info nr. 12 vom 11.07.1990

Vorbereitet in künftige Auseinandersetzungen!

Am 27.6.90 kamen kritische Gewerkschafter aus Ost und West zu einem gemeinsamen Treffen zusammen. Sie waren unserem Aufruf "An die Aktiven der Betriebs- und Gewerkschaftsbasis!" gefolgt, in dem es um die Vorbereitung auf die künftige Gewerkschaftspolitik des DGB im vereinigten Deutschland ging. 3 ½ Stunden diskutierten 16 KollegInnen aus der DDR und 15 aus dem Westen über die Perspektiven kritischer Gewerkschaftsarbeit, wobei unterschiedliche politische Standpunkte zum Ausdruck kamen, gehörten sie doch verschiedenen organisatorische Gruppierungen an. Neben betrieblichen Einzelkämpfern und Betriebsräten waren Vertreter der Oppositionellen Erzieherlnneninitiative, der Vereinigten Linken, des Neuen Forums, der LRKI, der Bundesarbeitsgemeinschaft Grüne und GewerkschafterInnen, der GEW, der Freien Arbeiterunion, der IG Metall usw. usw. - und natürlich der IUG anwesend.

Zunächst ging es um die Frage, ob tatsächlich die Arbeitnehmer in der DDR so unvorbereitet in die Einzelgewerkschaften des DGB gehen. Da allerdings waren sich die Teilnehmer aus dem Osten einig: natürlich erscheint der DGB für viele als eine Organisation, die etwas für ihre Mitglieder tut, was angesichts bisheriger Vertretungslosigkeit durch den FDGB nur zu verständlich ist. Über seine Grenzen aber, verschiedenen undemokratischen Bestimmungen ist fast nichts bekannt und so stehen die KollegInnen in den Betrieben diesem ziemlich hilflos gegenüber.

Hier ist unbedingt Aufarbeitung notwendig. Warum also sollen die mühselig über Jahrzehnte gesammelten Erfahrungen der West-Gewerkschafter mit dieser Institution verloren gehen und wir hier im anderen teil Deutschlands von vorne anfangen?

Ein weiterer Punkt der Diskussion war die Herstellung der Verbindungen zu den KollegInnen in den Betrieben. Einige hielten direkte Agitation in den Betrieben sinnvoller als diese "Schreibtischarbeit". Darin kam die Befürchtung zum Ausdruck, in der "Theorie" steckenzubleiben. Dem aber wurde mehrheitlich widersprochen. Zum einen waren die Anwesenden in verschiedenen Betrieben beschäftigt und zum anderen setzt die Verbreitung von Forderungen zunächst Kenntnisse der westlichen Gewerkschaftspraxis voraus, die man sich erarbeiten muss. Und das liegt nicht nur im Interesse der Ost-Gewerkschafter - so wurde betont -, gibt es doch auch auf westlicher Seite bisher kaum ein systematische Aufarbeitung der Kritikpunkte gewerkschaftlicher Arbeit sowie auch eine Zusammenfassung der unterschiedlichen Erfahrungen. Wie viel Verluste hat es gekostet - so klagte eine Vertreterin der Erziehungsinitiative -, dass sie so unvorbereitet in den Kita-Streik gegangen sind.

Will man also wirklich mit einer starken sozialen Basis und mit Aussicht auf Erfolg in die künftigen Arbeitskämpfe gehen, so ist ein gemeinsames Vorgehen von Ost- und West-Gewerkschaftern notwendig. Sonst werden sie gegenseitig ausgespielt. Und dies setzt Kenntnisse voraus.

Weiterhin wurde in der Diskussion darauf hingewiesen, dass über die Strukturen der Einzelgewerkschaften des DGB nicht pauschal geurteilt werden kann, sondern dass das Spektrum eben von der IG Metall bis zur IG Chemie reiche, in denen die gewerkschaftliche Interessenvertretung recht unterschiedlich funktioniere. Deshalb - so haben es wir beschlossen - werden wir uns in einer Arbeitsgruppe mit "Satzungen und Struktur des DGB sowie der Einzelgewerkschaften und abzuleitender Forderungen" beschäftigen.

In der zweiten Arbeitsgruppe, die wir gebildet haben, geht es um "Theorie und Praxis des Streiks" - gerade auch im Hinblick auf die zu erwartenden Arbeitskämpfe. Am 25.7.90 treffen wir uns um 19.00 Uhr im Büro der IUG in der Frankfurter Allee 286 wieder, um über die Ergebnisse in den Arbeitsgruppen zu berichten und zu prüfen, ob uns Ansatz richtig war oder andere Schwerpunkte für die weitere Arbeit gesetzt werden müssen. Ziel sollte sein, gemeinsames Papier zu verfassen, in dem die Kritikpunkte westlicher Gewerkschaftstheorie und -praxis zusammengetragen werden.

Insgesamt war die Veranstaltung vor dem gemeinsamen Bemühen getragen, die politischen Unterschiede zurückzustellen zugunsten einer produktiven Zusammenarbeit in den Gewerkschaftsfragen. Einig war man sich auch darin, dass eine linke Gewerkschaftskritik kein "Gelehrtenstreit" bleiben darf, sondern Praxis werden muss - im Interesse der Gewerkschaftsmitglieder.

Wer sich an dieser Arbeit beteiligen möchte, ist gerne für den 25.7.90 eingeladen!

Leonore A(...)

