Paragraph 218 wieder in Sicht?

Die Angriffe auf das Recht jeder Frau, eine ungewollte Schwangerschaft abbrechen zu können, mehren sich. Die CDU gibt sich schon ganz ungeniert und Teile der Ärzteschaft fordern die finanzielle Beteiligung der Frauen. Die damit einhergehende Verurteilung der betroffenen Frauen darf nicht unwidersprochen hingenommen werden.

So hängt in der gynäkologischen Abteilung der Poliklinik in der Christburger Str. ([Berlin-]Prenzlauer Berg) seit langer Zeit eine Wandzeitung, auf der detailliert die Entwicklung eines Embryos aus seiner (!) Sicht dargestellt ist: u.a. "Ich bekomme Haare und Augenbrauen. Das schmückt mich." oder "Mein Herz schlägt wundervoll. Ich fühle mich so geborgen und bin so glücklich." Dieses sogenannte "Tagebuch" endet mit dem Satz: "Heute hat mich meine Mutter umgebracht." Hier werden Frauen, die sich zu einem Schwangerschaftsabbruch entschließen, eindeutig als Mörderinnen denunziert. Gewürzt ist das Ganze mit entsprechenden Fotos.

Oder: in einem Beitrag zum Problem des Aufkommens Junger Faschisten in der DDR von Konrad Weiß1) taucht in der Aufzählung möglicher Ursachen Folgendes auf: "Immer wieder wurden und werden Konflikte gewaltsam gelöst: Kritiker wurden ausgebürgert, Andersdenkende eingesperrt, Bücher und Zeitungen verboten. Gewalt, im Klassenkampf ausgeübt, gilt als hoher moralischer Wert. Gewalt gegen ungeborenes Leben wird gesellschaftlich sanktioniert." Um Missverständnisse auszuschließen, heißt es weiter unten bekräftigend: "Wir müssen endlich lernen, auf Gewalt, auch gegenüber dem ungeborenen Leben und gegenüber der Natur zu verzichten."

Es ist empörend, wie Frauen mit dem unglaublichen Vorwurf, Gewaltverbrecherinnen zu sein, belastet bzw. beschuldigt werden, auch noch das Entstehen neofaschistischer Gruppen zu begünstigen. Pikant ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass von faschistischen Parteien Abtreibung schon immer als Mord bekämpft wurde und wird (siehe Programm der Republikaner).

Beide Beispiele machen deutlich, wie in dieser Problematik am eigentlichen Problem, den Gründen der Frauen, vorbeigegangen wird; wie Frauen, die abtreiben müssen, mit vorgefertigten Urteilen beiseite geschoben werden. Sie gelten als egoistisch und leichtfertig, als verantwortungslos dem Sex frönende Schlampen. Was zählt die Meinung solcher Unmenschen? Wären sie nicht so, käme es nie zu den vielen ungewollten Schwangerschaften - oder?

In einem Kommentar des Abteilungsleiters der gynäkologischen Abteilung zu besagter Wandzeitung heißt es: "Mindestens 30 % unserer Bevölkerung im gebärfähigen Alter wenden keine brauchbare Methode zur Schwangerschaftsverhütung an, provozieren also regelrecht den Abbruch!"

Augenscheinlich sind Männer in diese 30 % nicht einbegriffen - da nicht "gebärfähig". Kann also die einzige von ihnen anwendbare Methode gleich als "unbrauchbar" eingestuft werden? Gerüchteweise war das ja immer mal durchgesickert und unter vier Augen ließ sich auch ein Fachmann schon zu solcher Äußerung hinreißen, wie: "Kondome haben sie benutzt? Da hätten sie auch Spalttabletten nehmen können." So geschehen in der Charité. Ähnlich sieht es mit den Verhütungsmitteln der Frauen aus. Die "Pille" wurde großartig propagiert, die möglichen Nebenwirkungen nur sachte und wohl dosiert bekannt gemacht. Die Spirale wird zwar in Broschüren und Büchern behandelt, aber die notwendige Auswahl fehlt, das Risiko von Entzündungen und Bauchhöhlenschwangerschaften ist nach wie vor hoch. Wer kann, möge eine für sich passende Spirale von der Westverwandtschaft besorgen lassen. Das Diaphragma, in der hiesigen Literatur vorgestellt, aber nirgends zu haben, muss sowieso auf diese Art beschafft werden.

Nicht nur in Ärztekreisen gilt die Auffassung, dass die Frauen allein dafür verantwortlich sind, wenn sie ungewollt schwanger werden. Dass Verhütung eine partnerschaftliche Angelegenheit zu sein hat, dem wird weder durch das Spektrum der Verhütungsmöglichkeiten, noch in der gynäkologischen Praxis, geschweige denn in der Gesellschaft Rechnung getragen.

