Keine neue politische Kultur

Nach neunstündiger Diskussion zwischen den West-Grünen, fünf DDR-Bürgerbewegungen und den Grünen-Ost wird eine Absichtserklärung verabschiedet, die sieben Organisationen wollen ein Wahlbündnis eingehen. Das NEUE FORUM unterschreibt nicht. Warum?

Erstens, weil die Verhandlungsdelegation nicht ermächtigt war, Beschlüsse zu fassen. Die endgültigen Entscheidungen haben sich die Länder vorbehalten.

Zweitens, weil man keinen Blanko-Bündnis-Scheck unterschreiben kann, ohne die Fragen nach dem inhaltlichen Minimalkonsens, den Listenplätzen, der Finanzierung des Wahlkampfes, der Wahlkampfrückerstattungskosten, etwaigen Koalitionsaussagen u.a.m. geklärt zu haben.

Zwei Tage später werden schon die ersten Risse im Bündnis deutlich. Auf der ersten gemeinsamen Pressekonferenz zieht der Unabhängige Frauenverband seine Zustimmung zur PDS-Distanzierung zurück und Demokratie Jetzt erklärt sich zur Überraschung aller anderen Beteiligten mit dem 14. Oktober als Wahltermin einverstanden. Die banale Erkenntnis, dass Bündnisse nicht konstruiert werden können, sondern erstritten und in gemeinsamer Arbeit wachsen müssen, lässt sich eben nicht leugnen.

Wie ehrlich das Angebot partnerschaftlicher Zusammenarbeit der Grünen-West gemeint ist, sieht man daran, dass die Reihenfolge ihrer KandidatInnen bis auf zwei Ausnahmen (Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein) für alle übrigen Länder feststeht. Wer das Gerangel der verschiedenen Strömungen in den Grünen um das Aushandeln der Listenplätze kennt, weiß, dass, hier nichts mehr zu machen ist. So werden die sechs DDR-Organisationen mit sieben bis zehn Abgeordneten im gesamtdeutschen Parlament vertreten sein und die West-Grünen mit 40-50. Auch eine Namenserweiterung kommt für sie nicht in Frage.

In diesem Parlament werden wir nicht mehr erkennbar sein. Die Bürgerbewegungen sind im letzten Herbst nicht unter dem zu engen Etikett "grün" angetreten, weil eine neue, parteiübergreifende Diskussionskultur angeregt werden sollte. Aber wieder wird erkennbar, dass Parteien nicht in der Lage sind, über ihren organisationspolitischen Schatten zu springen. Der Herbst 90 braucht aber einen neuen Aufbruch. Das jetzige Wahlbündnis ist Eintopf, kein Aufbruch.

Reinhard Schult

aus: Die Andere, Nr. 30, 15.08.1990, Der Anzeiger für Politik, Kultur und Kunst, Unabhängige Wochenzeitung, Herausgeber: Klaus Wolfram