Heiße Eisen anfassen oder Sitze auswürfeln

Kandidaten sind an deutlichen Aussagen zu messen

Wahlkampf im Lande. Wie ein großer Opernchor: Alle auf der Bühne singen dasselbe. Bei allen sind die Renten in guten Händen, bei allen werden die Frauen gefördert, die Behinderten unterstützt, die Kindergärten gesichert, die Jugend befreit, die Löhne erhöht, die Arbeitsplätze gesichert (oder durch Umschulung erneuert, oder Arbeitslosengeld bezahlt), die Mieten eingefroren (oder durch Wohngeld kompensiert), die Sparkonten bewahrt, die Gewerbesteuern gesenkt, die Wirtschaft marktorientiert und effizient und doch sozial verträglich gestaltet, dabei ökologisch umgebaut. Gute Aussichten, jedoch: Wer kann das bezahlen, wer hat soviel Geld?? Der Wohltäter in Bonn wird die Spendierhosen sicher eng zuschneiden, denn alles bedeutet: Kapital konsumtiv verpulvern, und das darf ein guter Kapitalist eigentlich nicht tun.

Alle kennen das Brot in Mülltonnen

Bei soviel Einigkeit kann man eigentlich nur noch die Sitze auswürfeln. Ich würde gern ein paar heiße Eisen zum Anfassen vorschlagen. Damit man echte zwischen den Kandidaten ausmachen kann.

Zum Beispiel Abbau der Subventionen bei Konsumgütern. Subventionierte Preise wurden als Geschenk von Partei und Regierung an die Werktätigen dargestellt, obwohl sie aus deren Abgaben und Steuern stammen. Sie sollten dem sozial Schwachen den Grundbedarf sichern. Wohin sie tatsächlich geführt haben, wissen wir: Verschwendung, Schluderei, Abkauf. Verschimmelte Brotlaibe in der Mülltonne, weggeworfene Buttersemmeln auf dem Schulhof, an Hühner verfüttertes Brot. Matschige Kartoffeln und mehlige Äpfel im Laden, und fast das ganze Jahr Weißkohl als einziges Gemüse (bitte keine Proteste, es ist so an vielen Orten außerhalb Berlins!). Und jetzt 100 Tage seit Öffnung der Mauer für täglich 10 Millionen Mark Einkäufe in den grenznahen Gebieten durch Westler macht bereits über eine Milliarde.

Die Preise müssen kostendeckend werden. Das Brötchen wird 15 Pfennig und das Brot 1,50 Mark kosten müssen. Noch können wir den Preisunterschied an den Verbraucher zurückgeben, in zwei Monaten müssen vielleicht andere Löcher gestopft werden. Noch können wir eine soziale Verteilung finden, vielleicht keine völlig gerechte, aber eine, die kinderreichen Familien und Rentnern ihr Recht lässt: nämlich allen den gleichen Betrag, ob arm oder reich!

Ein anderes Thema: Währungsunion. Hier verspricht man uns das Paradies nach kurzer Vorhölle. Bis jetzt hat mir noch jeder Bank- oder Wirtschaftsexperte des Westens gesagt, dass nicht klar ist, wie das funktionieren soll. Und dass er Sorgen hat vor der sozialen Rosskur. Die sofortige DM-Übernahme setzt die Hälfte unserer Betriebe dem eiskalten Wind der Konkurrenz aus und wird zu Arbeitslosigkeit und Sozialabbau führen.

Mit der schnellen DM auch ein Pferdefuß

Mit der schnellen DM kommt auch ein Pferdefuß: Rechtsunion! Hier müssen wir aufpassen! Zum Eigentum! Im Grundgesetz ein Grundrecht, das zu gewährleisten ist. Damit wären die Enteignungen der letzten 40 Jahre anfechtbar! Die Enteignung der Fabrikbesitzer ebenso wie die Bodenreform, auch die Zwangsenteignungen und Zwangsverkäufe von Kleinbetrieben, Grundstücken und Häusern bis in die 80er Jahre. Wir werden einen Rattenschwanz von schweren sozialen Konflikten zwischen Eigentümern und Nutzern haben und dürfen keinesfalls ohne prinzipielle Regelungen in eine Rechtsunion gehen. Verfassung und Gesetz müssen hier klare Aussagen machen.

Ein anderes Thema: Recht auf Arbeit! In unserer Makulatur-Verfassung ein Grundrecht, im Grundgesetz keine Spur davon. Wollen wir es einfach aufgeben?

Es geht um ein politisches Recht, das die Gesellschaft zwingt, etwas zu unternehmen, wenn es Arbeitslosigkeit gibt. Zum Beispiel erhöhte Gewinne als Freizeit anstatt Lohnerhöhung ausschütten, um für andere Platz zu machen. Oder geteilte Jobs. Oder Umschulungsprogramme. Sozialpläne. Natürlich haben sie das zum Teil auch im Westen, aber es macht einen Unterschied, ob es ein Grundrecht ist oder nicht.

Verkaufsverbot von Grund und Boden

Oder: Bodenrecht! Es gibt Vorschläge, national eigenen Boden zu verkaufen, um die Spareinlagen hart zu machen.

Haben wir da bedacht, dass in München der Quadratmeter zwischen tausend bis zu zehntausend DM kostet? Dass sich ein Arbeiter oder Kleinbürger hier unmöglich ein Eigenheim bauen kann? Dass die Hälfte der Wohnungsmiete auf den nackten Bodenpreis geht? Dass Spekulanten den Boden billig aufgekauft haben und jetzt den Preis hochtreiben? Wollen wir die Riesenkästen von Versicherungen und Banken in den Städten?

Meiner Meinung nach müssen wir ein Verkaufsverbot von Grund und Boden haben und das Erbpachtsystem der Bodennutzung stärken.

Also was ist unsere Aufgabe?

Nicht jaulen und klagen, sondern den Kopf einsetzen und nicht an den guten Onkel glauben, der es schon richten wird, weil er angeblich mehr von Politik. Recht und Wirtschaft versteht. Und mit einem eigenen Verfassungsentwurf in die Verhandlungen gehen, damit ein paritätischer Interessenausgleich stattfinden kann.

Jens Reich
NEUES FORUM

aus: Podium, Die Seite der neuen Parteien, Initiativen und Gruppierungen in der Berliner Zeitung, Jahrgang 46, Ausgabe 53, 03.03.1990

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