Auch mit 1:1 lassen sich soziale Härten nicht ausgleichen

Stephan Bickhardt, vor dem Umbruch als Vikar bei der Evangelischen Kirche beschäftigt, einer der Oppositionellen der ersten Stunde und heute Geschäftsführer von "Demokratie Jetzt", über die psychologischen Folgen des Streits über 1:1

taz: Was bedeutet 1:1 aus der Sicht eines DDR-Oppositionellen?

Bickardt: Aus der Sicht eines Schon-Wieder-Oppositionellen? "Demokratie Jetzt" hat sich immer dafür eingesetzt, einen langsamen Weg hin zu einem Währungsverbund zu gehen und dem Ziel, in einen europäischen Währungsverbund eingebunden zu werden, den Vorrang gegeben. Wir hatten immer Vorbehalte hinsichtlich dieses schnellen 1:1-Verbundes. Dies nicht nur unter wirtschaftlichen, sondern auch unter politischen Gesichtspunkten, weil dies auf den Feldern der Rechts- und Sozialpolitik einer Einvernahme der DDR gleichkommt.

Wir akzeptieren andererseits das Wählervotum, das auf dem Versprechen von Kohl basiert, und sehen unter diesem Gesichtspunkt ein differenziertes Vorgehen als richtig an.

1:2 würde die DDR auch politisch-psychologisch gesehen die DDR auf die zweite Stelle rücken. Die Umstellung von Löhnen und Renten auf 1:1 ist aus unserer Sicht eher problematisch, weil eine Umstellung der jetzigen Reallöhne auf 1:1 bei den steigenden Lebenshaltungskosten und dem sehr niedrigen Lohnniveau vor allem großen Familien aber auch alleinstehenden Frauen mit Kindern erhebliche Probleme bereiten wird.

Eine Sekretärin zum Beispiel verdient 800 Mark brutto, sie bekommt 600 Mark netto. Wie soll sie, wenn sie zwei Kindern hat, mit diesem Gehalt die bald steigende Miete, Kleidung und Ernährung finanzieren können? Eigentlich sind hier noch soziale Härten auszugleichen, so dass für bestimmte soziale Gruppen der Umtauschkurs höher sein sollte. Dasselbe gilt natürlich auch für die Rentner, die die Mindestrente bekommen. Mit 350 Mark kann man unter den neuen Bedingungen nicht leben.

Wer soll das bezahlen?

Diese Frage hat sich ja vor den Wahlen interessanterweise nicht gestellt. Hier sollen diejenigen, die die große Klappe hatten, um Wählerstimmen einzusammeln, das, was es an Kapitalüberschüssen und Rücklagen in westlichen Konzernen gibt, dafür einsetzen.

Die Entscheidung für 1:1 kommt ja doch etwas überraschend. Hat das etwas mit der politischen Entwicklung in der DDR zu tun?

Sicher trägt das dem Rechnung, dass die Koalitionsregierung sich so uneingeschränkt zu dem 1:1-Umtauschkurs bekannt hat, andererseits dass man nicht öffentlich als Wahlbetrüger dastehen will. Und schließlich dass man in Bonn eine Entscheidung wollte, die die Verunsicherung abbauen würde, die die Lust mindert, in der DDR zu investieren. Kohl will offensichtlich das Heft in der Hand behalten, um bei gesamtdeutschen Wahlen gewinnen zu können.

Was mich bei der ganzen Sache irritiert, ist, dass die Bundesbank und deren Präsident Pöhl sich in dem ganzen Prozess von A bis Z haben über den Tisch ziehen lassen. Ursprünglich war deren Position ja die gleiche, die heute die Opposition vertritt: ein langsames Heranführen der DDR an das westliche Währungs-, Wirtschafts- und Lohnniveau.

Welche Rolle haben für die jetzige Entscheidung die Kommunalwahlen in zwei Wochen gespielt? Gab es wegen der Frage des Umstellungskurses einen Stimmungsumschwung?

Einen Stimmungsumschwung hat das nicht ausgelöst. Es hat zweifellos Ernüchterung ausgelöst, aber dass die Stimmengewinne für die CDU wesentlich niedriger liegen werden, den Eindruck habe ich nicht. Ich bin am Wochenende in der Magdeburger Börde in verschiedenen Ortschaften gewesen und habe mit diversen Leuten auf einer Hochzeitsgesellschaft gesprochen. Ich hatte nicht den Eindruck, dass die in irgendeiner Weise umkippen.

Die Leute, die bei den Volkskammerwahlen CDU gewählt haben und Kohl meinten, könnten jetzt wieder CDU wählen und de Maizière meinen, weil er konsequent an Kohlsche Wahlversprechen erinnert hat und insgesamt ein integres Bild abgibt.

Interview: Walter Süß

aus: taz Nr. 3090 vom 24.04.1990

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