Ja zur deutschen Einheit - eine Chance für Europa

Wahlprogramm der SPD zum ersten frei gewählten Parlament der DDR

Am 18. März werden wir frei wählen. Diese freie Wahl verdanken wir der friedlichen Revolution vom Herbst 1989, dem Aufbruch des Volkes in diesem Lande zur politischen Selbstbestimmung Es wird die Aufgabe der gewählten Vertreter der Parteien und politischen Vereinigungen sein, den Willen des Volkes durch eine ebenso mutige wie verantwortungsvolle Politik umzusetzen.

Was wir und mit uns die meisten Menschen in diesem Lande wollen, ist schon heute sichtbar:

Wir wollen die deutsche Einheit.
Wir wollen Freiheit, Zukunftschancen und soziale Sicherheit.
Wir wollen dies alles hier, in unserer Heimat.

Wir Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen wollen Politik für die Menschen in diesem Lande gestalten. Wir stehen für Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität.

Willy Brandt hat mit seiner Ostpolitik die Grundlagen geschaffen für die Oberwindung der Spaltung Europas. Daran knüpfen wir an.

Wir sagen Ja zur deutschen Einheit. Wir wollen sie so gestalten, dass sie eine Chance für die Erneuerung Deutschlands und die Vereinigung Europas wird. Niemand soll sie fürchten müssen,

- weder die sozial Schwachen in beiden Teilen Deutschlands

- noch die Nachbarn Deutschlands

- noch die Völker Osteuropas, die wie wir den Weg der demokratischen und wirtschaftlichen Erneuerung gehen.

In dieser Verantwortung legen wir einen Fahrplan zu deutschen Einheit und ein Programm für eine freiheitliche und solidarische Gesellschaft vor.

I. Unser Fahrplan zur deutschen Einheit

Auf dem Weg zur deutschen Einheit müssen vier Entwicklungen koordiniert werden:

1. die Entwicklung zur europäischen Integration, damit die Rechte und Interessen der Vier Mächte und unserer Nachbarn zur Geltung kommen;

2. die Entwicklung gesamtdeutscher politischer Institutionen, damit die Einigung kein chaotischer Anschluss, sondern ein geordnetes Zusammenwachsen wird;

3. die umsichtige Reform der Rechtsordnung in der DDR, damit Marktwirtschaft, Mitbestimmung und soziale Sicherheit nicht auseinanderlaufen;

4. die Verwaltungsreform in der DDR, damit ein Bundesstaat der fünf Länder mit kommunaler Selbstverwaltung entsteht.

1. Die europäische Integration

März 1990: Beide deutschen Parlamente geben am Tage des Zusammentritts des gewählten Parlaments der DDR eine gemeinsame Erklärung zur Anerkennung der deutschen Grenzen zu ihren Nachbarn ab.

April 1990: Eine Sechs-Staaten-Konferenz der Vier Mächte und der beiden deutschen Staaten vereinbart unter Beteiligung unserer Nachbarn den sicherheitspolitischen Rahmen für ein künftiges geeintes Deutschland.

Herbst 1990: Eine KSZE-Konferenz tritt zusammen, um eine gesamteuropäische Sicherheitsordnung zu beraten, die langfristig an die Stelle der NATO und des Warschauer Vertrages tritt.

2. Die Entwicklung der gesamtdeutschen politischen Institutionen

März 1990: Das Parlament der DDR erklärt am Tage seines Zusammentritts die Anerkennung der "Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten" vom 4. November 1950.

Es erklärt seinen festen und feierlichen Willen, die Vereinigung der beiden deutschen Staaten zu einem deutschen Bundesstaat herbeizuführen und die Einigkeit der Deutschen zu verwirklichen. Es beschließt die Grundregeln, nach denen das Parlament und die Regierung der DDR in der Übergangszeit arbeiten. Es beschließt die Bildung einer Verfassungskommission, die kurzfristig den Entwurf einer neuen Verfassung vorlegen soll. Anschließend wird die Regierung gebildet.

April 1990: Beide Regierungen beginnen mit den Verhandlungen über Vertragswerk zur deutschen Einheit, das einen verbindlichen Fahrplan und alle hiermit verbundenen gegenseitigen Vereinbarungen festlegt. Sie bilden auf allen Ebenen gemeinsame Kommissionen. Zugleich werden gemeinsame parlamentarische Kommissionen gebildet. Das Parlament der DDR beschließt ein Gesetz zur Bildung der Länder.

April/Mai 1990: Der Rat zur deutschen Einheit wird gebildet. Er verkörpert die Einheit Deutschlands.

Er soll als gemeinsames Organ das Zusammenwachsen der beiden deutschen Staaten begleiten. Er ist bei allen Fragen, die die Einigung der beiden deutschen Staaten und ihre Beziehungen zu dritten Staaten betreffen, beratend hinzuzuziehen. Er besitzt keine Gesetzgebungsbefugnis. Er erarbeitet ausgehend vom Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland ein gemeinsames Grundgesetz.

Er wird von den Parlamenten der beiden deutschen Staaten und den Landtagen paritätisch zu besetzt. Zum Vorsitzenden schlagen wir Willy Brandt vor.

