Wie geht es der Gewerkschaftsarbeit?

Der Koloss FDGB ist zerschlagen - wer vertritt jetzt die Interessen von unten?

Die Initiative Unabhängige Gewerkschaften (IUG) hat ein Jahr lang versucht, gewerkschaftliche Interessen von unten zu vertreten. Dieses von unten aber war im November '89 etwas anders als im Herbst 1990 ist. Vor einem Jahr ging es darum, den Koloss FDGB zu zerschlagen und eigene gewerkschaftliche Interessen dagegenzusetzen (Auch, wenn Heiner Müller am 4. Nov. '89 Pfiffe erntete, als er unseren Aufruf verlas - ein halbes Jahr später hat keiner mehr an dessen Inhalt gezweifelt!). Von unten hieß damals, die alten Hierarchien durch eine Basisbewegung in Frage zu stellen.

Und was heißt gewerkschaftliche Interessenvertretung von unten heute? Wir haben eine neue Hierarchie, einen neuen Apparat, der heißt DGB, und wer von unten auf ihn blickt, was so alles im Namen seiner Mitglieder geschieht, wird um Kritik an Leitungen, bürokratischem Verhalten und basisfernen Entscheidungen nicht herumkommen. Auch eine Gewerkschaft muss von unten auf Trab gehalten werden!

In diesem Sinne (siehe Ausschnitte aus dem Flugblatt) meldeten wir beim Runden Tisch von unten (!) unseren Redebeitrag für den 4. Nov. '90 an. Aber siehe da: kein Verständnis für unser Anliegen, dagegen Zweifel, ob man schon wieder (!?) Gewerkschaftsleitungen kritisieren sollte, ob das "einfache Volk" überhaupt verstünde, wovon man rede . . .

Der 4. November ist vorbei, und die IUG hat nicht geredet, das ist kein Beinbruch. Schlimmer erscheint uns, dass im Namen von unten schon wieder von oben entschieden wird, was für die Masse gut oder schlecht ist. Liegt es vielleicht denn, dass am Runden Tisch von unten in der Mehrzahl gar nicht die Basis sitzt, sondern Funktionäre und Vorstände von Organisationen und Verbänden, also Vertreter, die bereits nach einem Jahr verlernt haben, sich selber als Leitungen in Frage stellen zu lassen? Ist in so kurzer Zelt verloren gegangen, dass ihre wichtigste Funktion darin besteht, den kritischen Geist derer wach zu halten, die sie vertreten, und zwar auch dann - wie im Falle der kritischen Gewerkschafter - wenn es um die Kritik an ihrer eigenen Leitungsarbeit geht?

Nachzudenken wäre also darüber: Wie können die Bürgerbewegungen der Gefahr entgehen, dass ihre Leitungen sich wieder verselbständigen und abgehoben von der Basis ihren eigenen Intentionen nachgehen.

Der Runde Tisch von unten hat einen schwachen Beitrag zum Thema geleistet.

Renate H(...)/Leonore A(...)
Initiative kritische Gewerk-
schaftsarbeit - vormals:
Initiative Unabhängige
Gewerkschaften (IUG)

Frankfurter Allee 286
O-1130 Berlin, Mi. 18-20 Uhr,
Tel.: (...)


Erfahrungsaustausch zu Betriebsratswahlen

Die Betriebsratswahlen sind in vollem Gange, und es wird deutlich, dass alte und neue Tricks bemüht werden, um den Betriebsrat nicht zu einem Instrument werden zu lassen, mit dem wir unsere Interessen durchsetzen können.

Engagierte und kritische Kollegen merken in Auseinandersetzungen oft, dass ihnen viele Erfahrungen und die Kenntnis von Rechtsgrundlagen fehlen. Um unseren Lernprozess zu beschleunigen, haben wir eine Veranstaltung vorbereitet, die dem Erfahrungsaustausch und der Einstellung auf die neue Situation dienen soll.

Vorgeschlagene Tagungsordnung:

- Einschätzung der wirtschaftlichen Lage in den Betrieben.

- Erfahrungsaustausch auf dem Gebiet der Betriebsratswahlen.

- Erarbeitung von rechtlichen Möglichkeiten der Betriebsräte.

- Kurzberichte einiger westdeutscher Gewerkschaftsaktivisten.

Dazu wollen wir alle engagierten KollegInnen einladen.
Treffpunkt: 24.11.90 um 11.00 Uhr im Haus der Demokratie,
1080 Bln., Friedrichstr. 165.

Es lädt ein: Gruppe für kritische Gewerkschaftsarbeit.

aus: aus: PODIUM - die Seite der und für die BürgerInnen-Bewegung, Initiativen und Minderheiten, in Berliner Zeitung, Nr. 267, 46. Jahrgang, 14.11.1990

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