzeugung ab, dass die BStU ihre Kernaufgaben erfüllt hat. Aus forschungspraktischer Perspektive wäre dabei wünschenswert, dass die Stasi-Unterlagen langfristig ungeteilt in die Obhut des Bundesarchivs übergehen, da die föderalen Strukturen der Bundesrepublik und ihres Archivwesens der zentralistischen Verfassung der MfS-Arbeit nur unzureichend gerecht werden. Falls sich angesichts der entgegenstehenden archivgesetzlichen Rechtslage der Gedanke einer Abgabe der Bestände der MfS-Bezirksverwaltungen an die Landesarchive (für die neben der geltenden archivgesetzlichen Grundlage auch das archivarische Provenienzprinzip spricht) durchsetzen sollte, hält die Kommission es für dringend geboten, dass einheitliche Nutzungsregeln auf Länderebene geschaffen und eingehalten werden.

Um die Geschichte der DDR nicht nur aus den Quellen des Herrschaftsbereichs zu rekonstruieren, kommt der Sammlung und Bewahrung von Zeugnissen von Opposition und Widerstand besondere Bedeutung zu. Das oft unter schwierigen Bedingungen entstandene Material wurde in verschiedenen unabhängigen Archiven und Dokumentationszentren zusammengetragen, die sich in bürgerschaftlichen Vereinen institutionalisiert haben. Insbesondere die Archive der Robert-Havemann-Gesellschaft (Matthias-Domaschk-Archiv, Robert-Havemann-Archiv und Archiv Grauzone) und das Archiv Bürgerbewegung Leipzig verfügen hier über Bestände von gesamtstaatlicher Bedeutung. Die öffentliche Nutzbarkeit ihrer Bestände und die Kontinuität ihrer Arbeit sind dadurch zu sichern, dass die bisherige Projektförderung von einer institutionellen Grundförderung durch den Bund oder die Sitzländer begleitet wird. Es ist darüber hinaus fallweise zu prüfen, ob weitere mit der Aufarbeitung der SED-Diktatur befasste Archive beim Vorliegen entsprechender Voraussetzungen von einer Projektförderung in eine institutionelle Sicherung überführt werden können. Die Zuständigkeit dafür läge bei den Sitzländern.

2. Gleitende Neuausrichtung der BStU-Tätigkeit und Errichtung eines Dokumentations- und Forschungszentrums "Diktatur und Geheimpolizei"

Die Kommission ist der Auffassung, dass die Behörde der BStU angesichts ihrer besonderen historischen Bedeutung und politischen Legitimation auch nach Erledigung ihrer Hauptaufgaben aus dem Prozess der Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur nicht zur Gänze herausfallen darf. Mit ihren von Bürgern und Behörden seit 1990 millionenfach in Anspruch genommenen Leistungen hat sie in den zurückliegenden Jahren einen entscheidenden Beitrag zur persönlichen und öffentlichen Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur geleistet. In den Ländern des ehemaligen Ostblocks gelten ihre Existenz und ihre Arbeit als beispielhaft und ermutigend. Neben ihrem symbolischen Rang als Ausdruck der friedlichen und bürgerrechtlichen Überwindung der SED-Diktatur hat die BStU namentlich durch die Tätigkeit der Abteilung Bildung und Forschung eine Sach- und Vermittlungskompetenz auf ihrem Feld erlangt, die unabhängig von der Frage des Aktenzugangs für die Zukunft zu bewahren ist.

Die Expertenkommission schlägt vor diesem Hintergrund eine gleitende strategische Neuausrichtung der BStU-Tätigkeit vor. Sie soll der abnehmenden Nachfrage in einzelnen ihrer Aufgabenbereiche Rechnung tragen und gleichzeitig dem wachsenden Bedarf nach historischer Durchdringung und öffentlicher Vermittlung von Charakter und Bedeutung geheimpolizeilicher Machtsicherung der Diktaturen im vergangenen Jahrhundert gerecht werden. Im Zuge dieses Veränderungsprozesses ist die Behörde der BStU nach Auffassung der Kommission schrittweise in ein Dokumentations- und Forschungszentrum "Diktatur und Geheimpolizei" zur ostdeutschen und europäischen Kommunismusgeschichte als Teil des unter Abschnitt III.2. genannten Aufarbeitungsschwerpunktes umzuwandeln. Die neue Einrichtung ist zweckmäßigerweise in Form einer Stiftung zu errichten; ihre Grundausstattung sollte auf dem Wege einer bundesfinanzierten Zuwendung erfolgen. Thematisch empfiehlt die Kommission zugleich eine Perspektivenerweiterung, die es dem neuen Zentrum ermöglicht, sich über die DDR hinaus der Erforschung und Vermittlung von Charakter und Funktion von Geheimpolizeien und geheimpolizeilicher Repression in den sozialistischen Diktaturen des 20. Jahrhunderts in vergleichender Perspektive zu widmen.

Um diesem Vorhaben gerecht zu werden, spricht sich die Kommission dafür aus, die Zukunftsplanungen der BStU schon jetzt danach auszurichten, ob sie dem angestrebten Ziel entgegenkommen. Parallel zu der vom Gesetzgeber bereits in Angriff genommenen Novellierung des StUG befürwortet die Kommission in diesem Zusammenhang nachdrücklich, die gegenwärtige Konzentrierung der BStU-Arbeit auf die Kernaufgaben der Erschließung und Auswertung der Stasi-Unterlagen sowie auf die persönliche Akteneinsicht beizubehalten und nach Möglichkeit noch zu verstärken. Von besonderem Belang ist hierbei die Erschließung des bisher noch unbearbeiteten und die Rekonstruktion des vorvernichteten Aktenmaterials sowie die Bereitstellung von Findbüchern und anderen Findhilfsmitteln, die Entwicklung elektronischer Erschließungsverfahren und die Erarbeitung von thematischen Quelleneditionen. Nach Auffassung der Kommission ist zu prüfen, ob eine Umsetzung des sogenannten Regionalkonzepts zur Konzentration der BStU-Außenstellen angesichts der damit verbundenen Kosten tatsächlich zielführend ist und ob nicht statt dessen einer möglichst weitgehenden Rekonstruktion vorvernichteter Akten über das bereits vorgeschlagene Pilotprojekt hinaus finanzielle Priorität einzuräumen ist. Falls hingegen an einer Umsetzung des Regionalkonzepts festgehalten wird, regt die Kommission an, auf die Erhaltung von B-Standorten ohne Archivunterlagen zu verzichten und die örtlichen Betreuungsaufgaben mit der Arbeit regionaler Gedenkstätten mit MfS-Bezug zu verbinden (siehe unten, III.2.).

