info nr. 15 vom 30.10.1990

Orientiert sich die Bürgerbewegung neu?

Bärbel Bohley vom Neuen Forum zog jüngst ein Resümee der einjährigen Bürgerbewegung. Laut BZ [Berliner Zeitung] vom 19.10.90 stellte sie dazu fest:

"Es sei eine Schwäche gewesen, nicht bereits im Frühjahr verstärkt in die Betriebe gegangen zu sein und zu erklären, wie man selbst Gewerkschaften aufzubauen habe, um die eigenen Interessen zu vertreten. Stattdessen wurden Organisationen und Parteien aus der Bundesrepublik importiert."

Dieser Äußerung ist unbedingt zuzustimmen, denn als das Kontaktbüro der IUG Anfang des Jahres von Kollegen aus den Betrieben überfüllt war, die sich über ihre gewerkschaftliche Interessenvertretung verständigten, Informationen austauschten und über die Situation in ihren Betrieben berichteten, war von den Bürgerbewegungen kaum Hilfestellung zu erwarten. Demokratisierung der Gewerkschaften und Neuaufbau von "unten" war für sie damals offensichtlich kein Thema. So kam denn der DGB als übermächtiger Koloss daher, überrollte praktisch die Kollegen, ohne dass diese ihm schon eigens entwickelte Prinzipien gewerkschaftlicher Interessenvertretung entgegenzusetzen hatten. Diesem Prozess schauten die Bürgerbewegungen zu und erkannten darin nicht eine Massenbasis, von der doch demokratische Impulse und Veränderungen hätten ausgehen können. Da diese Kluft zwischen Bürgerbewegung einerseits, die vorwiegend im intellektuellen Milieu angesiedelt ist, und den Arbeitnehmern in den Betrieben andererseits nicht überwunden wurde, war wieder einmal die Chance verpasst, die Angelegenheiten in die eigenen Hände zu nehmen und sich so auch im gewerkschaftlichen Bereich neu von unten auf zu organisieren. In dieser Feststellung findet sich keinerlei Schadenfreude, sondern im Gegenteil Wehmut, mit der sich aber die Hoffnung verbindet, dass die Bürgerbewegung in Konsequenz ihrer Einschätzung sich zukünftig verstärkt dieser sozialen Basis zuwenden möge. Die Wende, die mehr Vereinzelung der Arbeitnehmer als Solidarität gebracht hat, hat auch völlig neue Anforderungen für den Verkauf der Arbeitskraft gestellt. In dieser Phase der Unsicherheit und Umorientierung für Massen von Arbeitnehmern sollte die Durchsetzung von Lohnarbeiterinteressen mittels Gewerkschaften für die Bürgerbewegungen kein Randthema mehr sein. Anfänge dazu gibt es bereits und lassen hoffen.

Leonore A(...)


Wenn wir auf Solidarität "von drüben" setzen, müssen wir uns auch solidarisch verhalten... z. B. mit den 80 Mitgliedern der IG Metall in Bochum, von denen jetzt einigen Ausschluss, anderen Funktionssperren und Rügen drohen. Der Grund: die Gewerkschaft verpflichtet alle Mitglieder, nur eine Liste zur Betriebsratswahl aufzustellen, in der Regel mit ihnen genehmen Aktiven. Im Bochumer Opel Werk haben sich nun Gewerkschafter im Mai entschieden, eine zweite Liste aufzustellen. Warum? Dazu Opel-Betriebsrat RAINER E(...):

"Ausgangspunkt ist die Politik der alten Betriebsratsmehrheit. Mehrfach hat diese Mehrheit gegen gewerkschaftliche Beschlüsse oder gegen den Willen großer Teile der Belegschaft entschieden, zum Beispiel die geplante Versetzung von hundert Facharbeitern in die Produktion, Zustimmung zur Dauernachtschicht und regelmäßigen Sonderschichten, Urlaubskürzung für hunderte Beschäftigte und vieles mehr..."

