Dokumentation

"Wir brauchen keine andere Republik"

Vera Lengsfeld et al. reagieren mit einer "Berliner Antwort" auf die "Erfurter Erklärung"

Ehemalige DDR-BürgerrechtlerInnen, die inzwischen zumeist bei der CDU gelandet sind, formulieren heftige Kritik an der "Erfurter Erklärung".

Wir dokumentieren ihre auch von einigen Westdeutschen unterschriebene "Berliner Antwort".

Die "Erfurter Erklärung" vom 9. Januar 1997 von Theologen, Schriftstellern, Gewerkschaftlern und Wissenschaftlern, die eine zukünftige Zusammenarbeit von PDS, Bündnisgrünen und SPD fordern, ist Ausdruck der Verbitterung alter und neuer Linksreaktionäre über das Verschwinden einer realsozialistischen Alternative zur parlamentarischen Demokratie und sozialen Marktwirtschaft. Sie dient der geplanten Weißwaschaktion der PDS auf ihrem bevorstehenden Parteitag. Die SED-Nachfolgerin soll nach Willen der Unterzeichner zu einer Partnerin in einer großen Linkskoalition zum Sturz der Regierung Kohl werden.

Die Vereinigungsgegner in Ost und West von 1989/90 haben mit der Erfurter Erklärung zu gemeinsamer politischer Strategie und Programmatik gefunden. Sie nutzen die Arbeitslosigkeit und veränderte wirtschaftliche und soziale Bedingungen für ihre politischen Ziele, die in der Konsequenz zu einem Staatssozialismus im Geiste einer reformierten DDR führen sollen. Dabei setzen sie dreist die von den Kommunisten in ganz Osteuropa angerichteten Schäden in Billionenhöhe auf die Rechnung des freiheitlichen Rechtsstaates.
[...]

Die Unterzeichner der Erfurter Erklärung möchten anknüpfen an außerparlamentarische Bewegungen in der Bundesrepublik. Gerade die Erfahrungen mit der westdeutschen Friedensbewegung haben gezeigt, dass dort, wo die DKP, der Westapparat der SED, Einfluss gewann, undemokratische Ziele verfolgt wurden. Es kam zur Ignoranz gegenüber den oppositionellen Friedens- und Demokratiebewegungen in der DDR und anderen osteuropäischen Ländern.
[...]

Unter dem Vorwand, die Regierung Kohl müsse abgewählt werden, verfolgen die Erfurter Unterzeichner erst einmal das Nahziel, jene Politiker in Bündnis 90/Die Grünen und SPD in Schwierigkeiten zu bringen, die sich einer Zusammenarbeit mit der SED-Nachfolgepartei noch widersetzen. Die Unterzeichner scheuen selbst die Geschichtsklitterung nicht. Der Herbst 1989 steht für sie nicht für den Sturz der SED-Diktatur, sondern für die kurze Zeit des Modrow-Sozialismus, in der die alten SED- Kader alles dafür taten, um ihre Partei, Positionen und Kapital in die neue Zeit hinüber zu retten. Seit dem "Aufruf für unser Land" vom November 1989, als einige der Unterzeichner an der Seite von Egon Krenz die DDR als soziales Musterland retten wollten, haben sich linke Intellektuelle nicht wieder so blamiert.

Sie alle haben auf die Herausforderungen der Gegenwart keine praktikablen Antworten, sondern offerieren staatssozialistische Visionen. Wer gar von einem "Kalten Krieg gegen den Sozialstaat" spricht und zum Klassenkampfdenken auffordert, propagiert den sozialen Bürgerkrieg und stellt damit die Grundlage unseres politischen und gesellschaftlichen Systems in Frage. Aus einer solchen Perspektive ist die Einbeziehung der SED-Nachfolgepartei in ein Reformbündnis nur konsequent.

Wie soll der politische Zustand dieser "staatssozialistischen Demokratie" beschaffen sein? Wird Gerhard Zwerenz dann die Gelegenheit haben, seine schwarzen Gedächtnislisten polizeilich abzuarbeiten? Er hatte dies ja schon öffentlich angekündigt, als Bärbel Bohley Gregor Gysi kritisierte. Wird Daniela Dahn die westlichen "Kolonisatoren" vertreiben können? Sie hat in ihrem letzten Buch zynisch bedauert, dass die Stasi die Oppositionellen nicht in ostdeutsche Schlösser interniert habe, weil die Internierten diese dann wenigstens von innen hätten betrachten können, bevor sie von den Westdeutschen aufgekauft worden seien.
[...]

Es ist eine Binsenweisheit, dass an den sozialen und ökonomischen Grundlagen der Demokratie gearbeitet werden muss. Es gibt sozial schlecht gestellte Gruppen: Langzeitarbeitslose, Alleinerziehende, Jugendliche ohne Ausbildungsplätze. Andere Politikbereiche, wie Ausländer- und Umweltfragen, Dritte-Welt- und Weltmarktprobleme usw. stellen Herausforderungen dar. Dafür wird gute Politik gebraucht, keine andere Republik. Die Suche nach Lösungen darf sich nicht in den Grenzen staatssozialistischer Konzepte der SED-Nachfolgepartei bewegen.

Noch müssen Demonstranten in Europa mit Kerzen gegen kommunistische Wahlfälscher und die Wiederkehr alter Verhältnisse vorgehen. Dort wird schon wieder eine "neue geistig- moralische Wende" zum Staatssozialismus gefordert.

Das Erfurter Papier zeigt, welche Berechtigung die schon von manchen als verstaubt betrachtete Frage "Freiheit oder Sozialismus" hat. Es führt uns vor allem die Notwendigkeit vor Augen, die Demokratie und den Sozialstaat vor dem Pleitesozialismus zu schützen.

Angelika Barbe, Berlin; Prof. Dr. Gerhard Besier, Heidelberg; Rainer Eppelmann, MdB, Berlin; Karl-Wilhelm Fricke, Köln; Jürgen Hauskeller, Pfarrer in Sondershausen; Uwe Hilmar, Berlin; Wolfgang Kupke, MdS, Halle; Vera Lengsfeld, MdB, Sondershausen; Prof. Dr. Peter Maser, Telgte; Ehrhart Neubert, Berlin; Hildigund Neubert, Berlin; Günter Nooke, Berlin; Dr. Klaus Schroeder, Berlin; Arnold Vaatz, Staatsminister, Dresden; Prof. Dr. Manfred Wilke, Berlin; Prof. Dr. Michael Wolffsohn, München; Dr. Ulrich Woronowicz, Superintendent i. R., Berlin

aus: taz Nr. 5132 vom 20.01.1997

Δ nach oben