Insbesondere die Arbeit der Abteilung Bildung und Forschung ist künftig auf diesen Übergang vorzubereiten. Zu diesem Zweck empfiehlt die Kommission die Einrichtung eines nach fachwissenschaftlichen Kriterien zusammengesetzten Forschungsbeirats sowie eine turnusmäßige externe Evaluation der Abteilung durch den Wissenschaftsrat. Zugleich befürwortet die Kommission eine institutionelle Stärkung der Leitungsposition der Abteilung, die deren Unabhängigkeit in wissenschaftlichen Fragen sichert und ihr im Zuge dieses Prozesses die Möglichkeit der Drittmitteleinwerbung eröffnet. Die vorgeschlagene Bildung einer Dokumentations- und Forschungseinrichtung "Diktatur und Geheimpolizei" - unter Einbeziehung der Abteilung Bildung und Forschung - eröffnet die Chance, deren durch langjährige Forschungsarbeit erworbene Expertise zu bewahren, zu vertiefen und in die überall in den ostmitteleuropäischen Ländern an Bedeutung gewinnende Erforschung der Rolle kommunistischer Geheimpolizeien des 20. Jahrhunderts einzubringen. Art und Umfang der Umwandlung der Abteilung Bildung und Forschung in das vorgeschlagene Dokumentations- und Forschungszentrum sind maßgeblich von den dann vorliegenden Evaluationsergebnissen abhängig zu machen. Bei der Vergabe von Bundesmitteln auf dem Zuwendungsweg ist zugleich darauf zu achten, dass die außeruniversitäre zeitgeschichtliche Forschungslandschaft insgesamt hierdurch nicht in eine Schieflage gerät.

3. Vernetzung der auf dem Feld der DDR-Aufarbeitung tätigen Träger der politischen Bildung

Das von der Opferrehabilitation bis zur Bereitstellung von schulischen Unterrichtsmaterialien reichende Spektrum der politischen Bildungsaufgaben wird durch eine Reihe von Einrichtungen abgedeckt, deren Arbeit unter einer oft mangelhaften Abstimmung und Abgrenzung ihrer Tätigkeitsfelder leidet. Auf Bundesebene steht eine Bündelung von DDR-Aufarbeitungsaktivitäten vor allem auf dem Feld der politischen Bildung vor der Schwierigkeit, dass hier wichtige Einrichtungen - die Bundeszentrale für politische Bildung, die Stiftung Aufarbeitung und die Behörde der BStU - thematisch unterschiedliche, sich dennoch oftmals überlappende Spektren besitzen. Die Bundeszentrale für politische Bildung thematisiert neben der doppelten deutschen Diktaturgeschichte auch Entwicklung und Probleme der bundesdeutschen Nachkriegs- und Demokratiegeschichte, während die anderen Einrichtungen infolge ihrer Konzentration auf die DDR bzw. das MfS sektoral ausgerichtet sind. Die Kommission empfiehlt, die existierende trilaterale Arbeitsgemeinschaft der genannten Einrichtungen weiter auszubauen, deren Schaffung bereits jetzt zu einer verbesserten thematischen Abstimmung beigetragen hat. Vor allem für die alten Bundesländer wäre es wünschenswert, dass die Bundeszentrale für politische Bildung ebenso wie die entsprechenden Landeszentralen in die Lage versetzt würden, stärker als bisher Angebote zur Auseinandersetzung mit der DDR-Geschichte bereitzustellen und zu deren Einordnung in eine integrierte deutsche Nachkriegsgeschichte beizutragen.

Im Osten arbeiten auf Länderebene mit den Landeszentralen für politische Bildung, den Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (mit Ausnahme Brandenburgs) und den Außenstellen der BStU (Bundeszuständigkeit) drei Einrichtungen mit sich überlappenden Tätigkeitsschwerpunkten in unterschiedlicher Konstellation mit- und nebeneinander. Angesichts der von Bundesland zu Bundesland divergierenden Lage und der insgesamt gewachsenen Bedeutung der DDR-Geschichte in den schulischen Geschichtslehrplänen der Bundesländer beschränkt die Kommission sich hier auf die generelle Empfehlung, durch die analoge Einrichtung von trilateralen Länderarbeitsgemeinschaften in Berlin-Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen die Vernetzung zwischen diesen Einrichtungen zu verbessern. Den gleichwohl in verschiedenen Erhebungen übereinstimmend konstatierten Defiziten in der Praxis der schulischen Bildung und der immer wieder beklagten Scheu von Geschichtslehrkräften in den neuen Bundsländern, sich dem Thema DDR im Unterricht zu nähern, sollte mit Hilfe von schulischen Zeitzeugenprogrammen und in der Lehrerbildung durch Kooperationsvereinbarungen mit regionalen Trägern der DDR-Aufarbeitung bzw. dem Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig und der Robert Havemann-Gesellschaft entgegengewirkt werden.

