Demokratischer Aufbruch:

CDU-West natürlicher Verbündeter beim Umbau der Gesellschaft

Unser schweres Erbe und Ludwig Erhards Radikalkur

Stalinistische Strukturen, verwaltet von der SED, haben uns länger als 40 Jahre beherrscht. Wir haben vergessen, dass Politik Dienstleistung für das Volk sein muss und Parteipolitik - wie der Name Partei (pars [lat.] = Teil) besagt - Politik für einen bestimmten Teil der Bevölkerung.

Rechtsstaatlichkeit, das Bekenntnis zur deutschen staatlichen Einheit und die Schaffung einer sozialen und ökologischen Marktwirtschaft sind Eckpunkte im Programm des DA. Damit unterscheiden wir uns kaum von anderen Parteien und Gruppen. Aber das totale Versagen des bisherigen Systems zwingt alle gleichermaßen, sich an den Demokratieerfahrungen westeuropäischer Länder, insbesondere der Bundesrepublik, zu orientieren. Dreh- und Angelpunkt unserer weiteren Entwicklung ist die Konsolidierung der wirtschaftlichen Lage. Wenn es uns nicht gelingt, im Rahmen einer neuen Wirtschaftsordnung Werte zu erwirtschaften, können wir im sozialen und ökologischen Bereich auch nichts verteilen.

Versetzen wir uns an den Ausgangspunkt der Entwicklung der drei westlichen Besatzungszonen in Deutschland nach Ende des zweiten Weltkrieges. Mangel. Zerstörung und Entbehrung bestimmten die Situation. In dieser Hoffnungslosigkeit entwarfen Ludwig Erhard (CDU) u.a. (W. Eucken, F. Böhlen und A. Müller-Arnau) das phantastisch anmutende Konzept, die Wirtschaft nur noch über den Wettbewerb und den Markt zu steuern. Der Staat hatte die Aufgabe, einerseits die Funktionsbedingungen des Marktes zu garantieren und andererseits für den Schutz der sozial Schwachen und der natürlichen Lebensgrundlagen Sorge zu tragen. Die Umsetzung dieses Programms in die Praxis führte zu dem, was wir heute soziale Marktwirtschaft nennen. Gegner warnten damals eindringlich, "dass man einen todkranken Mann nicht einfach ins kalte Wasser werfen könne". Erhard entgegnete, "Demokratie und freie Wirtschaft gehören logisch ebenso zusammen wie Diktatur und Staatswirtschaft". Auch die SPD hat nach anfänglichen Widerständen im Laufe der Jahre akzeptiert, dass dieses Konzept trotz aller Mängel im Wesen erfolgreich war.

Wir begreifen deshalb die Schaffung der sozialen Marktwirtschaft als eine Chance, die es mit Elan zu nutzen gilt. Die CDU und auch die FDP der Bundesrepublik können wir dabei als unsere natürlichen Verbündeten ansehen. Wir wenden uns deshalb mit unserer Politik an all jene, die an die Zukunft glauben.

Wir haben ein schweres Erbe angetreten. Es liegt aber auch viel Leistungsvermögen brach. Der DA möchte Bedingungen schaffen, unter denen es sich lohnt, die eigenen Fähigkeiten in der Gesellschaft einzusetzen.

Angela Merkel

aus: Podium, die Seite der neuen Parteien, Initiativen und Gruppierungen in der Berliner Zeitung, Jahrgang 46, Ausgabe 35, 10.02.1990