Der alte Betriebsratsvorsitzende hat diese Kollegen nun wegen "gewerkschaftsschädigendem Verhalten" angeklagt. RAINER E(...):

"Wir haben bei der Betriebsratswahl nicht gegen die IG Metall kandidiert sondern nur gegen die alten verknöcherten Strukturen im Betriebsrat und gegen die undemokratische Praxis der alten Betriebsratsmehrheit. Über 5 100 Beschäftigte haben uns gewählt, die meisten davon IG-Metall-Mitglieder. Haben die sich etwa auch gewerkschaftsschädigend verhalten? Übrigens haben 360 Vertrauensleute bei Opel eine zweite Liste gefordert. Alles Gewerkschaftsgegner?"

aus: Dorfpostille, Mai 1990

Bleibt für uns die Frage: Wie kann man verknöcherte Strukturen in der Betriebsratsarbeit mit gewerkschaftlichen Mitteln verhindern? Wie kann man einen Betriebsrat, der die "Sozialpartnerschaft" so weit treibt, dass er Maßnahmen der Unternehmensleitung durchsetzt, die "unsere Buden konkurrenzfähig machen" (J(...), Vorsitzender der Untersuchungskommission gegen die Gewerkschafter der alternativen Liste), von seiner betriebsegoistischen Politik abbringen, wenn der IG-Vorstand ihn stützt?

Wer Kontakt zu den Kollegen der alternativen Betriebsratsliste bei Opel haben möchte, kann sich an die IUG wenden!!!!

Unser bescheidener Beitrag zur Solidarität mit den Kollegen:
Unterstützt die Erklärung auf der nächsten Seite mit Eurer Unterschrift und schickt sie nach Bochum!

Erklärung

Bei den diesjährigen Betriebsratswahlen bei Opel in Bochum kandidierten 80 Mitglieder der IG Metall auf anderen Listen als der offiziellen IG Metall-Liste. Vorausgehende Bemühungen um eine Anerkennung einer z. IG Metall-Liste waren gescheitert. Über 5 000 Opel-Beschäftigte stimmten bei den Wahlen für die Liste "Metaller bei Opel", bei den Arbeiterinnen und Arbeitern verlor die IG Metall-Liste ihre Mehrheit im Betriebsrat. Die Antwort der IG Metall: Die 80 IG Metall-Mitglieder müssen sich einem Untersuchungsverfahren nach § 11 der Satzung stellen, wegen "gewerkschaftsschädigendem Verhalten".

Seit Jahren spitzen sich die Meinungsverschiedenheiten in der IG Metall bei Opel zu. Immer geht es um die Frage: Wie soll die IG Metall den Herausforderungen durch die Arbeitgeber begegnen: Der Kette von Sonderschichten, Durchfahren der Pausen, Gemeinkostenwertanalysen, Fremdfirmeneinsatz usw. usw.? Bundesweit bekannt wurde der Konflikt um die Einführung der Nachtschicht. Während die Mehrheit der IG Metall-Betriebsräte der Forderung der Unternehmensleitung widerstandslos nachgeben wollte, sahen die Kolleginnen und Kollegen, die jetzt auf der innergewerkschaftlichen "Anklagebank" sitzen, den Widerstand gegen die Ausweitung der Schichtarbeit als ein bedeutendes gewerkschaftspolitisches Ziel. Derartige Widersprüche sind in unseren Augen normaler Bestandteil der Auseinandersetzung innerhalb einer Gewerkschaft - zumal Einheitsgewerkschaft -, zu deren Selbstverständnis gehört, verschiedene politische und gewerkschaftspolitische Strömungen und Orientierung unter einem Dach zu vereinen.

Wir können nichts Gewerkschaftsschädigendes darin erkennen, dass die Belegschaft die Möglichkeit erhält, sich bei Wahlen zwischen derartigen unterschiedlichen Positionen zu entscheiden. Dagegen werden die Untersuchungsverfahren und der Versuch, bestimmte gewerkschaftliche Positionen auszugrenzen, weitere Polarisierungen befördern. Einer fruchtbare innergewerkschaftlichen Streitkultur jedenfalls kann das nicht dienen.

