NEUES FORUM

Anfragen an den Runden Tisch am 27.12.1989

1. Wer verhandelt in wessen Auftritt mit den westdeutschen Stromversorgungsunternehmen Preussen-Elektra und de Bayern-Werken über den Bau von zwei mal zwei Kernkraftwerksblöcken zu je 1 200 MW auf dem Boden der DDR?

2. Wie ist der gegenwärtige Stand der Verhandlungen?

Antrag an den Runden Tisch am 27.12.1989

1. Der Runde Tisch wird über jede Verhandlung mit den beiden genannten Unternehmen oder anderen Partnern über den Bau von KKW informiert.

2. Der Runde Tisch erklärt bis zu den Wahlen jede bindende Absprache über den Bau von KKW für unzulässig. Bereits getroffene Absprachen werden für ungültig erklärt.

3. Der Runde Tisch unterstützt die z. Zt. nicht an der Regierung beteiligten Gruppierungen und Parteien bei der Erarbeitung einer Alternative zu der gegenwärtig entstehenden offiziellen Energieversorgungsstrategie:

- Die erforderlichen Daten werden zur Verfügung gestellt.

- Die offizielle Energieversorgungsstrategie wird - soweit vorhanden - offen gelegt.

- Die Regierung der DDR übernimmt die bei der Erarbeitung der Alternative anfallenden Kosten.

- Die erforderlichen Fachleute ans der DDR werden für die Zeit bis zu den Wahlen freigestellt.

4. Das NEUE FORUM koordiniert die Arbeiten an der Alternative

Begründung:

Seit vielen Jahren ist die Energiepolitik der DDR auf den Ausbau der Kernenergie fixiert. Es bestehen begründete Zweifel, dass diese einseitige Orientierung ökonomisch sinnvoll, ökologisch vorteilhaft und hinreichend sicher ist.

Die gegenwärtige Situation der Energieversorgung ist auf das Äußerste angespannt. Ein erheblicher Anteil der Braunkohlekraftwerke ist überaltert und mitverantwortlich für den ersten Platz, den die DDR in der Liste der SO2-Emittenten weltweit einnimmt. Die 4 alten KKW-Blöcke in Lubmin bedürfen einer Generalrevision, deren Finanzierbarkeit jedoch ebenso offen wie das Ausmaß der Strahlenbelastung bei den Revisionsarbeiten ist.

Der Block 5 des KKW in Lubmin ist seit etwa einem Jahr fast fertig, wird aber nach dem letzten fehlgeschlagenen Test in den nächsten Monaten kaum ans Netz gehen.

Die Inbetriebnahme des KKW Stendal ist noch nicht abzusehen.

Die katastrophale Situation der Energieversorgung scheint ohne Hilfe und ohne langfristige internationale Handelsbeziehungen nicht grundlegend verbessert werden zu können.

Wir sehen in der Notwendigkeit zu grundlegenden Erneuerungen nicht nur eine erdrückende Last sondern auch eine einmalige Chance, uns von ökonomisch, ökologisch und sicherheitstechnisch fragwürdigen großtechnisch orientierten Energieversorgungsstrategien zu befreien. Für westliche Industriestaaten mit funktionierenden Energieversorgungssystemen und stark damit verbundenen Unternehmerinteressen würde es wesentlich schwieriger sein, den Kurs zu ändern - große Investitionen gingen verloren und mächtige Unternehmen würden an Einfluss verlieren. Wir sind im Vergleich dazu frei, die weltbesten Verfahren zur Energieeinsparung und zum intelligenten Umgang mit Energie bei Energieumwandlung und Energieanwendung einzuführen. Qualitätskriterien sind für uns dabei Sicherheit, Umweltfreundlichkeit und Sozialverträglichkeit. Es gibt gute Gründe, die dafür sprechen, dass ein solcher neuer Ansatz zur Energieversorgung nicht teurer wird, als die Fortführung der altere Strategie.

Ebenso ambivalent stellt sich die Situation in den Bereichen der Industrie und des Wohnungswesens dar - eine große Last und eine einmalige Chance insbesondere unter dem Aspekt der Energie:

Wir werden den Anschluss zum Weltmarkt nur erreichen, wenn wir zur Herstellung eines Produktes viel weniger Energie brauchen, als mit den überalterten Anlagen heute.

Wir beginnen jetzt reit der Sanierung unserer Altbausubstanz in großem Stil - Wärmedämmung und vernünftige Heizsysteme können sich organisch in die Rekonstruktion eingliedern.

Wir treten dafür ein, die Chance zu nutzen und werden uns jedem Versuch verweigern, der in der alten riskanten Weise augenblickliche Vorteile zu Lasten unbeteiligter Dritter, kommender Generationen und einer intakten Umwelt ermogelt.

Sebastian Pflugbeil

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