Die Arbeit der Stiftung Aufarbeitung, die neben dem Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig eine besondere Bedeutung in der Intensivierung der DDR-Aufarbeitung und ihrer Vermittlung in die Öffentlichkeit erworben hat, könnte nach Auffassung der Kommission noch gewinnen, wenn sie über die DDR hinaus noch stärker auf die europäische Kommunismus-Geschichte hin geöffnet würde. Da parallel zu der politischen Auseinandersetzung auch die fachhistorische Beschäftigung mit der DDR immer noch weiter an Bedeutung gewonnen hat, regt sie deshalb eine Erweiterung der Stiftungsarbeit um ein Förderprogramm für wissenschaftliche Forschungsarbeit an, um so die notwendige historische und systemische Kontextbildung in der Beschäftigung mit der DDR zu unterstützen. In diesem Zusammenhang empfiehlt die Kommission zugleich eine regelmäßige Überprüfung von Förderpraxis und Förderertrag sowie eine Verschlankung der Gremienstruktur der Stiftung. In einzelnen Sonderfällen (wie etwa dem der Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft), die aus der Systematik der Bund-Länder-Förderung herausfallen, sollte der Stiftung zudem die Möglichkeit einer institutionellen Grundförderung bisher auf dem Projektweg geförderter Einrichtungen eingeräumt werden, soweit dies nicht auf Kosten der bewährten Projektförderung geht oder zu einer faktischen Substitution von Länderaufgaben führt. Sowohl für das Forschungsprogramm als auch die Möglichkeit institutioneller Förderung ist allerdings eine Änderung des Stiftungsgesetzes erforderlich.

Die Kommission spricht sich dafür aus, die Kapazitäten der Stiftung Aufarbeitung zu nutzen, um Heimatmuseen mit einem gezielten Förderangebot dabei zu unterstützen, die regionale und örtliche Widerstands- und Oppositionsgeschichte durch Erforschung und Darstellung in die Regional- und Lokalgeschichte einzubeziehen.

III. Profilierungsvorschläge für die zukünftige Entwicklung der DDR-Aufarbeitung

Das Bemühen, ein historisches Bewusstsein für die Zeit der SED-Diktatur und der deutschen Teilung mit Ausstellungen, Gedenkstätten und Lernorten zu schaffen, hat schon unmittelbar nach dem Untergang der DDR eingesetzt und in kurzer Zeit zu beeindruckenden Ergebnissen geführt. Unter den großen Ausstellungshäusern ist die Stiftung HdG ihrem gesetzlichen Auftrag, sich mit der Geschichte der Bundesrepublik und der DDR auseinanderzusetzen, mit ihren Dauerausstellungen in Bonn und Leipzig sowie mit einer Vielzahl von Wechsel- und Wanderausstellungen zu einzelnen Aspekten der DDR-Geschichte umfassend auf hohem Niveau nachgekommen. Seit Anfang der neunziger Jahre hat weiterhin das Deutsche Historische Museum (i.f. DHM) mit großen und vielbeachteten Ausstellungen das kritische Verständnis für zentrale Aspekte von Herrschaft und Gesellschaft in der DDR zu vertiefen versucht und dabei besonders vergleichende Dimensionen der Diktaturen des 20. Jahrhunderts im europäischen Zusammenhang herausgestellt. In seiner künftigen Dauerausstellung behandelt das DHM die DDR als Teil der deutschen Geschichte im europäischen Kontext allerdings naturgemäß nur auf kleinem Raum. Zudem besitzt das DHM auch dank des Fundus des ehemaligen Museums für deutsche Geschichte in der DDR eine beeindruckende Sammlung von einschlägigen Sachzeugnissen der DDR.

Im Gegensatz zu den genannten Museen leiten die Gedenkstätten und Lernorte zur Auseinandersetzung mit den Diktaturen des 20. Jahrhunderts ihre besondere Bedeutung aus ihrem topographischen Authentizitätscharakter und ihrem historischen Gewicht als Täter- bzw. Opferorte ab. Sie erinnern an die Leiden der Opfer der sowjetischen und DDR-Repressionsorgane und sind in einzelnen Fällen zugleich letzte Ruhestätte der Verfolgten und Gequälten. Die Gedenkstätten spielen deshalb als authentische Orte nicht nur eine zentrale Rolle in der deutschen Erinnerungskultur, sondern auch bei der Aufarbeitung der Diktaturgeschichte und in der politischen Bildung.

Die Kommission schlägt vor, dieser Bedeutung Rechnung zu tragen und die fachliche Professionalisierung und inhaltliche Pluralisierung der Gedenkstätten und Lernorte auf dem Gebiet der DDR-Aufarbeitung im Zusammenwirken mit den bestehenden Museen und Ausstellungshäusern zu fördern, ohne dabei die Eigenverantwortung der Initiatoren und gegenwärtigen Träger über das notwendige Maß hinaus zu beschneiden. Zugleich soll mit den vorliegenden Empfehlungen der deutlich übergewichtigen Konzentration auf Orte der Repression und der Teilung entgegenwirkt werden, mit der die naturwüchsig entstandene Gedenklandschaft gegenwärtig bis zu einem gewissen Grad noch der Herrschaftslogik des SED-Regimes und seiner Hinterlassenschaft selbst folgt. Während die Abschottungs- und Unterdrückungsmaßnahmen des SED-Staates sich in zahlreichen baulichen und symbolischen Relikten niederschlagen, bleiben in der gegenwärtigen Gedenklandschaft, insbesondere Alltag und Widerstand einer diktaturunterworfenen Bevölkerung weitgehend ausgeblendet und damit auch die spannungshafte Wechselbeziehung von Herrschaft und Gesellschaft zwischen Akzeptanz und Auflehnung, Begeisterung und Verachtung, missmutiger Loyalität und Nischenglück. Die historisch-politische Auseinandersetzung mit der DDR-Vergangenheit droht damit einen Mangel zu wiederholen, der auch der NS-bezogenen Aufarbeitung immer wieder vorgehalten worden ist: dass sie die alltägliche Funktionsweise des Systems und die tägliche Aushandlung individueller Entscheidungsspielräume nicht ausreichend sichtbar zu machen und dem Stellenwert des Verhaltens und der Verantwortung des einzelnen für die Macht der Diktatur nicht hinreichend gerecht zu werden vermag.

