Der "Demokratische Aufbruch" und die deutsche Frage

Die Vereinigung der beiden deutschen Staaten ist ein Thema, aber für uns jetzt nicht das Thema Nr. 1. Jetzt gilt es, die demokratische Entwicklung in unserem Land, die erst am Anfang steht, unumkehrbar zu gestalten. Wir kämpfen zunächst um eine umfassende Wirtschaftsreform, um gleichberechtigten Zugang zu allen Medien, um ein neues Wahlgesetz und um die restlose Auflösung der stalinistischen politischen Strukturen.

Und doch bewegt die deutsche Frage, die Zukunft beider deutscher Staaten im Herzen von Europa, die Menschen unglaublich. Das Für und Wider einer deutschen Einheit bildet einen neuen Riss in unserer Gesellschaft, gefördert durch eine intolerante und verantwortungslose Polemik der SED-PDS unter der Überschrift "Angetreten gegen rechts" (ganzseitige Anzeige im ND)! So einfach ist das; wer für eine Vereinigung ist, ist ein Rechter, ein Nationalist, wer wider die Vereinigung ist, ist ein Linker, ein Sozialist. Diese undifferenzierte Betrachtung erschreckt uns. Deshalb ist eine klare Stellungnahme des "Demokratischen Aufbruchs" zur deutschen Frage notwendig.

Wir finden uns mit der Spaltung Deutschlands nicht ab. Wir streben nach einer Überwindung der Teilung unter folgenden Voraussetzungen:

- Abschluss einer Friedensordnung in Europa bei gleichzeitiger Anerkennung aller bestehenden Grenzen

- Selbstbestimmungsrecht der Deutschen in der DDR und der BRD einschließlich Abzug aller alliierten Truppen innerhalb einer festzusetzenden Frist

- ausschließlich friedliche Festlegungen mit den europäischen Nachbarn als umfassende kooperative Politik in Europa

Der Weg führt von vertraglicher Bindung zwischen den deutschen Staaten über einen Staatenbund zu einem Bundesstaat. Die Länge de Wegstrecke wird vorrangig durch die wirtschaftliche Entwicklung der DDR bestimmt, der Weg selbst muss durch alle Bürger gebaut, bzw. gestaltet werden. Unsere ökonomische Situation lässt uns keinen Spielraum für sozialistische Experimente. Eine Wirtschafts- und Währungsunion muss angestrebt werden, denn nur durch ökonomische Leistungsfähigkeit können wir die sozialen Errungenschaften absichern, die Umweltprobleme lösen und eine weitgehende Vollbeschäftigung sichern. Wir sind für eine Einheit der deutschen Nation in Würde und Gleichberechtigung! Ein Traum von Wiedervereinigung heute, Porsche morgen und den Bahamas übermorgen entspricht nicht den Realitäten in Europa und in den beiden deutschen Staaten.

Wir alle können gewiss sein: Die vielfältigen familiären, kulturellen, wirtschaftlichen und historischen Gemeinsamkeiten gilt es zu bewahren und zügig auszubauen, damit zusammenwächst, was zusammengehört. Gemeinsame Verantwortung gegenüber der Natur bzw. der Umwelt sowie gegenüber dem Frieden in der Welt wird die Annäherung und somit die Einheit der deutschen Nation fördern.

Das Herangehen der SED-PDS an das Problem des Rechtsradikalismus ist beängstigend. Auch wir verurteilen rechtsradikale, faschistische und chauvinistische Schmierereien und Übergriffs auf das Schärfste. Hier ist der Einsatz rechtsstaatlicher Mittel (Polizei, Zoll) notwendig und zur Zelt ausreichend. Demonstrationen und groß angelegte Publikationen dokumentieren zwar die Ablehnung dieser Tendenzen, sind aber nicht geeignet, deren Ausbreitung zu verhindern. Die Einheitsfront aller in der DDR offiziell wirkenden Kräfte gegen den Rechtsradikalismus ist da, sie braucht nicht beschworen zu werden. Wichtiger ist es, differenziert auf die Zielgruppen dieser Bewegung, besonders auf die Jugend, einzugehen, um einer weiteren Ausbreitung entgegen zu wirken. Wir alle haben uns die Demokratie in einer großartigen, friedlichen Revolution im Herbst 1989 erkämpft. Wir dürfen sie weder durch ein Aufkommen des Rechtsradikalismus noch durch ein Wiedererstarken des Stalinismus gefährden lassen. Beide streben eine Diktatur der Minderheit über die Mehrheit des Volkes an. Wir wollen ein demokratisches, entmilitarisiertes und humanistisches Deutschland in einem geeinten Europa schaffen.

Demokratischer Aufbruch
Kreisorganisation Cottbus

aus: Lausitzer Rundschau, Nr. 9, 11.01.1990, 39. Jahrgang, Sozialistische Tageszeitung für den Bezirk Cottbus

Δ nach oben