Selbstverständnis der Initiative für Frieden und Menschenrechte

Am 11.3.1989 veröffentlichte die Initiative für Frieden und Menschenrechte (IFM) Berlin einen Aufruf, auf den hin sich am heutigen Tage Menschen aus allen Teilen der DDR zusammen fanden. um erste Schritte einer künftigen landesweiten Zusammenarbeit zu beraten sowie die dazu notwendigen Strukturen zu entwickeln.

Die aktuelle Entwicklung in der DDR bestätigt uns in den wesentlichen Aussagen des Aufrufes vom 11.3.89. Inzwischen sind Gruppierungen unterschiedlicher Struktur und Breite entstanden. Für die IFM bedeutet das die Ausrichtung auf einen höheren Grad an inhaltlicher Verbindlichkeit und Profilbestimmung im Spektrum der neugegründeten Initiativen und Vereinigungen.

Der Schwerpunkt unserer Arbeit soll auf der Behandlung von Menschenrechtsfragen in der DDR und im Ausland sowie auf der Diskussion von Modellen der Rechtsstaatlichkeit und der demokratischen Selbstbestimmung liegen. Unabhängig von ihrer Mitgliedschaft in Parteien, Organisationen und Vereinigungen, von ihrer Zugehörigkeit zu anderen Bürgerinitiativen oder Basisgruppen, zu Kirchen und Religionsgemeinschaften, ethnischen oder nationalen Zugehörigkeit können alle Menschen in der IFM mitarbeiten, die sich den folgenden zentralen Aussagen verpflichtet fühlen:

1. Frieden und Menschenrechte sind voneinander nicht zu trennen. Sie dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden.

2. Die IFM begrüßt alle Vorschläge, die zur Abrüstung und Entmilitarisierung beitragen. Frieden ist nicht allein durch die Regierenden erreichbar, sondern bedarf der "Entspannung von Unten" und der "Einmischung in eigene Angelegenheiten".

3. Innerer und äußerer Frieden gehören zusammen. Deshalb unterstützt die IFM Konzepte der sozialen Verteidigung, der Friedenserziehung der "inneren Abrüstung" von Polizei, Sicherheitsapparat und paramilitärischen Strukturen.

4. Die IFM handelt unter Verzicht auf jegliche Gewalt. Sie ermutigt zu Zivilcourage und gewaltfreien Formen des Widerstandes gegen alle Erscheinungen von Unfrieden und Diskriminierung sowie gegen die Missachtung der Menschenrechte.

5. Die IFM wendet sich gegen alle autoritären Strukturen, gegen die Verherrlichung von Gewalt und gegen die Ausgrenzung von Minderheiten. Sie sieht die Notwendigkeit, sich aktiv mit rassistischen und faschistischen Argumentationen auseinanderzusetzen und deren Wurzeln zu beseitigen.

6. Die Menschenrechte sind unteilbar. Mit dem Hinweis auf soziale Rechte dürfen nicht die politischen Rechte gering geschätzt werden - und umgekehrt.

7. Ohne Rechtstaatlichkeit und politische Gewaltenteilung sind Menschenrechte nicht durchzusetzen. Rechtstaatlichkeit ist nur erreichbar, wenn Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz besteht. wenn unter öffentlicher Kontrolle formulierte Gesetze eindeutige Kompetenzen festlegen und willkürliche Entscheidungen ausschließen, wenn unabhängige Instanzen in der Lage sind, Entscheidungen staatlicher Behörden zu relativieren oder rückgängig zu machen. Die IFM setzt sich für Veränderung bzw. Aufhebung von Gesetzen und Verordnungen ein, die die Verwirklichung der politischen und sozialen Rechte behindern. Insbesondere erarbeitet sie Vorstellungen zu Neuformulierungen von Gesetzen einschließlich der Verfassung, die die politischen und individuellen Rechte und Freiheiten betreffen.

8. Unabhängig von der Garantie dieser Rechte und Freiheiten handelt die IFM auf der Grundlage des Prinzips der Legitimität, was unter anderem bedeutet, Grundrechte ungeachtet staatlicher Restriktionen wahrzunehmen.

9. Die IFM berücksichtigt den tatsächlich vorhandenen Pluralismus von Meinungen und Interessen. Sie wird stets versuchen, Öffentlichkeit herzustellen, eine freie und unbehinderte Information und Kommunikation zu erreichen. Ihre Bereitschaft zum Dialog erstreckt sich auf alle gesellschaftlichen Kräfte - innerhalb des Landes und über die Landesgrenzen hinweg.

10. Der Entwicklung von Demokratie steht die Festschreibung der Vormachtstellung einer Klasse, Schicht, Gruppe oder Partei diametral entgegen. Für die IFM ist die Trennung von Partei, Staat und Gesellschaft notwendig.

11. Die IFM befürwortet dezentrale und selbstverwaltete Strukturen überall in der Gesellschaft. Mitbestimmung und öffentliche Kontrolle müssen in allen Bereichen garantiert sein, z.B. mittels unabhängiger Gewerkschaften und Interessen- und Betroffenenverbänden. Parlamentarische Demokratie muss durch direkte Demokratie z.B. Volksbegehren und Volksentscheide ergänzt werden. Dabei dürfen die Menschenrechte nicht zur Disposition stehen.

12. Die Entwicklung der Wirtschaft muss sich unter Wahrung der menschlichen Integrität und der Erhaltung der natürlichen Umwelt vollziehen. Die IFM tritt für eine ökologisch orientierte Politik ein. Sie richtet sich gegen die unreflektierte Propagierung von Hochtechnologien, "Wohlstand" und "Wachstum". Sie wendet sich insbesondere gegen alle Technologien, die die zukünftigen Generationen und heute schon die Völker der "Dritten Welt" belasten.

13. Unabhängigkeit und Vielfalt des geistig-kulturellen Lebens sind Grundbestandteile menschlicher Zivilisation. Die IFM hält daher eine Öffnung auf den Gebieten der Kultur, in der Kunst, der Wissenschaft und in der Bildung für dringend geboten. Als besonders wichtiges Aufgabenfeld sieht sie eine grundsätzliche und seit langem überfällige Reform des Erziehungs- und Bildungswesens an. Den vielfältigen und komplizierten Problemen der nächste Jahrzehnte ist nur zu begegnen, wenn jede Generation als eine mündige und sich selbst verantwortliche Generation einer für sie offenen Zukunft entgegen gehen kann.

14. Die volle Durchsetzung der sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Rechte verbindet sich auf besondere Weise mit den Rechten der Frauen, der Kinder, der Alten und Behinderten sowie mit den Rechten ausländischer Mitbürger.

15. Die IFM übt Solidarität mit jenen Menschen, deren Rechte verletzt werden und deren Würde missachtet wird. wo auch immer das geschieht. Sie wird nach ihren Möglichkeiten darüber informieren und konkrete Rechtshilfe anbieten. Sie wird sich um Kontakte und Zusammenarbeit mit internationalen Menschenrechtsorganisationen bemühen.

16. Die Arbeit der IFM soll der Entwicklung einer demokratischen und selbstbestimmten DDR im Kontext einer gesamteuropäischen friedlichen, gerechten, sozial und ökologisch orientierten Ordnung dienen. Die IFM geht von der Unverletzlichkeit der bestehenden Grenzen aus mit dem Ziel, sie letztlich zu überwinden. Nur in dem Maße, wie dieses Ziel näher rückt, wird eine weitere Annäherung der beiden deutschen Staaten möglich sein.

Berlin, 28.10.1989

Δ nach oben