Aus diesen Erwägungen heraus schlägt die Kommission eine Bildung von drei Kristallisationskernen der Diktaturaufarbeitung vor, die den Themenkomplexen "Herrschaft - Gesellschaft - Widerstand", "Überwachung und Verfolgung" sowie "Grenze und Teilung" gelten. Sie sind zunächst als organisierende Strukturprinzipien zu verstehen, mit denen der kurzfristig als auch mittelfristig anstehenden Neuordnung und -gliederung des Vorhandenen ungeachtet der gegenwärtigen schwierigen Haushaltslage auch langfristige Entwicklungsräume eröffnet werden. Sie besitzen zugleich jeweils einen institutionellen Kern in Gestalt einer Einrichtung von gesamtstaatlicher Bedeutung, die die Forschung und Vermittlung zusammenführt.

Gedenkstätten von gesamtstaatlicher Bedeutung sind durch den Bund, die Gedenkstätten von eher regionaler oder lokaler Bedeutung durch die Länder und Kommunen zu finanzieren. Da davon fast ausschließlich die neuen Länder betroffen sind, hält die Kommission es für geboten, über eine angemessene Beteiligung auch der alten Bundesländer nachzudenken. Als gangbaren Weg bietet sich hier das Modell eines horizontalen Finanzausgleichs zwischen West- und Ostländern an, dessen Transferbeiträge der ostdeutschen Gedenkstättenlandschaft beispielsweise über die Stiftung Aufarbeitung zur Finanzierung projektgebundener Aufgaben zugeführt werden könnten. Die Kommission möchte in diesem Zusammenhang ausdrücklich darauf hinweisen, dass die in Baden-Württemberg angesiedelte Sammlung zur Geschichte der DDR, Pforzheim "Gegen das Vergessen", einen der wenigen Orte zur Beschäftigung mit der DDR in den alten Bundesländern darstellt, in seinem Fortbestand gegenwärtig ungesichert und dringend einer institutionellen Förderperspektive bedarf.

1. Aufarbeitungsschwerpunkt "Herrschaft - Gesellschaft - Widerstand"

Die fachwissenschaftlich wie auch öffentlich unstrittige Erkenntnis, dass die vierzigjährige Existenz der DDR weder aus der Intensität der geheimpolizeilichen Verfolgung und Überwachung noch auch allein von der gewaltsamen Abriegelung ihrer innerdeutschen Grenze her ausreichend erfasst und dargestellt werden kann, findet in der öffentlichen Präsentierung von Staat und Gesellschaft der DDR bislang noch keinen angemessenen Niederschlag. Vor allem fehlt es an einem Ort in der Hauptstadt, der die Machtmechanismen der SED-Diktatur und die Durchdringung von Herrschaft, Gesellschaft und Widerstand in der kommunistischen Diktatur darzustellen vermag. Der Erfolg des Zeitgeschichtlichen Forums Leipzig lässt vermuten, dass die Schaffung eines in Berlin angesiedelten Aufarbeitungsschwerpunktes zur Auseinandersetzung mit Widerstand und Alltag in einer repressiven Gesellschaft eine produktive Ergänzung wäre. Der Kommission erscheint es unabdingbar, das angestrebte Gleichgewicht der drei definierten Themenkomplexe einer zukunftsfähigen öffentlichen Auseinandersetzung mit der DDR in Berlin sichtbar zu machen.

Die Kommission empfiehlt daher die Schaffung eines Aufarbeitungsbereichs "Herrschaft - Gesellschaft - Widerstand", dessen institutionellen Kristallisationskern ein in Kooperation der Stiftung Aufarbeitung mit dem HdG/ZFL zu schaffendes "Forum Aufarbeitung" im Zentrum Berlins bilden sollte. Dem Forumscharakter entsprechend, wären an diesem Ort die Themen "Widerstand und Opposition", "Ideologie", "Alltag in der durchherrschten Gesellschaft" und "Mechanismen der Machtausübung" zum einen in Ausstellungen zu präsentieren und darüber hinaus Informationsmöglichkeiten und Vermittlungsangebote zur Geschichte der DDR im deutschen und europäischen Kontext zu schaffen. Zum anderen sollte das neuzuschaffende "Forum Aufarbeitung" für Veranstaltungen unterschiedlichster Art offen stehen, auf denen aktuelle wie übergreifende Fragen des Umgangs mit der DDR im öffentlichen Raum erörtert werden können.

Als institutionellen Träger dieses "Forums Aufarbeitung" schlägt die Kommission die Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur vor, die schon bisher die gesellschaftliche und wissenschaftliche Aufarbeitung der DDR in breitem Maße durch eigene Initiativen und durch Projektfinanzierungen gefördert hat. Sie ist in der Lage, den Aufarbeitungsbereich "Herrschaft - Gesellschaft - Widerstand" in der Kooperation mit universitären und außeruniversitären Forschungseinrichtungen zur DDR-Geschichte so zu entwickeln, dass er im selben Maße wie die beiden anderen Aufarbeitungsschwerpunkte von der Zusammenführung der gesellschaftlichen und fachwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der DDR profitieren kann. Wünschenswert wäre hinsichtlich dieses ersten Schwerpunkts darüber hinaus eine räumliche Zusammenführung sowohl mit der Robert-Havemann-Gesellschaft und ihren Archiven als auch mit Trägern der Politischen Bildung wie der Berliner Außenstelle der Bundeszentrale für politische Bildung und eventuell auch der Berliner Landeszentrale für politische Bildung: So könnte das "Forum Aufarbeitung" als Kommunikationsort der zeitgeschichtlichen Auseinandersetzung zu einer zentralen Anlaufstelle für Fragen der DDR-Aufarbeitung entwickelt werden.

Damit könnte ein Diskussionsforum geschaffen werden, das die Bindungskräfte zu erfassen erlaubt, die nach Schließung der DDR-Grenzen zumindest in den sechziger und siebziger Jahren zur relativen Stabilität der diktatorisch verfassten Gesellschaft beigetragen haben und die von ideologischer Überzeugung über soziale Aufstiegsmöglichkeiten und wirtschaftliche Grundsicherung bis hin zu missmutiger Loyalität reichten. Eine historische Aufarbeitung, die die Interaktion von Herrschaft und Gesellschaft übergeht und die entstehenden und erodierenden Bindungskräfte der DDR in ihren jeweiligen Entwicklungsstadien (und damit den lebensweltlichen Rang und Identifikationswert des Alltags) ignorierte, wäre verfehlt und nach Überzeugung der Kommission unvollständig. Darüber hinaus würde sie die Selbstwahrnehmung breiter Schichten der früheren DDR-Bevölkerung und ihrer nachwachsenden Generationen nicht angemessen erfassen und den erinnernden Umgang mit dem Leben in der Diktatur den unkritischen Sammlungen zur DDR-Alltagskultur überlassen, deren mediale und museale Konjunktur in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat.

