In Verantwortung für zukünftige Generationen

Tribüne sprach mit Dr. CHRISTINE WEISKE, Parteivorstand

Ist die Grüne Partei ein Abklatsch ihrer bundesdeutschen Schwester?

Nein, auf keinen Fall. Trotz guter Kontakte zu den Grünen in der BRD sind wir eine völlig eigenständige Partei. Deswegen haben wir auf unserem Parteitag in Halle ganz bewusst entschieden, bei dem Namen Grüne Partei zu bleiben.

Nun haben alle Parteien ihrem Programm einen grünen Anstrich gegeben. Fällt es nicht schwer, sich da zu behaupten?

Ich sehe da schon einen wesentlichen Unterschied. Im Gegensatz zu allen anderen ist Ökologie bei uns nicht irgendein Programmpunkt sondern zieht sich durch alle Bereiche als roter Faden, bleibt wichtigstes Kriterium bei allen Entscheidungen. Außerdem kommt es darauf an, nicht nur von Umweltschutz zu reden, sondern auch etwas dafür zu tun.

Seid ihr demnach ein Verband von Naturfreunden, Tierschützern und Anglern?

Sicher macht das einen wichtigen Teil unserer Mitglieder aus. Viele waren früher in der Gesellschaft für Natur und Umwelt und anderen, auch kirchlichen Umweltgruppen aktiv. Was die politische Ebene betrifft, können wir jedoch auf zahlreiche Fachleute verweisen. Wir haben Naturwissenschaftler, Wirtschaftsexperten und Techniker in unseren Reihen, sind also durchaus in der Lage, unsere Vorhaben durch Fachwissen zu untermauern und in reale Politik umzusetzen.

Weder rechts noch links, was eigentlich ist grün?

Ich glaube, das ist noch ein Findungsprozess innerhalb der Partei. Außerdem wäre zu klären, was genau ist "links". Wenn man darunter zum Beispiel Wirtschaftskontrolle und das Verbleiben großer Betriebe in gesellschaftlichem Eigentum versteht, sind wir automatisch links angesiedelt, das muss man dann nicht unbedingt noch so benennen.

Kann man euer Programm ganz kurz fassen?

Da bleibt mir nur, unsere vier Schlagworte zu verwenden: ökologisch solidarisch, basisdemokratisch und gewaltfrei. Wir denken nicht nur an heute, sondern handeln in Verantwortung gegenüber künftigen Generationen.

Wie soll es weitergehen mit der Wirtschaft, welche Eigentumsformen sollen dominieren?

Wir setzen auf die Dezentralisierung der Wirtschaft, einfach schon aus dem Grund, weil in kleineren Wirtschaftseinheiten eine Vielzahl von Problemen wie Be- und Entsorgung viel leichter zu lösen sind. Außerdem sind sie durch den Bürger besser zu kontrollieren. Wir wollen nicht von einem Extrem ins andere fallen und zulassen, dass große Konzerne die Politik diktieren. Monopolbildungen wie MBB, Daimler Benz sind unbedingt zu verhindern. Wir sind für eine Stärkung des genossenschaftlichen sowie auch des Privateigentums in Klein- und Mittelbetrieben. Die unvermeidlichen großen Betriebe müssen, wie gesagt, in gesellschaftlicher Hand verbleiben, sollten natürlich unter anderen Voraussetzungen als bisher arbeiten. Eigenverantwortlich, um wettbewerbsfähig zu bleiben bzw. zu werden.

Wie soll das Mitspracherecht der Beschäftigten gesichert werden?

Wir brauchen unbedingt starke Gewerkschaften, auch das Betriebsratmodell halten wir für sehr gut. Aber das eine schließt ja das andere nicht aus. Der Betriebsrat fungiert als Interessenvertreter der Werktätigen innerhalb eines Betriebes. Darüber stehen die Gewerkschaften, die branchenbezogen mit dem Eigentümer, seien es nun Unternehmerverbände oder der Staat, Tarifverträge aushandeln und die Gesamtheit des Industriezweiges im Auge behalten. Wir könnten uns auch vorstellen, dass der Arbeiter einen Anteil am Kapital seines Betriebes erhält und Aktiengesellschaften entstehen.

Deutschland, "eilig" Vaterland - wie seht ihr dieses Problem?

Wir erkennen das Recht der Deutschen auf eine einheitliche Nation an, sind aber gegen einen einfachen Anschluss der DDR an die BRD. Beide Staaten sollten sich in einem Prozess aufeinander zu bewegen. Strikt lehnen wir eine Zugehörigkeit eines vereinigten Deutschlands zur NATO ab. Vor der Einheit müssen Entmilitarisierung im Osten wie im Westen und die Auflösung der Militärblöcke stehen.

Was macht ein angenommener zukünftiger grüner Umwelt- oder Wirtschaftsminister mit den in Bau und in Betrieb befindlichen Kernkraftwerken?

Baustopp in Stendal, Rheinsberg wird stillgelegt. Im Fall Lubmin müssten erst Alternativen gefunden werden. Mittelfristig ist unser Ziel in jedem Fall der Ausstieg aus der Atomenergienutzung. Dazu müsste die gesamte Wirtschaft auf energiesparende Produktionsweisen umgestellt werden. Studien von Fachleuten sprechen von möglichen 50 Prozent Energieeinsparung. Auch ist den alternativen Energiequellen wie Wind, Sonne, Wasser und Biomasse mehr Beachtung zu schenken. Hier wird bisher zu viel nur abgewunken anstatt ernsthaft nachzudenken.

Thomas Scholze

aus: Tribüne, Nr. 53, 15.03.1990, 46. Jahrgang, Zeitung der Gewerkschaften

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