Wer das Recht auf Abtreibung abschaffen will, dem geht es nicht um die Bewahrung des Lebens schlechthin, sondern um die Bewahrung bewährter herrschaftssichernder patriarchalischer Strukturen des Lebens. In diesen Strukturen hat die Frau neben ihrer biologischen Funktion für eine ausreichende Reproduktion der Arbeitskraft aller zur Familie gehörenden zu sorgen. Die proklamierte Gleichberechtigung hat ihr die Möglichkeit gebracht, nicht mehr nur ihrem Patriarchen dienen zu müssen; sondern ihre Dienste auch außerhalb der Familie anbieten zu können. In sozialen Berufen (Pflege- und Hegetätigkeit), die überwiegend von Frauen ausgeübt werden, liegt die durchschnittliche Bezahlung niedriger als in männerdominierten Zweigen wie der Schwerindustrie zum Beispiel. Die Frau in der DDR unterliegt einem Pflichtenkreis, der sich nur in unwesentlichen Teilen von dem anderer Länder unterscheidet. Sie hat auch hier nicht das Recht auf ein selbstbestimmtes, von Männern unabhängiges Leben, zu dem auch die Sexualität gehört.

Mädchen werden neben vielem anderen immer noch dazu erzogen, den "Mann fürs Leben" zu finden und sich mit anderen, die sowieso "nur das eine wollen" (und dürfen!), gar nicht erst einzulassen. Also Sexualität nur mit dem Partner, der auch für die Gründung der Familie in Frage kommt? Und da ist es schon - das Kardinalproblem: Die Frau wird nicht als eigenständiges Wesen geduldet, das sich auch für ein Leben ohne Kinder entscheiden kann und/ oder die Abhängigkeiten einer Ehe ablehnt. Im Gegenteil, der Mythos, dass der wahre Sinn im Leben einer Frau darin liege, Kinder zu gebären und aufzuziehen, wird genährt, wird von Generation zu Generation ungebrochen weitergegeben.

Entscheidet sie sich für Kinder, bekommt sie Verantwortlichkeiten aufgebürdet, auf die sie in den seltensten Fällen vorbereitet ist. Da der allergrößte Teil unserer Bevölkerung nach wie vor in den Strukturen einer Kleinfamilie lebt, hat die Mutter gleichzeitig den traditionellen Anforderungen an eine Ehefrau zu entsprechen. Der Anteil der im Haushalt und in der Kindererziehung helfenden Männer ist zwar gestiegen, aber die Verantwortung dafür, wie das Ganze läuft, wird den Frauen angelastet.

Frauen werden über ihre Rolle als Mütter und Ehefrauen definiert, Männer sind Väter und Ehemänner, wenn sie Zeit haben. Da sie für vermeintlich andere, "höhere" Aufgaben geschaffen sind, dürfen - ja, müssen - sie diese Bereiche vernachlässigen. Der verschwindend kleine Anteil an Männern und Frauen, die ihr Leben in irgendeiner Weise bewusst entgegen dem staatlich geförderten Familienbild organisieren, ändert nichts an der Gesamtsituation.

Die Familie in ihrer disziplinierenden Funktion hat sich als wirksam erwiesen. Wo kämen die Herrschenden (auf politischer und geschlechtlicher Ebene) hin, wenn jede/r mit jeder/m leben und schlafen könnte, wenn nicht nur zwei Personen die alltäglichen Verrichtungen teilten, wenn zwischen Ehe und Einsamkeit die Alternative von Wohn- und Lebensgemeinschaften mit Freunden oder Freundinnen bestünden?

Wer jedoch am meisten unter gescheiterten Ehen/Beziehungen (dazu zählen eben weit mehr als die geschiedenen) und/oder unter im aufreibenden Alltag am Ende allein gelassenen Müttern leidet, sind doch die Kinder selbst. Die Zahl der Mütter, die mit dem Druck von allen Seiten, dem "Unter-einen-Hut-bringen" von Beruf und Familie, nicht fertig werden und den Kindern neben materiellen Bedingungen die notwendige Zuwendung nicht geben können, ist wahrscheinlich sehr viel höher, als wir es uns vorstellen können. Wie viele Kinder sind es, die zwar sauber gekleidet und mit viel Spielzeug, aber ansonsten unter ärmlichsten Bedingungen aufwachsen müssen? Warum steht das schnellstmögliche Erlernen der "Selbstbedienung" in staatlichen Erziehungseinrichtungen an oberster Stelle? Weil die Kinder sich in die allgemeine Zeitnot und den damit einhergehenden Mangel an Geduld einordnen müssen. In den Elternhäusern kann die straffe Disziplinierung nur noch in wenigen Fällen ausgeglichen werden. Ergebnis ist ein ständiger Schuldkomplex, mit dem Mütter gelernt haben zu leben oder eben nicht.

Wer nimmt sich das Recht, alle Frauen, die sich diesem Geflecht von Anforderungen nicht gewachsen fühlen, des Egoismus anzuklagen? Die vielfältigen Ursachen müssen abgebaut werden, damit der Schwangerschaftsabbruch nur in wenigen Fällen notwendig wird. Das Recht darauf, uneingeschränkt entscheiden zu können, muss aber jeder Frau erhalten bleiben.

Tina Krone

1) s. "Kontext" Nr. 5, 1989 (Februar oder März)

aus: Die Andere, Nr. 7, 08.03.1990, Zeitung für basisdemokratische Initiativen im Auftrag des Landessprecherrates des Neuen Forum, herausgegeben von Klaus Wolfram

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