6. Mai 1990: Kommunalwahlen und Kreistagswahlen in der DDR. Aufbau der kommunalen Selbstverwaltung und Umwandlung der bisherigen Kreise in Landkreise.

Sommer 1990: Landtagswahlen in den fünf Ländern der DDR. Die Länder geben sich eine Verfassung.

Nach Abschluss der Arbeit an dem Grundgesetz des gesamtdeutschen Bundesstaates wird diese vom Rat zur deutschen Einheit paraphiert. Über die Verfassung wird in einer Volksabstimmung entschieden.

Danach findet die Wahl des gesamtdeutschen Parlaments statt. Am Tage des Zusammentritts des Deutschen Bundestages lösen sich der Bundestag der Bundesrepublik Deutschland und das Parlament der DDR auf.

3. Die Reform der Rechtsordnung in der DDR

Dieser Prozess führt zur Einheit Deutschlands über drei Stufen:

Sozialunion - Währungsunion - Wirtschaftsunion. Für viele Gebiete können die Regelungen der Bundesrepublik Deutschland und der EG übernommen werden.

Die notwendigen Schritte sind:

- Eigentumsreform, Preisreform, Bankenreform, Gesetzeswerk zur Sozialunion, Mieterschutz,

- Wirtschaftsgesetzgebung, Steuergesetzgebung, Mitbestimmungsgesetz, Einrichtung des Kapitalmarktes mit Börse in Leipzig,

- Mietrecht, Regelung des Wohnungsmarktes

II. Unser Programm für eine freiheitliche und solidarische Gesellschaft

1. Der Rechtsstaat als Garant der freiheitlichen Gesellschaft

Unsere zukünftige freiheitliche Gesellschaft kann nur auf einer rechtsstaatlichen Ordnung beruhen.

Der Rechtsstaat braucht eine unabhängige Justiz. Eine Justizreform wird das Gerichtswesen neu ordnen und die Gesetze nach rechtsstaatlichen Prinzipien revidieren. Ein unabhängiger Richterbund und ein unabhängiger Bund der Anwälte sollen gründlich und öffentlich die Fehler der Vergangenheit und die Aufgaben der Justiz in einem demokratischen Rechtsstaat diskutieren und dafür auch die Hilfe von Fachleuten aus Ländern mit einer hohen Rechtskultur in Anspruch nehmen. Loyalität zum demokratischen Rechtsstaat und fachliche Kompetenz, durch kontinuierliche Fortbildung erneuert, sind die entscheidenden Voraussetzungen für die Arbeit in der Rechtspflege, nicht aber ein Parteibuch, weder ein altes noch ein neues.

Auf einer neuen gesetzlichen Grundlage werden wir die Verwaltung reformieren. Sie soll vereinfacht werden. Deshalb müssen Mitarbeitern der Verwaltungen Arbeitsplätze in anderen Bereichen vermittelt werden.

Polizei und Verfassungsschutz sollen Ländersache sein, um zentralisierte Sicherheitsapparate zu vermeiden. Ein neuer Verfassungsschutz darf keine Geheimpolizei sein, das heißt weder Waffen besitzen noch verhaften noch verhören. Er darf nur Nachrichten sammeln und untersteht der parlamentarischen Kontrolle. Wer zum Leiter eines Amtes für Verfassungsschutz berufen wird, muss zuvor einem Parlamentsausschuss zu seiner Person Rede und Antwort stehen. Militär soll nicht für polizeiliche Ordnungsaufgaben, insbesondere gegenüber der eigenen Bevölkerung, eingesetzt werden und Angehörige der Volkspolizei nicht für militärische Aufgaben. Es soll das Amt eines Wehrbeauftragten des Paraments eingeführt werden, an den sich alle Wehrpflichtigen - einzeln oder gemeinschaftlich - mit Eingaben oder Beschwerden wenden können, ohne dass ihnen daraus Nachteile entstehen dürfen.

Wir setzen uns ein für einen dezentralisierten Staat mit starken Ländern und Kommunen, die sich selbst verwalten.

So viel wie möglich soll unten, so viel wie nötig oben entschieden und geregelt werden.

Deshalb müssen die Republik, die Länder und die Kommunen je eigene öffentliche Haushalte haben, über die die Volksvertretungen entscheiden. Diese Haushalte sollen sich aus klar zugewiesenen Steuern und Abgaben finanzieren. Ein System des Finanzausgleichs soll Benachteiligungen ausgleichen.

2. Wirtschaftspolitik für soziale Sicherheit und eine gesunde Umwelt

Die Kommandowirtschaft der SED hat zu einer gewaltigen Verschwendung von Arbeitskraft, Kapital und Rohstoffen geführt, unseren Lebensstandard niedrig gehalten und die Menschen um die Früchte ihrer Arbeit gebracht. Es gibt an ihr nichts zu reformieren.

Wir Sozialdemokraten wollen deshalb Markt und Wettbewerb, damit sich Initiative zum Wohle aller entfalten kann.