Die Situation wird noch dadurch verschärft, dass auf Beschluss der Ortsverwaltung zwei Tage vor der konstituierenden Vertreterversammlung in Bochum (u.a. zur Wahl einer neuen Ortsverwaltung) den betroffenen Kolleginnen und Kollegen die Ausübung der Rechte und Pflichten als Mitglieder untersagt wurde. Dadurch wurde ein Fünftel der Vertreterversammlung (dem höchsten gewerkschaftlichen Organ am Ort) ausgeschlossen und auch die Zusammensetzung der Ortsverwaltung direkt beeinflusst. Ein Vorgang, der nicht einmal den geringsten demokratischen Ansprüchen genügt.

Wir wollen uns entschieden dafür einsetzen, dass alle Untersuchungsverfahren unverzüglich eingestellt werden und dass die in der Vergangenheit ausgeschlossenen KollegInnen bei Opel wieder Mitglied der IG Metall werden können. Der letzte Gewerkschaftstag der IG Metall beschloss. "Die Stärkung der Mitgliederbasis und Durchsetzungsfähigkeit der IG Metall verlangen auch Offenheit, Transparenz und Diskussionsbereitschaft innerhalb und außerhalb der Organisation, gleichermaßen aber Disziplin bei der Vertretung unserer Beschlüsse". Sollte der Weg der Ausgrenzung bei Opel weiterbetrieben werden, wird das Gerede von Offenheit und Diskussionsbereitschaft zur hohlen Phrase geraten und die geforderte Disziplin in Wirklichkeit zum Kadavergehorsam.


 

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Elisabeth B(...), (...), 4630 Bochum 7

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Elisabeth B(...), Stichwort "Opel-Solidarität",
Sparkasse Bochum, Kto.-Nr. (...); BLZ 430 000 01


Einladung

Was wir jetzt so in den Betrieben erleben, erscheint manchmal wie ein schlechter Western! Unsere bekannten "alten, neuen gewendeten" Leiter/Geschäftsführer wollen jetzt mal zeigen, was für Marktwirtschaftler sie sind! Das Betriebsverfassungsgesetz ist ihnen oft völlig schnuppe. Erstmal kündigen, auf Kurzarbeit setzen und umstrukturieren! Die Gerichte sind weit weg, das dauert lange, bis da einer klagen kann, und meistens fehlt den Kollegen ohnehin das Wissen, wie man an eine solche Sache rangehen muss.

Die Wahl von Betriebsräten fällt also genau in die Zeit, in der rechtlich einiges drunter und drüber geht. Da nimmt es nicht Wunder, wenn die Geschäftsführer mit Hinweis auf irgendwelche dubiosen Gesetze den Wahlausgang zu ihren Gunsten gestalten wollen. Und wie wir hören, lassen sie sich was einfallen.

Von den neuen Branchengewerkschaftsleitungen ist bis jetzt nicht viel Unterstützung gekommen.

Deshalb haben sich einige engagierte, kritische Gewerkschafter aus Ost und West überlegt, dass man nicht auf Hilfe von "oben" warten kann. Wir sind der Meinung, dass es allen weiterhilft, wenn wir die Erfahrungen der schon gelaufenen Betriebsratswahlen auswerten, uns zu diesem Thema die Erfahrungen "alter Betriebsratshasen" aus dem Westen anhören und uns in einigen rechtlichen Fragen (BVG) Klarheit verschaffen.

Der Termin für die geplante Veranstaltung ist der 24.11.1990 um 14.00 Uhr im Haus der Demokratie, 1080 Berlin, Friedrichstr. 165, im großen Saal.
Also alle, die an diesem Thema Interesse haben, sind dazu eingeladen!

kritische Gewerkschafter und Betriebsräte



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zum Arbeitsrecht "von unten": Einstellungen,
Arbeitsverträge, Leiharbeit, Schwarzarbeit,
Urlaub und Kündigungen ....worauf muss ich achten,
damit mich der Chef nicht über 's Ohr haut (siehe
Bericht Info Nr. 13).

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