Starke Gewerkschaften unter dem Dach eines neuen FDGB

Berlin. Das Vorbereitungskomitee, für den außerordentlichen Kongress des FDGB gab am Dienstag eine Pressekonferenz. ND bat Werner Peplowski, den Vorsitzenden des Komitees, wenige Stunden zuvor um ein Exklusivinterview.

ND: Am 31. Januar und 1. Februar kommen die Delegierten zu ihrem Kongress in Berlin zusammen. Wie ist die Stimmung unter den Gewerkschaftern wenige Tage vor dem Kongress? Welche Forderungen erheben die Kollegen?

Werner Peplowski: Der FDGB soll künftig ein Dachverband mit starken Industriegewerkschaften und Gewerkschaften sein. Seinen Apparat wollen wir weiter reduzieren. Er wirkt künftig in den Territorien nur noch als Geschäftsstelle. Die Kollegen verlangen nach einem Streikrecht, nach Tarifautonomie für die Industriegewerkschaften. Die Finanzhoheit der Gewerkschaften wird angestrebt. Eine hauptsächliche Kritik konzentriert sich auf das undurchsichtige Finanzgebaren des "alten" FDGB. Dieser "Bittermandelgeschmack" bleibt so lange, bis eine Offenlegung der Finanzlage des FDGB erfolgt. Das wollen wir auf dem Kongress erledigen.

ND: Ein Entwurf des Gewerkschaftsgesetzes stand gestern der "Tribüne", die Novellierung des Arbeitsgesetzbuches ist in Arbeit. Welche erweiterten Rechte für die Gewerkschaften sieht sie vor?

Werner Peplowski: Zum Beispiel ein Aussperrungsverbot. Mit letzterem hätten wir einen wesentlichen Vorteil etwa gegenüber Gewerkschaftern in der BRD. Das Gewerkschaftsgesetz wird Festlegungen zu einer Streikkasse enthalten, aber auch zu Urabstimmungen beispielsweise über einen Streik. Im Gesetz soll ein Vetorecht der Gewerkschaften in Betrieb und Staat festgeschrieben werden. Es sieht Bestimmungen zum Schutz und zur Wahrung der Interessen der Gewerkschaftsfunktionäre vor, unter anderem Freistellung von der Arbeit für die gewerkschaftliche Tätigkeit.

ND: Bei der Diskussion um das neue Wahlgesetz geht die Rede davon, nur Parteien sollen ins Parlament einziehen. Damit wäre der FDGB draußen.

Werner Peplowski: Ich vertrete ohnehin die Auffassung, dass die Gewerkschaft sich aus dem Parlament zurückzieht und im vorparlamentarischen Raum an der Gestaltung der Gesellschaft teilnimmt. Der Entwurf des Gewerkschaftsgesetzes billigt dem FDGB auch unter diesen Bedingungen die Gesetzesinitiative zu.

ND: Das alte Arbeitssekretariat des Bundesvorstandes hatte kurz vor seiner Absetzung eine veränderte Beitragsordnung festgelegt. Überdies zahlen Grundorganisationen ihre Beiträge auf Sperrkonten. Man hat den Eindruck, der FDGB ist langsam knapp bei Kasse.

Werner Peplowski: Dramatisch ist die Lage nicht unbedingt. Allerdings tut uns jede nicht bezahlte Mark weh. Andererseits erwarten die Mitglieder ja auch, dass der FDGB die satzungsgemäßen Leistungen garantiert. Die Kollegen verlangen "durchsichtige" Finanzen. Wenn das mit der Übernahme der Konten durch die Industriegewerkschaften geschieht, so hoffe ich, stabilisiert sich auch die Beitragszahlung.

ND: Um beim Thema Geld zu bleiben: Die gewerkschaftliche Tarifpolitik soll in Zukunft eine ganz andere werden. Ein Grundsatzantrag liegt dazu für den Kongress vor. Können Sie in wenigen Sätzen sagen, worum es darin geht?

Werner Peplowski: Zuallererst erwarten wir, dass die Minister die erforderlichen Rahmenbedingungen erhalten, um mit den Gewerkschaften zu verhandeln. Es ist nötig, die Rahmenkollektivverträge neu abzuschließen. Das Leistungsprinzip soll tarifrechtlich untersetzt werden. Bislang fiel der leistungsabhängige Lohnteil relativ gering aus. In einem Gespräch unlängst mit der ehemaligen Finanzministerin Uta Nickel hatten wir eine Frage aufgeworfen, die zwar nicht unmittelbar zur Tarifpolitik gehört, die wir aber für die soziale Sicherung für unabdingbar halten. Wir wollten wissen, ob die Regierung plant, einen Fonds für die Unterstützung von Arbeitslosen einzurichten. Bisher wurde das verneint. Wir fordern, dass die Regierung umgehend etwas unternimmt. Nach Auskünften der Arbeitsämter und Hochrechnungen der Gewerkschaftshochschule schätzen wir, dass es trotz vieler freier Stellen zwischen 80 000 und 85 000 Arbeitslose gibt. An der Gewerkschaftshochschule wurde eine Kontaktstelle eingerichtet, bei der sich Arbeitslose melden können. Der Ansturm war groß.

ND: Umstritten ist die Haltung zu den Betriebsräten, die in einigen Betrieben schon gewählt wurden. Welche Haltungen haben Sie dazu?

Werner Peplowski: Als Gewerkschaftsfunktionär setze ich natürlich zuerst auf die Rechte der Gewerkschaften. Das wird man mir nicht übel nehmen können. International beneidet man uns um die gesetzlich verbrieften Rechte der Gewerkschaften. Nur machen wir noch zu wenig daraus. Was gegenwärtig "rechtens" ist, sollte unbedingt erhalten bleiben. Zum anderen haben einige Kollektive bereits Betriebsräte gewählt. Das müssen wir in Betracht ziehen. Wir werden auf die Räte zugehen und über Zusammenarbeit reden.

Das Gespräch führte Klaus Morgenstern

Neues Deutschland, 45. Jahrgang, Ausgabe 20, 24.01.1990. Die Redaktion wurde 1956 und 1986 mit dem Karl-Marx-Orden und 1971 mit dem Vaterländischen Verdienstorden in Gold ausgezeichnet.

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