HAUPTAMTLICHE FUNKTIONÄRSDEMOKRATIE - Der 14. DGB Kongress

Die Zusammensetzung des Kongresses wird bestimmt durch das Verhältnis zwischen dem DGB und der Einzelgewerkschaften. Die Delegierten werden von den Einzelgewerkschaften bestimmt. Je mehr beitragszahlende Mitglieder eine Gewerkschaft hat, umso größer ist ihre Delegation und umso mehr Einfluss kann sie auf den DGB ausüben. Seit dem 9. DGB-Kongress 1972, stellt die IG Metall mindestens ein Drittel der Delegierten. Um eine absolute Mehrheit auf dem Kongress zu erzielen, genügte es in Hamburg, wenn die IG Metall (34 % der Delegierten), die ÖTV (16 %) und irgendeine andere Gewerkschaft miteinander abstimmen.

Diese Überlegungen setzen allerdings voraus, dass die Einzelgewerkschaften ihre Positionen so homogenisieren können, dass tatsächlich ein relativ einheitliches Abstimmungsverhalten gewährleistet ist. Im Hinblick auf dieses Ziel wirkte es sich in Hamburg positiv aus, dass ca. 50 Prozent der Delegierten hauptamtliche Gewerkschaftsfunktionäre waren. Aufgrund ihrer Nähe zu den Vorstandsverwaltungen sind diese in der Regel leichter auf die Taktik des Vorstandes einzuschwören als die ehrenamtlichen Funktionäre. Bisher sind auf DGB-Ebene alle Versuche gescheitert, die Zahl der ehrenamtlichen Funktionäre zu erhöhen. Damit bestimmen die Hauptamtlichen maßgeblich den innergewerkschaftlichen Willensbildungsprozess.

Der Kongress vermittelte dem außenstehenden Beobachter das Bild einer disziplinierten Abstimmungsmaschine, die unter den Bedingungen einer lenkenden Demokratie funktioniert. Zur Abstimmung standen 346 Anträge....Durch die Reglementierung darüber, wer Anträge stellen darf und durch die filternden und lenkenden Eingriffe der Antragsberatungskommission, wurde beinahe jede Überraschung ausgeschlossen und ein hohes Maß an Planerfüllung erreicht.

Der Kongress wurde geprägt durch die hauptamtliche Funktionärsdemokratie, die als Aktionärskonferenz ohne Mehrheitsaktionäre funktionierte. Diese Struktur scheint nicht in der Lage zu sein, innovative Veränderungen zu ermöglichen. Sie trägt nur zur Stärkung des Status Quo bei. Dies bedeutet unter den jetzigen Bedingungen, wo eine starke gewerkschaftliche Präsenz auch gesellschaftspolitischen Bereich notwendig wäre, eine reale Schwächung. Das Parlament der Arbeit scheint eher ein Treff der Funktionäre zu sei, die sich der faktischen Kraft des Normativen beugen.

Hans-Hermann H./Wolfgang Sch. in "express" 6/1990


Vom 15.-17.6.90 fand in Dresden ein Arbeitstreffen der Vereinigten Linken (VL) statt. Ausgangspunkt der Diskussion in der Gruppe "Betriebsarbeit" war das Selbstverständnis der VL. Es gab heftige Auseinandersetzungen um die Position der VL in der Gewerkschaftsarbeit. Ist sie nun klassenkämpferisch oder sozialpartnerschaftlich zu sehen? Die führenden Genossen hatten allerdings deutliche Schwierigkeiten mit einer linken Positionsbestimmung und Anerkennung des Klassenkampfes, während die Mehrheit für oppositionelle kämpferische Gewerkschaftsarbeit eintrat. Von Gewerkschaftern aus der BRD wurde angeführt, dass ein sozialpartnerschaftliches Modell der Gewerkschaftsarbeit für Linke abzulehnen sei, da es mit der Anerkennung des Kapitalismus als bessere Gesellschaftsordnung einhergehe. Weiter wurde gefordert, sich für demokratische Gewerkschaftsstrukturen einzusetzen, Privilegien zu verhindern, Tarifabschlüsse öffentlich zu machen und für Meinungsfreiheit in der Gewerkschaft einzutreten. In der jetzigen Situation wäre unbedingt gegen jede Entlassung anzukämpfen und man verwies auf positive Beispiele bei TGA, Dresden und Robotron. Dafür hätten sich die Linken in Betriebsrat und Gewerkschaft einzusetzen.

Heidrun Z(...)


Im Juni bekam die IUG Besuch von 2 Mitgliedern der schwedischen syndikalistischen Gewerkschaft SAC. Beide waren 10 Tage unterwegs in Jugoslawien, ČSFR, Ungarn und der Sowjetunion, um Informationen über oppositionelle unabhängige Gewerkschaften zu sammeln. Gleichzeitig informierten sie uns über ihre gewerkschaftliche Bewegung, zu deren Kongress wir ein Grußtelegramm übermittelten.

Die SAC ist eine Gewerkschaft, die das Prinzip innerer Demokratie und ortsgebundener Selbstbestimmung vertritt und sich der Idee des Sozialismus verpflichtet fühlt. Örtliche Selbstbestimmung bedeutet, dass sämtliche Einheiten innerhalb der Organisation das Recht auf Selbstbestimmung in eigenen Angelegenheiten haben, z.B. bei Beschlüssen über Kampfmaßnahmen oder örtlichen Abmachungen, ohne die Zustimmung dafür vom Bundesvorstand einzuholen. Die Funktionäre in der SAC können, im Gegensatz zu anderen Gewerkschaften, nicht auf SAC Kongresse gewählt werden und haben auch nicht in administrativen Organen Platz und Stimme. Das Recht, Beschlüsse zu fassen, liegt ausschließlich bei den Mitgliedern. Die SAC ist eine parteipolitisch unabhängige Gewerkschaft, ohne eine unpolitische Organisation zu sein.

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