ND-Interview mit Außenminister MARKUS MECKEL zu den Zwei-plus-vier-Verhandlungen

UdSSR-Sicherheitsinteressen dürfen nicht ignoriert werden

In der Nacht zum Donnerstag im Flugzeug London—Berlin. DDR-Außenminister Markus Meckel, der wenige Stunden zuvor mit seinem britischen Kollegen Douglas Hurd über die heute in Berlin beginnenden Zwei-plus-vier-Verhandlungen sprach, versammelt die mitreisenden Journalisten um sich und beantwortet unter anderem folgende Fragen unseres Sonderberichterstatters Dr. JOCHEN REINERT:

London war bislang eher ein Nebenschauplatz in den Dialogbemühungen der DDR um die Lösung der äußeren Aspekte der deutschen Frage - was haben Sie mit dem britischen Außenminister erörtert?

Es ging selbstredend um die Zwei-plus-vier-Verhandlungen, die deutsche Einigung und die europäischen Bedingungen dafür. Wir sprachen darüber, was zu klären ist: Wird das künftige Deutschland Teil der NATO sein, und welche Möglichkeiten bestehen, die Interessen der Sowjetunion und der anderen östlichen Staaten zu berücksichtigen. Wir wollen, dass die deutsche Einigung nicht nur die Abtrennung der DDR von der Gemeinschaft der osteuropäischen Länder bedeutet, sondern ein Prozess der Einigung Europas wird. Es muss ein Bestandteil dieser Lösung sein, dass die Sowjetunion sein Teil Europas ist und dass auch die anderen osteuropäischen Länder in eine gesamteuropäische Sicherheitsstruktur im KSZE-Rahmen eingebunden werden.

Die Anwesenheit sowjetischer, amerikanischer, aber auch anderer alliierter Trappen in Deutschland ist ja ein Ausdruck der Rechte der vier Mächte. In welcher Form sollten diese im Rahmen der Zwei-plus-vier-Verhandlungen abgelöst werden?

Es ist so, dass wir bei den 4-Mächte-Rechten einige ganz konkrete Punkte haben wie z.B. die Frage von Berlin, den Luftverkehr, die Anwesenheit der Alliierten in Berlin. Dann gibt es die sogenannten originären Rechte, also die Vorbehaltsrechte nach dem Potsdamer Abkommen. Es ist wichtig für uns, dass diese Rechte abgelöst, d.h., dass Deutschland in seinen Entscheidungen souverän wird, dass es sich souverän und selbständig in gemeinsame Bindungen in europäische Institutionen hineinbegibt. Hierfür Klärungen zu finden, ist Aufgabe des Zwei-plus-vier-Prozesses.

Halten Sie es für realistisch, gesamtdeutsche Wahlen auf den Dezember vorzuziehen, solange die äußeren Aspekte der deutschen Frage noch nicht geklärt sind?

Ich habe ja schon zum Ausdruck gebracht, dass ich das Festlegen eines Wahltermins in diese Zeit genau aus diesem Grunde für problematisch halte. Ich schließe nicht aus - und ich will dies natürlich in jeder Weise befördern dass die äußeren Aspekte wirklich bis zum Herbst geklärt sind. Aber die Festlegung eines Termins setzt jedenfalls die Sowjetunion unter Druck. Und das kann nicht unser Interesse sein.

Geraten nicht auch die Zwei-plus-vier-Verhandlungen unter zusätzlichen Zeitdruck?

Sie stehen natürlich sowieso unter einem zeitlichen Druck, und das schadet zunächst nichts, denn dann wird intensiv verhandelt. Es ist nur ein Problem, wenn ein Endpunkt schon definiert ist. Denn so viel ist klar, wenn die Vereinigung einfach durch den Grundgesetz Artikel 23Artikel 23 geschieht, wird ganz Deutschland Teil der NATO. Und das ist das Problem. Denn es ist notwendig, hier eine Konsensentscheidung zu finden, die auch von der Sowjetunion mitgetragen werden kann, und es ist einfach kommunikationsmäßig schwierig, wenn man sagt, das Ergebnis steht schon fest und jetzt beeil dich mal dem zuzustimmen.

Wie weit sind die Standpunkte der NATO und der UdSSR in der Frage des militärischen Status eines geeinten Deutschlands noch auseinander, und erwarten Sie jetzt in Berlin eine Annäherung?

Ich erwarte in Berlin keinen Durchbruch. Ich hielte das auch für unrealistisch vor dem Parteitag in der Sowjetunion, vor dem NATO-Gipfel Anfang Juli. Ich vermute, dass es zwar wichtige Resultate gibt, die aber vielleicht nicht so publikumswirksam sind - jedenfalls noch nicht das große Ergebnis. Dies ist erst beim vierten Treffen Anfang September in Moskau zu erwarten.

