"Das ist ein Etikettenschwindel"

Wolfgang Schuenke ist Sprecher der Industriegewerkschaft Metall in der DDR

taz: Sind Sie zufrieden mit den jetzigen Umtauschregelungen?

Schuenke: Nein, damit kann man nicht zufrieden sein. Wir halten die jetzt gefundenen Regelungen für einen Etikettenschwindel.

Wieso?

Aus dem einfachen Grunde, weil bei Berechnung aller Umstände ein 2:1 oder sogar ein 2,5:1 daraus wird. Wenn ich die Bestimmungen der sogenannten Sozialgemeinschaft und das, was in Zukunft an Sozialversicherungskosten auf die Leute zukommt, mit einbeziehe, wenn ich die Steuergesetzgebung der BRD ab 1991 einbeziehe, dann kann man keinesfalls damit zufrieden sein. Dann ist das Etikettenschwindel, ohne dass man überhaupt von der Halbierung der Spareinkommen redet. Bei Produktionsarbeitern werden in der DDR ungefähr 50 Prozent des Einkommens nur mit fünf Prozent besteuert. Sie sind sehr stark steuerbegünstigt. Und das wird natürlich mit der Übernahme des Steuersystems wegfallen.

Was wollen die Gewerkschaften jetzt machen?

Die IG Metall hat wohlweislich zum 30. Juni die Rahmenkollektivverträge gekündigt. Wir sind jetzt in den Verhandlungen mit den Unternehmerverbänden. Die ersten Runden haben begonnen. Es ist ja auch bei den Unternehmerverbänden der Metallindustrie so, dass sie sich erst konstituieren müssen, um überhaupt Tarifpartner zu sein. Es wird eine weitere große Runde mit den Vertretern der Metall- und Elektroindustrie noch in diesem Monat geben, wo die Forderungen der IG Metall auf den Tisch gelegt werden. Diese Forderungen laufen darauf hinaus, die Löhne und Gehälter in der Metall und Elektroindustrie der DDR schrittweise dem Niveau der Löhne in der BRD anzugleichen.

Was heißt schrittweise? In welchen Zeiträumen?

Das wird sich aus den Verhandlungen und der Entwicklung der wirtschaftlichen Lage ergeben müssen.

Wer soll denn das bezahlen? Wenn Sie jetzt Lohnforderungen stellen, haben Sie doch die Auswahl zwischen höheren Löhnen und höherer Arbeitslosigkeit.

Wir werden uns mit unseren Forderungen versuchen zu entscheiden für möglichst große soziale Sicherheit für einen möglichst großen Teil unserer Mitglieder. Niemand weiß, was sich in den nächsten zwei Monaten tut. Wir werden deshalb mit großer Offenheit in die Verhandlungen reingehen, um zu hören, welche Vorstellungen die Vertreter der Unternehmerverbände haben. Sie haben wahrscheinlich relativ wenig Vorstellungen. Wir werden bemüht sein, das maximal Mögliche für unsere Leute herauszuholen.

Das maximal Mögliche bemisst sich doch an der Zahlungsfähigkeit der Betriebe.

Selbstverständlich. Unter diesen Umständen. Alles andere wäre nach meiner Auffassung widersinnig. Man kann doch keinem nackten Mann in die Tasche fassen.

Die Betriebe sind doch mit den jetzigen niedrigen Löhnen nicht konkurrenzfähig.

Das stimmt nicht. Es wird davon abhängen, wie viel Betriebe in Zukunft fähig sein werden, sich diesen Konkurrenzverhältnissen zu stellen. Aber wir haben in der Metallindustrie einen durchaus nicht unbeträchtlichen Anteil von Betrieben, die durchaus markt- und gewinnfähig sind. Das ist erwiesen. Wir haben eine ganze Reihe Exportsicherheiten, Auftragssicherheiten, die bis in die nächsten Monate, vielfach bis ins nächste Jahr hineinreichen, besonders auf dem Cocom-Markt. Also man kann nicht pauschal sagen, die Betriebe seinen nicht konkurrenzfähig.

Sind Sie in den Betrieben aktionsfähig?

Ich glaube, wir werden es unter den obwaltenden Bedingungen schneller erreichen, als von Ihnen mit dieser Frage angenommen wird.

Interview: marke

taz, 04.05.1990

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