Soziale Folgen des Staatsvertrags

Die Umstellung 1:1 ist nur eine optische Täuschung, das Realeinkommen der übergroßen Mehrheit wird doch halbiert werden.

Die veränderte Preisstruktur macht den ersten Einschnitt. Lebensmittel und Grundbedarf, Gaststättenpreise und Nahverkehrstarife gehen auf das zwei- und mehrfache hoch. Die Löhne steigen nicht nur nicht, die Nettolöhne sinken. Die sofortige Übernahme des bundesdeutschen Steuerrechts bedeutet monatliche Abzüge in Höhe von 30 % des Bruttoeinkommens. In der Bundesrepublik ist, das seit Jahrzehnten der Normalfall. Für Angestellte in der DDR ist das eine Einkommensminderung um 10 %, für Arbeiter gar um 15 - 20 %.

Einhundert- und mehrprozentige Mietsteigerungen verursachen den dritten Einschnitt in das Realeinkommen.

Die 4 000,- DM im 1:1 - Umtausch erschöpfen sich in der Übergangszeit.

Von 2,9 Millionen Rentnern in der DDR müssen 1 Million mit der Mindestrente auskommen. Doch jeder kann ein paar Straßen weiter in Westberlin erfahren, dass mit 495,- DM zu leben, dort nicht möglich ist. Etwa 800,- DM sind das bloße Existenzminimum zurzeit.

Gerade Rentner trifft die Entwertung der Spareinlagen, da sie ihre individuellen Reserven jetzt dringend brauchen und nicht mehr neu aufbauen können.

Alleinerziehenden und allein stehenden Frauen wird sozialer Schutz weitgehend entzogen. Besonderer Kündigungsschutz wird abgebaut, Krankengeldzahlung bei Erkrankung des Kindes entfällt, Kindergeldzahlungen werden zum Nachteil unterer Einkommensgruppen neu geregelt.

Die Bundesregierung sieht einer Arbeitslosenrate von 20 % in der DDR kühl entgegen.

Arbeitslose, Rentner, Studenten, Alleinerziehende erfahren einen extremen sozialen Abstieg. Das soziale Gefüge polarisiert sich, ohne dass Abwehrmechanismen vorhanden und erprobt wären. Die Bildung von Betriebsräten und der Neuaufbau der Gewerkschaften sind Gebote der Selbsterhaltung. Der Staatsvertrag regelt nur die Freiheit des Marktes, "sozial" müssen wir ihn selber machen.

Die Sanierung der DDR-Wirtschaft ist aus den Regelungen des Staatsvertrags ausgespart. Das führt dazu, die DDR nur als, Markt, nicht als Investitionsgebiet zu benutzen.

Die unzureichende Regelung der Eigentumsfragen weist in dieselbe falsche Richtung. Freie Kapitalisierung von Grund und Boden sowie aller Formen des Volkseigentums liefert die Besitzstände der DDR Bürger der westdeutschen Kauf- und Expansionskraft aus.

NEUES FORUM

[Flugblatt ohne Ort und Datum, 17.05.1990]