Was wollen die Besetzer der Stasi-Zentrale?

Unser Berliner Korrespondent sprach mit Bärbel Bohley

22 Bürgerrechtler halten seit Dienstagmittag mehrere Büroräume der ehemaligen Stasi in der Berliner Ruschestraße besetzt. Zu den seit Jahren in der Menschenrechts-, Friedens- und Umweltbewegung engagierten Besetzern gehört Bärbel Bohley vom Neuen Forum. Mit ihr sprach SZ-Korrespondent Peter Heilmann.

Frau Bohley, welches sind die wesentlichen Ziele Ihrer Aktion?

Hauptanliegen ist, kurz vor der Vereinigung beider deutscher Staaten noch einmal nachdrücklich auf die Problematik des Umganges mit den Stasi-Akten aufmerksam zu machen. Wir wollen den Politikern in Ost und West deutlich machen, welche Verantwortung sie bei der Lösung dieser Frage tragen und sie zum Nachdenken und Handeln auffordern. Immerhin gibt es sechs Millionen Akten-Opfer in ganz Deutschland, von vier Millionen DDR-Bürgern und zwei Millionen Bundesbürgern sind Dossiers angelegt. Jeder sollte daran denken, dass demnächst diese Akten vielleicht weitergeführt werden könnten. Das muss verhindert werden.

Dieses Kapitel, größte Altlast der vergangenen 40 Jahre, darf nicht in das vereinte Deutschland getragen werden.

Was sollte Ihrer Meinung nach mit den Akten geschehen?

Es gibt unterschiedliche Akten, die auch unterschiedlich behandelt werden müssen. Die Personalakten gehören nicht in fremde Hände. Die Betroffenen sollten selbst entscheiden, ob sie vernichtet oder ausgehändigt werden. Für mich ist es unerträglich, mir vorzustellen, dass meine Akte irgendwann einmal vom Bundesnachrichtendienst weitergeführt wird. Quellenakten dürfen ausschließlich Strafverfolgungsbehörden zur juristischen Aufbereitung zur Einsicht gegeben werden, operative Vorgangsakten zur historischen Aufarbeitung unter Berücksichtigung des Datenschutzes zugängig sein. Karteien und ähnliches müssen sicher und geschützt aufbewahrt werden.

Die Volkskammerpräsidentin, Frau Bergmann-Pohl, und die Chefs aller Fraktionen waren inzwischen hier bei Ihnen. Was haben die Gespräche ergeben?

Unser Vorwurf, dass das am 24. August von der Volkskammer beschlossene Gesetz über den Umgang mit Stasi-Akten, mit dem wir trotz aller Unvollkommenheit einverstanden sind, keine Aufnahme in den Einigungsvertrag gefunden hat, besteht nach wie vor. Wir sehen darin, dass die DDR-Verhandlungspartner zu nachgiebig waren, die Problematik nicht ernsthaft genug darstellten oder möglicherweise sogar selbst nicht von der Richtigkeit des Gesetzes überzeugt waren. Die Spitzen der Fraktionen sind unserer Meinung nach nicht kämpferisch genug und vertreten nicht ausreichend die Interessen der DDR-Bürger. Die weitgehendste Übereinstimmung in diesem Punkt gab es mit der DSU.

Welche Chancen geben Sie den Ost-Politikern, am paraphierten Vertrag noch Änderungen durchzusetzen?

Ich meine, dass es nur davon abhängt, mit welcher Konsequenz das Anliegen vertreten wird. Wenn die Ost-Parteien Druck machen würden, wäre auch eine Änderung des Einigungsvertrages zu erreichen. Der Prozess der Wiedervereinigung Deutschlands ist so weit fortgeschritten, dass er nicht an diesem Punkt scheitern würde.

Haben Sie mit Ihrer Aktion die Öffentlichkeit erreicht?

Es gab inzwischen Reaktionen aus der Bevölkerung. Es gab Solidaritätstelegramme, unter anderem vom Bürgerkomitee zur Stasi-Auflösung aus Dresden, es gab Blumensträuße und die Forderung weiterzumachen. Wir können natürlich allein wenig ausrichten; es wird viel davon abhängen; dass wieder mehr auf die Straße gehen und ihre Forderungen laut sagen.

Wie lange wollen Sie Ihre Aktion fortführen?

Wir bleiben, bis unsere Forderungen erfüllt sind; wir haben uns auf längere Zeit eingerichtet.

aus: Sächsische Zeitung, Nr. 208, 06.09.1990, 45. Jahrgang, Tageszeitung für Politik, Wirtschaft, Kultur und Sport

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