"Ergebnisse bis zum Frühjahr"

Ehrhart Neubert, Mitglied des "Demokratischen Aufbruchs" und Mitarbeiter im Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR

taz: Es ist nicht ganz eindeutig, von wem der Vorschlag für einen runden Tisch überhaupt kommt. Können Sie etwas zur Vorgeschichte sagen?

Ehrhart Neubert: Dieser Vorschlag zum runden Tisch ist schon von einzelnen Stimmen im Oktober gekommen. Der "Demokratische Aufbruch" hat ihn am 6. November in einer Pressekonferenz gefordert, aber vorher hat ihn auch schon eine Kommission, in der alle Oppositionsgruppen vertreten waren, vorgeschlagen, also "Demokratischer Aufbruch", "Demokratie Jetzt", SDP, "Vereinte Linke", Grüne und einzelne Vertreter des Neuen Forums. Außerdem gab es in den letzten Tagen eine Zusammenkunft mit Vertretern der evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg, in der die Gruppen diesen Vorschlag erläutert haben und auch die Kirchen gebeten haben, in dieser Frage aktiv zu werden.

Und worauf führen Sie zurück, dass die SED doch so überraschend schnell darauf eingeschwenkt ist?

Dass sie jetzt darauf reagiert, scheint vor allem darin begründet zu sein, dass alles so offensichtlich ist. Dass nur mit einer ganz breiten Beteiligung der Opposition, der Künstler und der Kirchen noch einmal glaubwürdige Politik gemacht werden kann. Der runde Tisch hat ja zunächst einmal keine parlamentarische Funktion, sondern er hat ja mehr ein politisch-moralisches Gewicht. Er wird jetzt gebraucht, um die Weichen für die Demokratisierung zu stellen.

Aber sind die unterschiedlichen Organisationen der Opposition schon auf solche Verhandlungen vorbereitet?

Die SED scheint die Opposition überholen zu wollen, um die Initiative wiederzugewinnen - das hat sie ja selber auch betont. Wir selbst haben haben ja die Forderung nach dem runden Tisch gestellt, und natürlich haben wir schon Überlegungen angestellt, wie es funktionieren sollte, was man dort besprechen sollte, in welcher Richtung wir zu gehen hätten . . .

Und was sollte da besprochen werden?

Eine - vielleicht auch vorläufige - Verfassungsänderung, ein Wahlgesetz und vor allem die Bedingungen der Wahlen. Gerade wir vom "Demokratischen Aufbruch" fordern deswegen die Enteignung aller alten Parteien beziehungsweise Chancengleichheit für die neuen, zum Beispiel ihre Möglichkeiten, an die Öffentlichkeit zu gehen. Der runde Tisch sollte aber auch wirtschaftliche Sofortmaßnahmen mit im Auge haben und schließlich die Frage klären, an welchen Inhalten sich eine zukünftige DDR-Identität festmacht.

Denken Sie, dass es den verschiedenen oppositionellen Gruppen gelingen wird, eine gemeinsame Position gegen SED und Blockparteien zu entwickeln?

Ja aber sicher. Von den Strukturen her ist es für SDP und den "Demokratischen Aufbruch", also die beiden Parteien, ganz einfach, miteinander zu reden. "Demokratie Jetzt" wiederum hat inhaltlich fast die gleichen Positionen wie der "Demokratische Aufbruch". Die Grünen und kleinere Initiativen haben sich bis jetzt auch als konstruktiv erwiesen. Und das Neue Forum, das vorläufig noch keine so feste Struktur hat und auch noch kein Programm, das in allen Teilen der DDR gilt, hat aber mit den einzelnen Vertretern, mit denen wir zu tun gehabt haben, konstruktive Partner geschickt. Ich denke, dass die auch wissen, dass wir jetzt, wo alles so schnell geht, die größte Chance haben, wenn wir zusammenstehen. Das wird ein übriges tun, um unsere internen Verhandlungen schnell zu Ende führen zu können.

Und in welchen Zeithorizont denken Sie bei diesen Gesprächen am runden Tisch? Sollten Ergebnisse noch vor dem Parteitag der SED Mitte Dezember erzielt werden, oder wird sich das länger hinziehen?

Ich denke, dass wir erst im Dezember, nach den Parteitagen der SED, der CDU und des "Demokratischen Aufbruchs", der am 16./17. Dezember in Leipzig stattfinden wird, den runden Tisch arbeiten lassen sollten. Die Verhandlungen würden dann bis in das Frühjahr hinein gehen - einige Sofortmaßnahmen gäbe es natürlich gleich -, so dass ab Frühjahr die Vorbereitungen für die Wahl im September laufen können. Der "Demokratische Aufbruch" hat vorgeschlagen, andere haben sich dem angeschlossen, zum 30. September die Wahl durchzuführen.

aus: taz, 24.11.1989

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