Kämpferisch und nicht im Frieden mit dem Chef

Ziele der Initiative für Unabhängige Gewerkschaften

Kollegen aus 70 Betrieben der Republik diskutierten unlängst in Berlin über eine alternative Interessenvertretung zum FDGB. ND-Mitarbeiter Klaus Morgenstern sprach mit Sonja H(...), Soziologin und eine der Initiatoren für die "Unabhängige Gewerkschaftsbewegung" (UGB), die in der Berliner Schönhauser Allee 176 ihr Kontaktbüro hat (oder Telefon ...).

Mit weichen Argumenten werben Sie für die UGB?

Viele Mitglieder im FDGB verhalten sich passiv, erwarten vor allem soziale Leistungen für die von ihnen gezahlten Beiträge. Eine Gewerkschaft ist aber vor allem eine Interessenvertretung und kein Reiseverein. Sie sollte deshalb zuallererst daran gemessen werden, wie sie für die Interessen der Werktätigen kämpft. Der FDGB lebt im Frieden mit dem staatlichen Leiter. Wir gehen von einem Interessengegensatz von Unternehmern - ganz gleich ob privat oder VEB - und Lohnempfängern aus. Und nur letzteren fühlt sich die UGB verpflichtet. Wir verstehen uns als eine kämpferische, nicht als eine Vermittlung suchende Vertretung.

Wie die Vergangenheit zeigte, kam der FDGB grundlegenden gewerkschaftlichen Aufgaben nicht nach.

Ein bezahlter Funktionärsapparat kommt in der UGB nicht in Frage. Aber da bleiben Zweifel: Eine Organisation mit Hunderttausenden Mitgliedern - dieses Ziel streben Sie an - ausschließlich ehrenamtlich geleitet?

In England existiert eine Gewerkschaft mit diesem Modell. Natürlich verfallen wir nicht in die Illusion, gänzlich ohne Apparat auszukommen. Aber das werden technische Angestellte sein, Sekretärinnen, Organisatoren. Die Verantwortung tragenden Mitglieder bleiben in ihren Kollektiven.

Aber für die Gewerkschaften stehen langwierige Verhandlungen mit der Regierung ins Haus, Tarifauseinandersetzungen, Rechtsstreitigkeiten. All das lässt sich doch nicht nebenher erledigen.

Dafür gibt es Freistellungen von der Arbeit. Über die Länge der Freistellung entscheidet dann die Praxis. Das schreiben wir nicht vor. Natürlich ist unser Modell nicht frei von Problemen. Aber die Analyse der vergangenen 40 Jahre hat uns bewogen, nach einer Organisationsform zu suchen, die nie wieder einen von den Mitgliedern abgehobenen Apparat zulässt.

Gesetzt den Fall, die Gründung der "Unabhängigen Gewerkschaftsbewegung" findet statt. In Tarifverhandlungen vertritt dann einen Teil der Arbeitenden der FDGB, einen anderen die "Unabhängige". Sehen Sie nicht den Nachteil, von Unternehmerseite gegeneinander ausgespielt zu werden?

Wir gehen davon aus, dass in absehbarer Zeit zwei Gewerkschaften in einem Betrieb agieren werden. Ihre Frage impliziert den Gedanken an Spaltung. Da es aber bislang keine wirkliche Interessenvertretung gab, kann auch nichts gespalten werden.

Lassen wir den strittigen Begriff beiseite. Tatsache bleiben zwei Organisationen, die sich nicht unbedingt einig sind, zumeist eigene Wege suchen. Bedeutet das nicht, gewerkschaftliche Stärke zu verschenken?

Von Fall zu Fall bleibt zu entscheiden, ob FDGB und UGB zusammengehen.

Nehmen wir gleich ein Beispiel. Der FDGB-Kongress verabschiedete den Entwurf für ein Gewerkschaftsgesetz. Wären Sie bereit, mit dem FDGB für die Verabschiedung dieses Gesetzes zu kämpfen?

Wir schätzen diesen Entwurf positiv ein, zweifeln aber, ob er in dieser Form durchgeht . . .

. . . ein Grund mehr, gemeinsam für die Maximalvariante zu streiten.

Da es ein Gesetz für Gewerkschaften generell ist, nicht nur für den FDGB gültig, würden wir uns schon dafür einsetzen.

Das Thema Betriebsräte ist zur Zeit für viele ein heißes Eisen. Auch für die UGB?

Wenn damit richtige Arbeiterräte gemeint sind, unterstützen wir sie. Der Begriff Betriebsrat führt in die Irre. Die meisten glauben dann sofort, wir wollen Betriebsräte nach BRD-Muster. Davor warnen Gewerkschafter der Bundesrepublik aus eigener Erfahrung.

aus: Neues Deutschland, 45. Jahrgang, Ausgabe 40, 16.02.1990. Die Redaktion wurde 1956 und 1986 mit dem Karl-Marx-Orden und 1971 mit dem Vaterländischen Verdienstorden in Gold ausgezeichnet.

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