Im Rahmen einer künftigen Ausstellung zum Alltag in der durchherrschten Gesellschaft können die Sammlung Industrielle Gestaltung (HdG), Teile des Fundus des DHM, des Kunstarchivs Beeskow und der mittlerweile 70 000 Objekte umfassenden Sammlung des derzeit gänzlich unbefriedigend untergebrachten Dokumentationszentrums Alltagskultur Eisenhüttenstadt einbezogen werden. In diesem Zusammenhang ist es dringend erforderlich, eine langfristige Perspektive für das in seiner Existenz bedrohte Dokumentationszentrum zu entwickeln, dessen Sammlungstätigkeit unbeschadet der gegenwärtig nur provisorischen Präsentationsmöglichkeiten eine Aufgabe von gesamtstaatlicher Bedeutung darstellt. Dabei sollte zugleich die bestehende örtliche Verankerung des Zentrums genutzt werden, um es museal stärker mit der Stadtlandschaft von Eisenhüttenstadt zu verbinden, die ihrerseits ein einzigartiges Sachzeugnis für die alltagskulturelle Aneignung einer städtischen Sozialutopie bildet. Für die Vermittlung des Themenkomplexes "Widerstand und Opposition" sollte in Verbindung mit dem ZFL die inhaltliche Kompetenz der Robert-Havemann-Gesellschaft genutzt werden.

Eine den Nutzungsanforderungen eines "Forums Aufarbeitung" entsprechende Liegenschaft in der Zentrumslage von Berlin zu benennen, kann nicht Gegenstand dieses Votums sein. Die Kommission möchte aber unterstreichen, dass ihr die noch im Vergin-Gutachten von 2001 erwogene Ansiedelung des vorgeschlagenen Lernortes in den freistehenden Nutzflächen des Hauses 1 in der Berliner Normannenstraße nicht sachgerecht erscheint. Die aus bundesseitigen Finanzerwägungen möglicherweise naheliegende Nachnutzung der ehemaligen MfS-Liegenschaft würde dem Anliegen einer zukunftsweisenden Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur aus wissenschaftlichen wie didaktischen Gründen zuwiderlaufen und ungewollt die Staatssicherheit zum eigentlichen Nukleus der SED-Herrschaft stilisieren. Ohne andere Alternativen ausschließen zu wollen, möchte die Kommission daher auf drei Liegenschaften im Zentrum Berlins hinweisen, die aus ihrer Sicht nähere Prüfung verdienen, ob sie dem beschriebenen Anforderungsprofil gerecht zu werden vermögen: Das Haus Torstraße 1 (ehemaliger Sitz der SED-Parteizentrale und des Instituts für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED) in Berlin-Mitte ist ein gegenwärtig leerstehendes Gebäude mit ca. 10.000 m² Nutzfläche, das infolge seiner Nutzungsgeschichte zudem die Authentizität eines zentralen Herrschaftsortes aufweist. Die ehemalige Brauerei Oswald-Berliner an der Rheinsbergerstraße, ein zum Verkauf stehendes Industriegebäude mit 5.300 m² Nutzfläche sowie ca. 1 800 m² Kellerfläche, liegt unmittelbar am ehemaligen Grenzstreifen Bernauer Straße und damit inmitten der geplanten weitläufigen Erinnerungslandschaft Mauer/Grenze sowie in Sichtweite der Gedenkstätte Berliner Mauer und der Kapelle der Versöhnung. Wenngleich diese Liegenschaft keine Authentizität als Herrschafts- oder Widerstandsort aufweist, könnte in dieser Kombination doch ein kompakter Schwerpunkt in der Lern- und Erinnerungslandschaft SED-Diktatur entstehen, der den Hauptstadtbesuchern die Begegnung mit der Geschichte von SED-Herrschaft und Teilung wesentlich erleichtern würde. Ein dritter möglicher Standort böte sich mit dem ehemaligen ADN-Gebäude in der Karl-Liebknecht-Straße an, das zwar viel Nutzraum, aber keinen direkten Bezug zu anderen Gedenkstätten und Ausstellungsorten hätte.

2. Aufarbeitungsschwerpunkt "Überwachung und Verfolgung"

Die Kommission schlägt vor, als institutionellen Kern des Aufarbeitungsschwerpunkts "Überwachung und Verfolgung" ein Forschungs- und Dokumentationszentrum "Diktatur und Geheimpolizei" zu bilden, in dem die gewachsene Fachkompetenz der BStU mit den in der Hauptstadtregion Berlin-Brandenburg angesiedelten Gedenkstätten von gesamtstaatlicher Bedeutung zur Rolle kommunistischer Geheimpolizeien aufeinander bezogen bzw. zusammengeführt wird.

Geheimpolizeien waren eine wesentliche Existenzvoraussetzung staatssozialistischer Diktaturen. Ihre auf politische Überwachung und Verfolgung gerichtete Tätigkeit hat sich in zahlreichen Haftanstalten und sonstigen MfS-Dienststellen niedergeschlagen, die nach 1989/90 vielerorts in Gedenkstätten umgewandelt wurden. Unter ihnen besitzen einige Einrichtungen besondere Ausstrahlung, die ihre Überzeugungskraft aus ihrem regionalen und lokalen Bezug gewinnen. Für die Gedenkstätte KGB-Gefängnis in der Potsdamer Leistikowstraße ist eine Bund-Länder-Finanzierung auf Basis einer Stiftung anzustreben. Zudem wäre es wünschenswert, in der früheren Frauenhaftanstalt Burg Hoheneck - trotz der gegenwärtigen privaten Trägerschaft der Gesamtanlage - mittelfristig eine Gedenkstätte unter der Obhut der Stiftung Sächsische Gedenkstätten einzurichten.

