Die CSU stand als Schwesterpartei Pate

BZ-Interview mit Dr. Joachim Schmiele, DSU

Die DSU entstand in Leipzig Ende Januar recht exakt nach dem Muster der CSU in Bayern. Zwölf liberale und konservative Oppositionsgruppierungen schlossen sich unter weitestgehender Orientierung auf die sofort als große Schwester agierende, äußerst konservative BRD-Partei zusammen.

BZ sprach mit dem stellvertretenden Landesvorsitzenden der DSU Berlin, Dr. Ing. Joachim Schmiele (41 Jahre, tätig an der IHS Wartenberg, verheiratet, 1 Kind).

BZ: Es gibt eine große Übereinstimmung politischer Inhalte und Ziele von DSU und CSU. Oder sehen Sie wesentliche Unterschiede?

Dr. Schmiele: Jein. Als Schwesterpartei steht uns die CSU natürlich sehr nahe. Ähnlichkeiten gibt es auch im Hinblick auf die regionale Zuständigkeit. Die CSU ist vor allem in Bayern vertreten. Wir haben unsere besondere Starke in Thüringen und Sachsen.

Die politischen Ziele sind zwar ähnlich aber nicht gleich, denn in unserem Land gibt es eine ganz andere Situation. Wir müssen gewissermaßen erst das Autofahren lernen - in der BRD kann man es schon.

BZ: Und Sie wollen es mit Hilfe des Fahrlehrers CSU packen. Auf welchen Weg führt das?

Dr. Schmiele: Zur sozialen Marktwirtschaft. Das ist eine Wirtschaftsreform, die sich an den Eigenschaften der Menschen orientiert, die nach Anerkennung streben, Bester sein wollen. Diese Eigenschaften sollen zum Nutzen des Zusammenlebens kanalisiert werden - und das zwingt in der Konsequenz zur Marktwirtschaft, die über Konkurrenz, Käufer, Preise usw. die Produktion steuert. Und im Ergebnis erwirtschaftet eine sich frei entfaltende Industrie erhebliche Geldmittel. Damit kann das soziale Auffangnetz finanziert werden.

BZ: Die DSU ist die wohl vehementeste Vertreterin des sofortigen Anschlusses der DDR an die Bundesrepublik. Ernstzunehmende Experten von Industrie, Justiz, Finanzwesen der BRD warnen für meine Begriffe sehr überzeugend vor so überhastetem Tun, das allerdings Illusionen so manchen Wählers entspricht und sie nährt.

Dr. Schmiele: Der schnellstmögliche Anschluss ist von der DSU in der Tat gewünscht. Zu den Befürchtungen kann ich nur sagen: Dabei wird in der DDR der föderative Charakter der Bundesrepublik vergessen. Die Väter des Grundgesetzes beabsichtigen, gerade die zentralistischen Strukturen, wie z.B. im Dritten Reich oder in der DDR zu verhindern. Darum schrieben sie die Eigenständigkeit der Länder mit ihrer Kulturhoheit und anderen eigenen Rechtsregelungen fest. Das würde auch für Ex-DDR-Länder gelten.

Die Angst, die jetzt umgeht, ist also unberechtigt. Wir werden zudem einen wahren Wirtschaftsboom erleben. Unsere Situation ist vergleichbar mit der Lage der Bundesrepublik nach dem Krieg. Es kommt nur Neuaufbau in Frage, und damit gibt es in absehbarer Zeit keine Altlasten mehr, sondern nur eine sehr konkurrenzfähige Industrie.

Wir sind uns sehr wohl im klaren, dass Übergangsprogramme notwendig sind und haben konkrete Konzepte für sichere Renten und Sparguthaben, für Mieterschutz. Um das alles zu finanzieren, bedarf es natürlich der starken Wirtschaft.

BZ: Die Väter des Grundgesetzes der BRD gingen von dessen Übergangscharakter aus. Will die DSU ignorieren, dass es vor allem in den letzten Monaten bemerkenswerte demokratische Erfahrungen in der DDR gab, die es Wert sind, eingebracht zu werden?

Dr. Schmiele: Das Grundgesetz schafft nur die Basis für die Einheit Deutschlands. Es ist ja keine Verfassung. Diese Arbeit muss erst noch geleistet werden. Aber ein so grundlegendes Gesetzeswerk bedarf parlamentarischer Arbeit von mindestens acht Jahren. Wir hätten, um das Rad nochmal zu erfinden, eben diese acht Jahre Arbeit vor uns. Und viele Dinge haben sich im Grundgesetz als gut erwiesen. Außerdem: das Grundgesetz gibt nur die politische Linie und die Staatsstruktur des Föderalismus vor.

BZ: Diese Art, die DDR zu schlucken, bedeutet für mich zugleich Aufgabe der gerade erst errungenen Chance zur Selbstbestimmung. Ganz abgesehen von den sozialen Folgen.

Dr. Schmiele: Selbstbestimmung gab es in der DDR unter der SED doch nie. Außerdem müssten wir andernfalls die Zeche der alten Machthaber bezahlen. Als neue Partei wollen wir das aber nicht. Außerdem: Täglich verlassen uns immer noch Tausende. Das können wir nicht ignorieren, müssen also eine Perspektive bieten. Zum Beispiel mit der sofortigen Einführung der D-Mark, mit der Schaffung von Privateigentum und Gewerbefreiheit.

Soziale Marktwirtschaft hat sich nicht zum Ziel gesetzt, Errungenschaften zu zerstören, sondern Sozialleistungen zu ermöglichen. Allerdings nicht auf Pump. Um das zu erreichen, muss Leistung an oberster Stelle stehen. Außer für jene, die aus gesundheitlichen oder bestimmten sozialen Gründen gehandicapt sind. Manchester Kapitalismus wollen wir nicht. Darum brauchen wir u.a. eine Arbeitslosenversicherung, ein Umschulungs- und Qualifizierungsprogramm.

Das Gespräch führte
Bettina Urbanski

aus: Berliner Zeitung, Jahrgang 46, Ausgabe 60, 12.03.1990. Die Redaktion wurde mit dem Karl-Marx-Orden, dem Vaterländischen Verdienstorden in Gold und dem Orden "Banner der Arbeit" ausgezeichnet.

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