SPD für eine vertraglich geregelte Vereinigung

BZ-Gespräch mit Markus Meckel, stellvertretender Parteivorsitzender

Wenige Tage vor der Entscheidung der Bürger für eine der mehr oder weniger sozial, ökologisch, marktwirtschaftlich orientierten Parteien oder Bündnisse fragte BZ nach Wahlzielen der SPD. Gesprächspartner war der stellvertretende Parteivorsitzende Markus Meckel (37 Jahre, Theologe, verheiratet, 2 Kinder, aufgrund seiner Parteifunktion will er die Synode des evangelischen Kirchenbundes der DDR um Entlastung bitten).

BZ: Mit welchen Erwartungen geht die SPD in die Abstimmung über die künftige Volkskammer?

M. Meckel: Vor einer Wahl, die die erste demokratische nach über fünf Jahrzehnten ist, lässt sich Genaueres nicht sagen. Wir sind in einer ganz anderen Situation, als z. B. westliche Länder, die immer von ihren bisherigen Wahlergebnissen einige Prozente hoch- oder runterrechnen konnten. Wir hoffen, dass wir im kommenden Parlament eine sehr starke Fraktion sein werden und von daher mit der Regierungsbildung beauftragt. Wir wollen in jedem Falle mit anderen koalieren, können uns aber auch vorstellen, dass aus anderen Parteien oder Gruppierungen einzelne Personen in die Regierung aufgenommen werden.

BZ: Es gibt von Bündnis 90 den Vorschlag zu einer Minderheitsregierung mit der SPD.

M. Meckel: Eine solche Konstellation ist für uns nicht diskutabel. Eben aus dem Grund, dass wir eine breite Mehrheit wollen. Die Entscheidungen, die auf der Tagesordnung stehen, sind für die deutsche Geschichte sehr wesentlich. Sie müssen einfach von einer großen Mehrheit getragen werden.

BZ: Weiche Koalitionspartner kämen also in Frage?

M. Meckel: Wie es in demokratischen Ländern üblich ist, wäre grundsätzlich alles möglich. Wir haben nur zwei Koalitionen ausgeschlossen, das sind die PDS und die DSU.

BZ: Nach dem Wahlwochenende wird es ernst. An welche ersten Schritte denkt die SPD?

M. Meckel: Es ist zu Anfang sehr vieles gleichzeitig notwendig. Wir sind dabei, einen Gesetzgebungsplan zu erarbeiten. In die allererste Phase gehört: das Eigentumsrecht, die Sicherung der Bodenreform, die Garantie für Wohnraum, das Gewähren von Nutzungsrechten gegenüber Ansprüchen früherer Besitzer. Wir wollen also Besitzverhältnisse und Rechte für unsere Bürger sichern. Als zweites brauchen wir Gesetze für die Wirtschaft, die sehr schnell Bedingungen schaffen, unter denen auch ausländische Kapitalgeber hier investieren. Und - wir wollen Chancen für die Unternehmer aus dem eigenen Land. Ein dritter Bereich ist die Verwaltungsreform, der Umbau in Länderstrukturen. Der vierte Komplex betrifft die wesentliche Frage der deutschen Einigung. Sofort nach der Regierungsbildung sollen Verhandlungen mit der Bundesrepublik aufgenommen werden, um den schnellstmöglichen Weg der Vereinigung vertraglich zu vereinbaren. Wir wollen keinen unmittelbaren Anschluss ohne Klärung von rechtlichen und sozialen Belangen.

BZ: Die SPD erhebt im Wahlkampf den Anspruch, das soziale Gewissen der Vereinigung zu sein.

M. Meckel: Das ist richtig. Wir wollen das soziale und - man muss hinzufügen - das europäische Gewissen der Vereinigung sein. Weil wir denken, die Einigung kann sonst nicht gut verlaufen. Deshalb unsere starke Kritik an der Problematisierung der polnischen Westgrenze durch Herrn Kohl.

BZ: in europäischem Zusammenhang sind die Reisen von SPD-Politikern nach Moskau und Washington zu sehen. Bei Ihren Gesprächen in den USA schien die NATO-Einbindung Deutschlands nach wie vor der Streitpunkt zu sein?

M. Meckel: Es ist deutlich geworden, dass die Tendenz der USA besteht, das geeinte Deutschland in der NATO zu sehen. Wir sind da eher skeptisch. Es hat aber wenig Sinn, diese Frage nur mit ja oder nein zu beantworten. Die rechte Frage scheint uns zu sein, wie dieses Deutschland künftig sicherheitspolitisch eingebunden sein könnte. Welche konkreten Interessen der uns umgebenden europäischen Nachbarn wir berücksichtigen müssen. Das sind die Verpflichtungen beider Partner nach Osten und Westen, das Interesse der Nachbarn, dass keine deutsche militärische Großmacht entsteht und dass jede militärische Macht in Europa eingebunden ist in Sicherheitsgarantien für die anderen Länder.

