Wir wollen auf jeden Fall politische Verantwortung tragen

Verschiedene basisdemokratische Gruppen stellten sich vor

Die Initiativgruppe "4. November" der Berliner Theaterschaffenden hatte Sonntagvormittag Vertreter verschiedener basisdemokratischer Gruppierungen ins Berliner Ensemble geladen TRIBÜNE nutzte die Gelegenheit, mit Dr. Manfred Riedel vom Neuen Forum" zu sprechen.

Ihre Vereinigung hat Antrag auf Zulassung gestellt. Welche Form der Organisation streben Sie an?

Das wird von dem neuen Wahlgesetz abhängen. Wir wollen auf jeden Fall wählbar sein und damit politische Verantwortung übernehmen. Ob Partei oder Organisation, das wird sich finden. Ich möchte betonen, dass ich kein offizieller Sprecher des "Neuen Forums" bin, da es solche noch nicht gibt.

Welche Zielstellung verfolgen Sie mit dem "Neuen Forum"?

Unter diesem Namen haben sich Menschen versammelt, die mit dazu beitragen wollen, die Krise in unserem Land zu überwinden. Wir sind nicht mit einem fertigen Programm gestartet, da das erst demokratisch erarbeitet werden muss. Deshalb haben wir verschiedene Fachforen gebildet, die ein Programm vorbereiten sollen. Dazu gehören beispielsweise Foren für Wirtschaft, Energie, Justiz,Bildung, Gewerkschaften, Jugend, Kultur oder Medienpolitik.

Gibt es schon erste Vorstellungen zu einer Wirtschaftsstrategie?

Die DDR muss sich dem internationalen Markt stellen. Dazu halten wir es für wichtig, die Wirtschaft weitgehend zu dezentralisieren, damit die Betriebe gewinnorientiert arbeiten können. Das heißt, auch innerhalb der DDR müssen sich die Betriebe mit ihren Produkten auf dem Markt beweisen. Die Preise sollten den realen Aufwand widerspiegeln. Wir wollen nicht die Großbetriebe privatisieren, aber in Klein- und Mittelbetrieben kann private Initiative die Wirtschaft beleben. Neben Schlechtem ist in 40 Jahren DDR auch viel Gutes gewachsen. Die Verteilung muss auch weiterhin nach sozialen Gesichtspunkten erfolgen. Hier gilt es besonders, die DDR-Identität zu bewahren. Die sozialen Aspekte dürfen aber nicht leistungsmindernd wirken.

Die Betriebe sollten den Außenhandel selbst abwickeln, das wirkt positiv auf die Produktion. Auf diese Weise könnte kurzfristig unsere Außenhandelsbilanz verbessert werden. Sehr wichtig ist eine frei konvertierbare Währung, denn nur sie kann den Ausverkauf auf Dauer wirksam verhindern. Jeder Betrieb muss individuelle Lösungen finden, um aus der Stagnation herauszukommen. Kooperationen mit ausländischen Firmen sind dabei ein durchaus realistischer Weg.

Welche Rolle können künftig die Gewerkschaften spielen?

Sie müssen die wirkliche Interessenvertretung der Werktätigen sein. Zwischen Leitung und Belegschaft gibt es auch bei uns Interessenkonflikte. Die Gewerkschaften müssen helfen, hier vernünftige Kompromisse zu finden. Sie sollten im Interesse der Mitglieder die Leitungen kontrollieren können und auch das Recht erhalten, unfähige Leitungen abzuberufen. Das Instrumentarium der Gewerkschaften ist dazu weitgehend vorhanden, es wurde bisher nur ungenügend genutzt.

Welche Haltung haben Sie von einer einheitlichen Gewerkschaftsbewegung?

Das ist etwas Gutes, Zersplitterung wäre ein großer Fehler. Allerdings müssten die Gewerkschaftsleitungen demokratisch gewählt werden, und die Bedeutung sowie die Handlungsmöglichkeiten der einzelnen Industriegewerkschaften sollten sich erhöhen. Ich bin skeptisch, ob der FDGB das schaffen kann. Diese Umgestaltung wird viel Zeit brauchen und muss sich in einem Prozess von unten nach oben vollziehen. Wobei man auch hier nicht alle Gewerkschaftsleitungen über den gleichen Kamm scheren darf.

Mit Dr. Manfred Riedel
sprach Thomas Conrad

aus: Tribüne, 21.11.1989

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