Die authentischen Orte der Täter und Opfer des Staatssicherheitsdienstes in Berlin sind die MfS-Zentrale in Lichtenberg/Normannenstraße und die zentrale MfS-Haft- und Untersuchungsanstalt in Berlin-Hohenschönhausen. Mit dem einstigen Zentralarchiv des MfS in Haus 7 auf dem Areal Normannenstraße/Ruschestraße, das im Zuge der friedlichen Revolution geöffnet wurde und in die Obhut der BStU gelangte, besitzt das Ensemble Normannenstraße im übrigen eine Komponente, welche die Demokratisierung von diktatorischem Arkanwissen sinnfällig symbolisiert. Beide Einrichtungen sind eng aufeinander bezogen und werden zum Schaden einer möglichst qualifizierten Auseinandersetzung mit den staatssozialistischen Repressionsmechanismen in ihrer Entwicklung bisher durch institutionelle Isolierung und personelle Unterausstattung massiv behindert. Um ihre nachhaltige Stärkung zu erreichen, spricht die Kommission sich dafür aus, die beiden bisher isoliert arbeitenden Einrichtungen unter einem gemeinsamen Dach zusammenzuführen und damit die strukturellen Voraussetzungen für eine personell und finanziell zukunftsfähige Entwicklung des Aufarbeitungsschwerpunktes "Überwachung und Verfolgung" zu schaffen.

Zur Ausgestaltung dieses Vorschlags bieten sich aus Sicht der Kommission drei unterschiedliche Verfahrensmodelle an, die das Verhältnis zwischen dem auf möglichst weitgehende Autonomie gerichteten Eigeninteresse beider Einrichtungen und den Entwicklungspotenzen einer strukturellen Zusammenarbeit mit der Behörde der BStU jeweils anders gewichten:

1. eine institutionelle Eingliederung der beiden Gedenkstätten in die bestehende Behördenstruktur der BStU. Diese Lösung bietet die Chance, angesichts der geringen Haushaltsspielräume des Bundes und des Landes Berlin rasch synergetische Effekte erzielen und sie unter Nutzung der wissenschaftlichen und personellen Potenz der BStU in kurzer Zeit umsetzen zu können. Auf der anderen Seite birgt dieses Modell aufgrund des Verlustes an Selbständigkeit der beiden Einrichtungen auch die Gefahr, ihre Handlungsspielräume in einer ihrer öffentlichen Sichtbarkeit abträglichen Weise zu beschneiden. Um dieser Gefahr zu begegnen und der Gedenkstätte Hohenschönhausen sowie der Forschungs- und Gedenkstätte Normannenstraße ein möglichst hohes Maß an Teilautonomie zu erhalten, hielte die Kommission im Rahmen dieses Modells die Schaffung einer eigenständigen Abteilung "Gedenkstätten" der BStU für wünschenswert, die unmittelbar der Behördenleitung unterstellt ist und gleichgewichtig mit der Abteilung Bildung und Forschung die Basis für eine spätere Umwandlung der BStU in eine eigenständige Aufarbeitungseinrichtung bildet. Dabei wäre die Weiterarbeit der in der Gedenkstätte Normannenstraße ansässigen Vereine und Aufarbeitungsinitiativen, wie es bereits das Gutachten der Vergin-Kommission von Oktober 2001 vorsah, mit Hilfe von Kooperationsverträgen mit der BStU in angemessenem Rahmen zu sichern.

2. die Zusammenführung der Gedenkstätte Hohenschönhausen und der Forschungs- und Gedenkstätte Normannenstraße unter dem Dach einer selbständigen Stiftung. Dieses Modell sieht eine nur koordinierende Verbindung der zu einer gemeinsamen Bundesstiftung zusammengefassten Gedenkstätten Hohenschönhausen und Normannenstraße mit der BStU vor. Beide Einrichtungen behielten im wesentlichen ihre gegenwärtige Struktur, die nach dem Auslaufen der Behörde der BStU um deren Abteilung Bildung und Forschung zu erweitern wäre. Allerdings stellt sich diese Lösung deutlich weniger kostengünstig dar als die erstgenannte Variante, und sie ist zudem kurz- und mittelfristig nicht dazu angetan, die schwierige Personalsituation beider Einrichtungen zu beheben.

3. die Errichtung einer unselbständigen Stiftung für beide Einrichtungen unter dem Dach der BStU. Diese Variante erlaubt, die Gedenkstätten Hohenschönhausen und Normannenstraße aus einer gemeinsamen übergeordneten Entwicklungsplanung heraus zu betreuen und würde ihnen gleichzeitig über die Gremien der zu gründenden Stiftung ein erhebliches Maß an Handlungsautonomie ermöglichen, ohne einer späteren Zusammenführung mit der jetzigen Abteilung Bildung und Forschung der BstU institutionelle Hürden entgegenzustellen.

