"Deutliche Entwicklung bei Lafontaine"

Sabine Leger, Vorstandsmitglied der DDR-SPD über die Parteivereinigung

taz: Steht der Ost-SPD nicht ein ähnliches Schicksal wie den anderen DDR-Partnern der etablierten Parteien bevor? Wird sie von der West-Schwester erdrückt?

Sabine Leger: Ich denke, ein Vergleich mit den anderen Parteien ist fehl am Platz. Uns ging es von Anfang an um eigenständige Politik, und nicht darum, Ableger einer großen Partei zu werden. Unser Beitrag ist genauso wichtig wie der politische Ansatz der West-SPD. Nur beide Komponenten werden eine Entwicklung nach vorne bringen. Ich bin da ganz optimistisch, dass wir nicht erdrückt werden.

Wenn man sich die desolate Organisation der DDR-SPD, die schwachen Mitgliederzahlen oder die mangelnde Resonanz innerhalb der DDR-Bevölkerung anschaut, dann bringt die Ost-SPD in erster Linie Probleme mit in die Gesamtpartei. Das dürfte die Durchsetzung spezifischer politischer Inhalte kaum befördern.

Man muss da klar trennen zwischen den Problemen des Parteiaufbaus in den Ost-Ländern und den inhaltlichen Diskussionen. Ich sehe keine Anzeichen, dass wir politisch nicht akzeptiert werden, weil wir eine schlechtere Organisation haben.

Was hat die DDR-SPD denn falsch gemacht, dass sich die optimistischen Erwartungen vom Jahresbeginn nicht erfüllt haben.

Ich denke, dass es ein Fehler war, sich im Januar aus dem Wahlbündnis mit den Bürgerbewegungen zu verabschieden. Eine Volkskammerwahl "alt gegen neu", um das mal verkürzt auszudrücken wäre sicherlich anders ausgegangen. Ein anderer Schritt, den ich sehr bedauere, war die Entscheidung, in eine Regierungskoalition mit der DSU einzutreten. Das hat unserem Ansehen geschadet. Wir haben damit unser stärkstes Pfand, die Glaubwürdigkeit, ziemlich schnell aufs Spiel gesetzt.

Willy Brandt hat in seiner Eröffnungsansprache vom "inhaltlichen Zugewinn" gesprochen, den die Vereinigung der beiden Parteien bedeutet. Was bringt die DDR-SPD denn an spezifischen Inhalten ein?

Mein Anliegen ist es, dass der West-SPD mit der Vereinigung eine Brücke nach Ost-Europa zuwächst. Wir haben eine gemeinsam Geschichte und verstehen, wie sich die Bevölkerung in diesen Ländern in den letzten vierzig Jahren gefühlt hat. Da können wir einen ganz neuen Aspekt in die sozialdemokratische Politik einbringen. Das ist unsere Pflicht, von der wir nicht entbunden sind, erst Recht nicht nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten.

Das wird sicher auch die West-SPD ohne Schwierigkeiten befürworten. Gibt es denn auch klaren inhaltlichen Dissens, der nach der Vereinigung zu Konflikten führen wird?

Ich sehe diesen Dissens nicht. Ich sehe eher Unterschiede, wie politische Ansätze bei uns und im Westen vertreten werden. Bei der offensiven Vermittlung von Themen haben wir als politische Anfänger sicher Nachholbedarf.

Sind die Schwierigkeiten, sozialdemokratische Inhalte in der DDR zu vermitteln, auch ein spezifisches Problem von Oskar Lafontaine?

Lafontaine hatte anfänglich sicher Schwierigkeiten, seine Politik in der DDR zu vermitteln. Allerdings habe ich mehrere Wahlkampfauftritte von Lafontaine erlebt und war angenehm überrascht, wie es ihm jetzt gelingt, die Sprache der DDR-Bürger zu begreifen, das politisch aufzunehmen und dazuzulernen. Ich sehe da eine deutliche Entwicklung.

Interview: Matthias Geis

aus: taz, Nr. 3221 vom Do. 27.09.1990