BZ: Kehren wir zu innenpolitischen Aspekten zurück, zu den Äußerungen Ihres Parteivorsitzenden, das gerade verabschiedete Gewerkschaftsgesetz müsse revidiert werden. Ist die SPD nun Interessenvertreter der Werktätigen oder der Unternehmer?

M. Meckel: Die SPD macht und dazu bekennen wir uns die Interessen der Arbeitnehmer und der Gewerkschaften zu ihren eigenen. Wir wollen starke und unabhängige Gewerkschaften, mit einer großen Tarifautonomie. Wir wollen, dass die sozialen Rechte der Arbeitnehmer gewährleistet werden. In diesen Fragen brauchen die Gewerkschaften viel Kompetenz. Wir müssen gleichzeitig unterscheiden zwischen Gewerkschaften und Gesamtbelegschaften. Letztere werden durch Betriebsräte vertreten. Diese Belegschaftsvertretungen sollen eine paritätische Mitbestimmung in Fragen des Managements, der Betriebsentwicklung usw. sichern. Je stärker die Gewerkschaften sind, je mehr sie Interessenvertreter der Arbeitnehmer sind, um so mehr Einfluss werden sie auch innerhalb der Betriebsräte haben, wie es z. B. in Schweden der Fall ist.

BZ: Das Gewerkschaftsgesetz erscheint also der SPD nicht geeignet, diese Inhalte zu fixieren?

M. Meckel: Zwischen der parlamentarischen - also staatlichen und der gesellschaftlichen Ebene hierher gehören die Gewerkschaften - muss genau unterschieden werden. Darum ist es problematisch, wenn Gewerkschaften Gesetzesentwürfe einbringen können. Ein zweiter Punkt ist das Vetorecht z. B. bei Stilllegungen von Betrieben. Es wäre zwar wünschenswert, lähmt aber die Wirtschaft. Wir alle wollen Marktwirtschaft, weil sie effektiv ist. Aber wir alle wissen, dass ein Großteil unserer Betriebe nicht weltmarktfähig ist. Es gibt auch aus der Sicht des Umweltschutzes Bedenken. Es wird also ohne Schließungen nicht gehen. Hier kann es kein Vetorecht geben, aber unbedingt die starke Interessenvertretung, um soziale Absicherung, Übergangs- und Vorruhestandsregelungen, Umschulungen, Quotenregelungen für Frauen usw. durchzusetzen. Wir brauchen also ein Gewerkschaftsrecht, das die Interessen der Arbeitnehmer sichert - innerhalb einer funktionierenden Marktwirtschaft.

BZ: Damit hätte der Markt das absolute Prä?

M. Meckel: Der Markt muss das Prä haben, sonst läuft die Wirtschaft nicht. Aber es kommt darauf an, wie der Gewinn verteilt wird, welchen Lohn der Arbeiter erhält. Das regeln entsprechende Tarifverträge, der Staat greift über die Verteilung des Mehrwertes ein. Wir müssen lernen, die verschiedenen Interessen gesellschaftlicher Gruppen so auszuhandeln, dass die Gesellschaft funktioniert.

BZ: Die Gewerkschaften sind schon jetzt gefordert. Mit einer raschen Umstellung auf die D-Mark werden weitere Betriebe in Note geraten. Auch das Einkommensgefälle zur BRD ist mit der Währungsunion nicht aufgehoben. Programmiert das nicht weitere Auswanderung vor?

M. Meckel: Der Symbolwert der D-Mark ist da. Die Menschen wollen sie schnell in der Hand haben. Wir brauchen darüber hinaus eine klare wirtschaftliche Perspektive. Wichtig ist zugleich die soziale Absicherung, eine neue Beschäftigungspolitik. All das muss finanziert werden und kann nur in einen Vertrag zur Währungsunion integriert sein.

Wir werden versuchen, so schnell wie möglich eine Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zu erreichen. Immer mit dem integrativen Bestandteil der sozialen Sicherung.

Das Gespräch führte
Bettina Urbanski

aus: Berliner Zeitung, Jahrgang 46, Ausgabe 62, 14.03.1990. Die Redaktion wurde mit dem Karl-Marx-Orden, dem Vaterländischen Verdienstorden in Gold und dem Orden "Banner der Arbeit" ausgezeichnet.

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