Gleichviel, ob als BStU-Abteilung oder als selbständige bzw. unselbständige Stiftung verfasst, sollte die in dieser Weise konzentrierte Einrichtung die Arbeit des künftigen zweiten Aufarbeitungsschwerpunktes über Berlin hinaus ausweiten und die Tätigkeit weiterer MfS-bezogener Gedenkstätten von regionaler und lokaler Bedeutung über Kooperationsbeziehungen unterstützen, ohne jedoch eine institutionelle Zusammenführung anzustreben. Die außerhalb Berlins befindlichen Gedenkstätten sind bis auf wenige Ausnahmen unterfinanziert, nicht ausreichend gesichert und personell mitunter nicht adäquat besetzt. Sie sollten künftig stärker miteinander vernetzt werden, ohne dabei das Konzept einer dezentralen Aufarbeitungslandschaft aufzugeben. Unabhängig von der jeweiligen Trägerschaft schlägt die Kommission daher die Bildung eines Netzwerkes regionaler Gedenkstätten mit MfS-Bezug vor, das unter anderem die Gedenkstätten "Lindenstraße 54" Potsdam, "Runde Ecke" Leipzig, "Moritzplatz" Magdeburg, "Amthordurchgang" Gera, "Roter Ochse" Halle und "Bautzner Straße" Dresden sowie das Informations- und Dokumentationszentren der BStU in der ehemaligen MfS-Untersuchungshaftanstalt in Rostock und das Dokumentationszentrum des Landes Mecklenburg-Vorpommern in Schwerin umfasst. Ihre Grundfinanzierung sollte grundsätzlich auf Landes- und kommunaler Ebene erfolgen. Der Aufbau eines innerhalb des Regionalnetzwerkes abgestimmten Ausstellungsangebotes, das die einzelnen Gedenkstätten mit gezielten Schwerpunktbildungen profiliert, ist am aussichtsreichsten durch Kooperationsvereinbarungen mit der BStU zu erzielen (wie sie in bezug auf die Informations- und Dokumentationszentren der BStU in der ehemaligen MfS-Untersuchungshaftanstalt in Rostock und das Dokumentationszentrum des Landes Mecklenburg-Vorpommern in Schwerin bereits praktiziert wurden bzw. werden). Eine besondere Stärkung der Tätigkeit in diesem Schwerpunkt kann sich daraus ergeben, dass eine personelle und sachliche Verstärkung der regionalen Gedenkstätten mit MfS-Bezug zugleich die Möglichkeit bietet, deren Räumlichkeiten für die regionale Präsenz der BStU (Sprechstunde, Akteneinsicht) zu nutzen.

3. Aufarbeitungsschwerpunkt "Teilung und Grenze"

Ein weiterer zentraler Komplex der Auseinandersetzung mit SED-Regime und DDR-Gesellschaft hat sich in den letzten Jahren aus den vielfältigen Ansätzen entwickelt, an die Teilung Deutschlands und Berlins in der Epoche des Kalten Krieges zu erinnern. Die Empfehlungen der Kommission schließen in diesem Bereich an das vom Berliner Senat vorgelegte Gedenkkonzept an, in dem die Gedenkstätte Berliner Mauer an der Bernauer Straße perspektivisch eine Schlüsselrolle einnimmt, und können in allen Einzelfragen auf dieses Konzept verweisen.

Hiervon ausgehend, spricht sich die Kommission dafür aus, einen dritten Aufarbeitungsschwerpunkt "Teilung und Grenze" zu schaffen, der organisatorisch bei der Gedenkstätte Berliner Mauer anzusiedeln ist und Koordinierungsfunktionen im Bereich der Museen und Gedenkstätten an der ehemaligen deutsch/deutschen Grenze übernimmt. Die Gedenkstätte selbst böte auf der Basis einer dauerhaften institutionellen Bund-Land-Finanzierung die Perspektive, sich in vergleichsweise kurzer Zeit zu einer Ausstellungs- und Forschungseinrichtung auf dem Gebiet der innerdeutschen und europäischen Teilung und Grenzziehung zu entwickeln. Um hierfür die institutionellen Voraussetzungen zu schaffen, spricht die Kommission sich dafür aus, die von einem Verein getragene Gedenkstätte an der Bernauer Straße gemeinsam mit der Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde in eine leistungsfähige Stiftung umzuwandeln. In die Gesamtkonzeption sollte gegebenenfalls auch die Gedenkorte am Brandenburger Tor und am Checkpoint Charlie sowie weitere historische Orte, wie im Berliner Gedenkstättenkonzept vorgesehen, einbezogen werden.

Der so genannte "Tränenpalast" am Bahnhof Berlin-Friedrichstraße erinnert in seinem Vorraum ebenfalls an die innerdeutsche Grenze und sollte in der Regie des HdG auch das Problem der innerdeutschen Grenze in Wechselausstellung und Veranstaltungen thematisieren, soweit die Eigentumsverhältnisse eine solche Nutzung dauerhaft zulassen.

Darüber hinaus empfiehlt die Kommission eine kooperative Verbindung der Gedenkstätte Berliner Mauer mit der Gedenkstätte Deutsche Teilung Marienborn und weiteren Grenzmuseen und -gedenkstätten wie insbesondere dem Deutsch-Deutschen Museum Mödlareuth.

IV. Schlussbemerkung

Die Kommission hofft, mit der so umrissenen Empfehlung eines auf die drei Säulen "Herrschaft - Gesellschaft - Widerstand", "Überwachung und Verfolgung" sowie "Grenze und Teilung" ausgerichteten DDR-Geschichtsverbundes zur Zukunftsfähigkeit der historisch-politischen Auseinandersetzung mit der ostdeutschen Diktaturvergangenheit beitragen zu können. Sie sieht in dieser Neuordnung eine Chance, im Zusammenwirken von Fachwissenschaft, Gedenkstättenarbeit und politischer Willensbildung das seit 1989/90 erarbeitete Niveau der öffentlichen Erinnerung an die DDR nachhaltig zu erhöhen.

Die Umsetzung der Empfehlungen könnte so neue Maßstäbe für eine plurale und multiperspektivische Aufarbeitung der deutschen Geschichte im "Jahrhundert der Extreme" setzen, die das politische Bekenntnis zu den Werten einer freiheitlichen Gesellschaft mit der historischen Erkenntnis der Geltungskräfte und der Überwindung ihres diktatorischen Gegenentwurfs verbindet.


Sondervotum von Freya Klier

Freya Klier Berlin, im Mai 2006
Schriftstellerin/Regisseurin

Hiermit gebe ich zu den vorliegenden Empfehlungen der Experten-Kommission das nachfolgende Sondervotum ab:

Ich möchte mich den Empfehlungen der Kommission in wesentlichen Punkten nicht anschließen, weil sie sich aus einer anderen politischen Wahrnehmung speisen als meinen eigenen. Während ein Teil der Kommission von DDR als einem historisch abgeschlossenen Gebilde ausgeht und folglich einen grundsätzlichen Paradigmenwechsel im Umgang mit der 40-jährigen Diktatur favorisiert (auch, wenn dieser Begriff in letzter Sekunde herausgenommen wurde), beobachte ich seit dem Ende der DDR ein kontinuierliches Weiterwirken ehemaliger Nomenklaturkader. Ihre Netzwerke haben sich nicht aufgelöst, sondern strategisch verfeinert. Die Auseinandersetzung mit ihnen aber erfordert ein offensiveres Instrumentarium als das im Kommissionspapier empfohlene.