Herr Minister. Sie haben die Idee einer Sicherheitszone in Osteuropa lanciert, ein zeitweiliges „Bündnis zwischen den Bündnissen". Welche Überlegungen haben Sie dazu veranlasst?

Es geht um die Frage, wie kann Sicherheit organisiert werden. Wir wollen grundsätzlich europäische Sicherheitsstrukturen, also unsere Priorität liegt bei der KSZE und eben nicht bei der NATO. Das heißt, Sicherheit muss gesamteuropäisch gedacht werden, und die DDR hat zusammen mit Polen und der ČSFR einen trilateralen Vorschlag zur Institutionalisierung des KSZE-Prozesses erarbeitet. Zugleich sollte Sicherheit aber auch stärker regionalisiert werden.

Wie könnten Ihrer Meinung nach die beiden Militärbündnisse aufeinander zugehen, einen Konsens finden?

Die beiden Bündnisse sollten zunächst einfach feststellen, was sich entwickelt hat, und dies selbstverpflichtend verankern wobei noch offen ist, ob beim Warschauer Vertrag noch eine Entwicklung zu einer politischen Organisation stattfindet. Ich hielte dies persönlich für sinnvoll, denn es gibt gemeinsame Sicherheitsinteressen in Osteuropa. Wir sollten aber aussprechen, dass es kein Feindbild mehr gibt, wir sollten die Bündnisse sozusagen entfeinden. Eine Versammlung der 23 Mitgliedsstaaten beider Organisationen noch vor dem KSZE-Gipfel könnte eine entsprechende Erklärung abgeben.

Es wird sehr viel gesprochen über Modelle einer militärischen Einbindung des künftigen Deutschlands, aber erstaunlich wenig über notwendige Abrüstungsschritte in diesem Zusammenhang. Welchen Stellenwert sollten Ihrer Meinung nach Abrüstungsregelungen im Kontext der Zwei-plus-vier-Verhandlungen haben?

Sie spielen eine sehr große Rolle. Die Abrüstungsfragen gehören - auch ohne, dass sie im Zwei-plus-vier-Prozess verhandelt werden - zu dem Lösungspaket. Es sollte Obergrenzen der Streitkräfte nicht nur für Deutschland, sondern auch für die anderen zentraleuropäischen Länder geben. So erst wird es überhaupt für die osteuropäischen Länder und insbesondere die Sowjetunion tragbar, dass Deutschland Teil einer veränderten NATO wird. In der NATO sollten grundlegende Strategieveränderungen erfolgen. Ich hielte es auch für gut, wenn die NATO einen Verzicht auf atomaren Ersteinsatz aussprechen würde.

Hat Mr. Hurd Ihnen da Hoffnungen gemacht?

Er hat deutlich ausgesprochen, dass ein solches Feindbild nicht bestehen darf und dass beim NATO-Gipfel Anfang Juli hier sehr deutliche Schritte gegangen werden. Er hat zum anderen die Bereitschaft ausgesprochen, dass die britische Rheinarmee drastisch reduziert wird.

Haben Sie mit Mr. Hurd bereits über ein mögliches Schlussdokument der Zwei-plus-vier-Verhandlungen gesprochen?

Ja, und auch in den Gesprächen der Experten sind wir dabei, den Blick auf ein solches Schlussdokument zu richten. Es ist einfach wichtig, dass wir langfristig vorarbeiten, um festzustellen, was in einem solchen Dokument stehen soll. Da ist einmal die polnisch-deutsche Grenze, des weiteren politische und militärische Fragen, der Berlin-Status und dann abschließende völkerrechtliche Regelungen zur Ablösung der 4-Mächte-Rechte. Nicht alles, was dort stehen wird, muss unbedingt im Rahmen dieser Gespräche erörtert werden. Die deutsch-polnischen Fragen zum Beispiel werden trilateral zwischen beiden deutschen Staaten und Polen verhandelt und dann von den vier Mächten eigentlich nur noch zur Kenntnis genommen und anerkannt. Wir hoffen jedenfalls, dass dies möglich ist. Dies wird Thema der nächsten Runde in Paris sein, Mitte Juli."

Neues Deutschland, Fr. 22. Juni 1990, Jahrgang 45, Ausgabe 143


Formal wurde unter den Ländern der Zwei die BRD und die DDR subsumiert. Die Plus Vier Frankreich, Großbritannien und Nordirland, die Sowjetunion und die Vereinigten Staaten von Nordamerika. Informell bildeten aber die BRD und die USA die Zwei und der Rest die Vier. Vor allem die USA sorgten dafür, dass es Zwei-plus-vier-Gespäche gab und nicht Vier-plus-zwei-Gespräche. Auch fünf, mit Polen, wurde verhindert.

Das dritte 2+4-Treffen auf Außenministerebene fand am 17.07.1990 in Paris statt.


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