"Starke Politik in Berlin kann nur rot-grün sein"

Bärbel Bohley vom Neuen Forum antwortet auf den Offenen Brief von Linken in der SPD, Oppositionellen und Mitgliedern des Bündnisses 90/ Sie erteilt dem Aufruf zu einer Koalition von Sozialdemokraten, CDU und Bürgerbewegung eine Abfuhr

DOKUMENTATION

Während die Ostberliner SPD mit einer Anzeigenkampagne versucht, die Wähler und die Basis von Bündnis 90 für eine rot-schwarz-grüne Koalition zu erwärmen, reagierte die Basis der Bürgerbewegung auf den gestern in der taz veröffentlichten Brief linker Sozialdemokraten und koalitionswilliger Mitglieder des Bündnisses. Bärbel Bohley vom Neuen Forum übergab der taz eine Erklärung, in der sie sich noch einmal nachdrücklich gegen eine Beteiligung an einem CDU-SPD-Magistrat aussprach.

Berlin hat links gewählt, und zwar zu drei Vierteln.

Ein Magistrat aus SPD und Bürgerbewegung - oder strikte Opposition - das ist der Wählerauftrag für uns sieben Wochen nach der Wende-Wahl, im Vorfeld des Staatsvertrages und am Beginn tiefgreifender sozialer Umschichtungsprozesse. Millionen DDR-Bürger werden unter dem Druck des freien Kapitalverkehrs von sozialen Sicherheiten enteignet. Der traditionell politische Sinn der Berliner hat das sofort verstanden. Die Berliner haben gegen die CDU und diesen Staatsvertrag gestimmt.

Wie können also kommunale Änderungen gegenüber dem Staatsvertrag durchgesetzt werden? Wie erreicht man Regelungen, die Mietwucher, Ausverkauf des kommunalen Grund und Bodens, Bodenspekulation, Politik hinter verschlossenen Türen, Unbewohnbarkeit der Innenstadtbezirke, Umwandlung der KWV in Kapitalgesellschaften usw. verhindern? Die "Linken in der SPD" möchte uns einreden: durch Koalitionsvereinbarungen mit der CDU!

Wenn das ginge, wozu brauchen sie dann uns? Denn die absolute Mehrheit hätten sie. Sagen wir doch einfach die Wahrheit: Man kann nicht mit der Magistrats-CDU gegen die DDR-CDU regieren. Aber wozu wird dann das Bündnis 90 in einer großen Koalition gebraucht? Als Feigenblatt. Zur Beruhigung der Wähler jetzt und zur Vertuschung der politischen Niederlagen später! Nur Salonpolitiker bringen es fertig, sich über diese politische Logik hinwegzutäuschen.

Die Bürgerbewegungen sind bis jetzt die einzigen neuen Akteure auf der politischen Bühne. In Gestalt der Regierungs-CDU ist der Konservatismus nur von links nach rechts umgeschlagen. Die SPD windet sich noch: Sie möchte zwar regieren, aber traut sich nicht, zu kämpfen. Sie bindet sich lieber die Füße mit einem CDU-Strick zusammen, als mit uns eine rot-grüne Koalition einzugehen.

Der Bürgerbewegung fällt die Aufgabe zu, die glaubwürdige Opposition in dem Spannungsfeld der sozialen Konflikte zu sein, die das politische Geschehen der nächsten Monate und Jahre bestimmen werden. Diese Aufgabe haben wir, ob uns das passt oder nicht. Sie wird nicht von den "Moralisten" in unseren Reihen erfunden, sie wird uns von der "sozialen" Marktwirtschaft gestellt. Es stimmt schon nachdenklich, wenn Oppositionelle angesichts eines Stadtratspostens vergessen, dass CDU und SPD gemeinsam die Diskussion zur Verfassung und zum Staatsvertrag verhindern und dafür verantwortlich sind, dass ein Minister Diestel heute wieder einen Herrn Mielke einstellen möchte.

Die Basis vergisst nicht so schnell, sie weiß, dass politische Verantwortung und Macht nicht immer zusammengehören. Die Opposition unserer Bürgerbewegung kann einflussreicher sein, wenn sie die politische Moral nicht vergisst. Dagegen wird einer gemeinsamen Politik von SPD und CDU immer die Durchsetzungskraft fehlen. Starke Politik in Berlin kann nur rot-grün sein.

Im Berliner Sprecherrat des Neuen Forums haben alle Stadtbezirke die Verhandlungsführung für den Minderheits-Magistrat SPD/Bündnis 90/Grüne gebilligt. Entweder wirkliche Verantwortung oder wirkliche Opposition! Der deutschen Demokratie hilft man nicht durch Trittbrettfahren auf dem Verschiebebahnhof des politischen Konservatismus.

Bärbel Bohley

aus: TAZ-BERLIN, Nr. 3111, 19.05.1990

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