Die Stützen der untergegangenen Diktatur marschieren ja nicht nur in Gedenkstätten auf - sie sitzen im Bundestag, in den Medien, in Schulen und vielfältigen Gremien unserer Demokratie. Und sie werden nicht müde, ihren Unrechtsstaat im Nachhinein demokratisch aufzupolieren und in der öffentlichen Erinnerung zu glätten. Sie zielen auf Zukunft.

Ihre Chance: Wir hängen fest in Einheitsfehlern, vor allem juristischen. Statt diese nach 16 Jahren endlich zu korrigieren, folgt ein Aufweichen demokratischer Grundsätze nach dem anderen.

Das Empfehlungspapier unserer Kommission atmet - im Gewand akademischer Formulierungen - über weite Strecken den Geist des Abwickelns, des Historisierens. Dies ist für mich das falsche Signal in einer Zeit, in der sich Kader des ehemaligen DDR-Regimes national und international erneut optimal zu positionieren suchen.

Die Empfehlungen der Kommission greifen kaum bei einer für mich vorrangigen Aufgabe - der Übertragung von Geschichtswissen an unseren komplett reizüberfluteten Nachwuchs... eine Generation, für die das jenseits der Jahrhundertwende Geschehene so fern zu sein scheint wie das Römische Reich. Hier bleibt das Papier ausgesprochen vage. Der sinnliche Nachvollzug staatlicher Repression und die Frage, was Menschen in Diktaturen einander anzutun vermögen, ist - meiner ständigen schulischen Erfahrung nach - fast der einzige Einstieg für junge Leute, ein anderes System als Demokratie überhaupt denken zu können. Als Ort der diesbezüglich stärksten Wirkung wird von Schülern und Lehrern stets die Gedenkstätte Hohenschönhausen herausgehoben.

Freya Klier


Der im Einsetzungsschreiben umrissene Auftrag der Kommission zielt darauf, Elemente eines Gesamtkonzeptes für einen dezentral organisierten Geschichtsverbund zur Aufarbeitung der SED-Diktatur unter besonderer Berücksichtigung von Widerstand und Opposition zu formulieren. Der Auftrag erstreckt sich auf Einrichtungen von "gesamtstaatlicher Bedeutung", die gegenwärtig vom Bund getragen werden - das betrifft die Behörde der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (i.f. BStU), die Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur (i.f. Stiftung Aufarbeitung), die Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland / Zeitgeschichtliches Forum Leipzig (i.f. HdG/ZFL) - oder auf Länderebene direkt oder indirekt institutionell gefördert werden wie die Stiftung Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen (i.f. Gedenkstätte Hohenschönhausen), die Gedenkstätte Berliner Mauer oder die Forschungs- und Gedenkstätte Normannenstraße. Die Kommission war aufgefordert, ein Modell für die Weiterentwicklung der Institutionen, ihre Kooperation und Schwerpunktsetzungen zu erarbeiten, das die Orte des Erinnerns und Lernens konzeptionell und praktisch stärker aufeinander bezieht und miteinander vernetzt, um eine bessere Profilierung, Arbeitsteilung und Kooperation zu gewährleisten. Neue Institutionen sollen nicht geschaffen, Gesetzesänderungen sowie eine Überbeanspruchung finanzieller Ressourcen und eine Umverteilung von Geldern möglichst vermieden werden. Die Kommission ist bei ihren Empfehlungen nur dort, wo sie es im Sinne einer sachgerechten Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur für unabdingbar hielt, über diesen Auftrag hinausgegangen.

Die von einem durch den Beauftragten für Kultur und Medien finanzierten Arbeitsstab (Dr. Irmgard Zündorf, Kai Gregor M.A.) unterstützte Expertenkommission führte im Rahmen ihrer Tätigkeit insgesamt 22 (von Mai 2005 bis Mai 2006 in einem durchschnittlich vierzehntägigen Rhythmus) nicht-öffentliche Plenarsitzungen durch und erörterte auf Grundlage öffentlich zugänglichen Materials und der Beantwortung eines standardisierten Fragenkatalogs die Arbeit von mehr als vierzig Einrichtungen der DDR-Aufarbeitung, über die sie sich fallweise durch zusätzliche Besuche weiteren Aufschluss zu verschaffen suchte. Die Kommission holte zudem den Rat profilierter Fachleute ein und führte zwei eintägige Anhörungen durch. Die folgenden Empfehlungen wurden von der Kommission mit Ausnahme des angeschlossenen Sondervotums von Freya Klier einvernehmlich verabschiedet und dem Bundesbeauftragten für Kultur und Medien im Mai 2006 übergeben, um am 6. Juni des Jahres im Rahmen eines Hearings öffentlich zur Diskussion gestellt zu werden.

Die Kommission

Am 9. Mai 2005 berief die Beauftragte für Kultur und Medien (BKM), Christina Weiss, die Expertenkommission:
Prof. Dr. Rainer Eckert, Direktor des zeitgeschichtlichen Forums Leipzig,
Dr. Monika Flacke, Deutsches Historisches Museum, Berlin,
Prof. Dr. Klaus-Dietmar Henke, Lehrstuhl für Zeitgeschichte an der Technischen Universität Dresden),
Roland Jahn, Journalist in Berlin, DDR-Bürgerrechtler,
Freya Klier, Regisseurin, Berlin, DDR-Bürgerrechtlerin
Tina Krone, Robert-Havemann-Archiv, Berlin,
Prof. Dr. Peter Maser, Theologe an der Universität Münster,
Ulrike Poppe, Evangelische Akademie, Berlin, DDR-Bürgerrechtlerin,
Dr. Hermann Rudolph, Stiftung Aufarbeitung der SED-Diktatur, Berlin,
Prof. Dr. Martin Sabrow, Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung, Potsdam (Vorsitzender).

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