Wir wollen eine ökologisch orientierte soziale Marktwirtschaft,

- in der alle Bürger Arbeit finden und die Leistungsfähigen die schwächeren bei Krankheit, Alter und Arbeitslosigkeit solidarisch unterstützen,

- in der die natürlichen Lebensgrundlagen und unsere Gesundheit gesichert werden,

- in der alle Bürger am Haben und Sagen in der Wirtschaft teilhaben.

Um die Weichen für grundlegende Reformen für eine ökologisch orientierte soziale Marktwirtschaft zu stellen, werden wir Sozialdemokraten

- die Entfaltung neuer Initiativen durch Gewerbefreiheit und die Zulassung privater Unternehmensgründungen und -beteiligungen ermöglichen;

- vor allem kleine und mittlere Unternehmen fördern, die am schnellsten zur Überwindung von Versorgungsengpässen und Mängeln beitragen.

Wir wollen durch ein striktes Wettbewerbsrecht für funktionierenden Wettbewerb sorgen und damit dem Entstehen monopolwirtschaftlicher Macht entgegenwirken. Möglichst viele Kombinate sollen entflochten und Zulieferbetriebe ausgegliedert werden.

Wir wollen das Eigentum als die Basis aller wirtschaftlichen Entscheidungsbefugnisse garantieren, allen Bürgern Eigentum am Produktivvermögen ermöglichen und Gebietsfremden auch Mehrheitsbeteiligungen sowie Unternehmensgründungen ermöglichen. Volkseigene Betriebe und Kombinate wollen wir in Rechtsformen überführen, die vielfältige Eigentumsformen, auch unter Einbeziehung der Belegschaft ermöglichen.

Wir wollen die Staatsbank auf die Funktion einer Notenbank beschränken, die im Zuge der Wiederherstellung der Länder in Landeszentralbanken umgewandelt wird, und selbständige Geschäftsbanken aufbauen, wo die Ersparnisse der Bürger angelegt und Unternehmen finanziert werden können. Das Devisenmonopol der Staatsbank und das staatliche Außenhandelsmonopol müssen aufgehoben werden.

Wir wollen die Preise dort freigeben, wo Wettbewerbsbedingungen vorhanden sind. Subventionen sollen so abgebaut werden, dass gleichzeitig Löhne, Renten, Stipendien, Kindergeld und andere Sozialeinkommen steigen. Mit der schrittweisen Anhebung der Mieten soll zugleich ein Wohngeld eingeführt werden.

Wir wollen durch ein gerechtes Steuersystem die Unternehmen und die Bürger nach ihrer Leistungsfähigkeit an den Gemeinschaftslasten beteiligen Das Steuersystem soll die Investitionstätigkeit fördern und zur Leistung anreizen. Länder und Gemeinden werden an dem Steueraufkommen nach festen Regeln beteiligt. Wir werden die Mehrwertsteuer einfuhren.

Wir wollen die Infrastruktur durch öffentliche Mittel erneuern und ausbauen, d.h. das Telefonnetz modernisieren, die Verkehrswege, Bahn und Straßen nach den Bedürfnissen einer modernen Industriegesellschaft ausbauen, die Energie-, Wasserversorgung und Abfallentsorgung ökologisch sichern, um die Voraussetzungen für den wirtschaftlichen Aufbruch zu schaffen.

Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz wollen wir gesetzlich schützen. Kündigungsregelungen sollen vor Willkür von Arbeitgebern bewahren.

Wir brauchen starke, unabhängige und freie Einzelgewerkschaften, die sich unter einem gemeinsamen Dachverband zusammenschließen. Gemeinsam mit den Gewerkschaften verfechten wir die Tarifautonomie, das Streikrecht und die betriebliche Mitbestimmung.

Ein Sozialsystem soll solidarischen Schutz im Alter und bei Krankheit schaffen.

Wir treten für das Recht auf Arbeit ein. Die völlige Sicherheit des einzelnen Arbeitsplatzes kann jedoch niemand garantieren. Deshalb werden wir eine Arbeitslosenversicherung aufbauen und die Wiedereingliederung in das Berufsleben durch Umschulungs- und Qualifizierungsmaßnahmen unterstützen.

Wir wollen de Wirtschafts- und Währungsunion mit der Bundesrepublik an die Sozialunion knüpfen.

Die Modernisierung unserer Wirtschaft und die Umstellung auf eine demokratische, soziale und ökologische Marktwirtschaft wird Kraft und Anstrengung kosten. Aber sie wird sich lohnen.

3. Landwirtschaft: ertragreich und umweltfreundlich

Agrarpolitik umfasst mehr als die "reine" Landwirtschaft, sie ist Politik im ländlichen Raum schlechthin. Wir streben eine rationelle Nutzung der verfügbaren Ressourcen durch eine ökologisch orientierte soziale Marktwirtschaft auch in der Landwirtschaft an.

In der Landwirtschaft sollen Betriebe unterschiedlicher Eigentumsformen existieren können. Wir wenden uns gegen eine Restaurierung des einstigen Großgrundbesitzes in der DDR - die Bodenreform ist unwiderruflich.

Freiwillige Genossenschaften bieten eine günstige Grundlage für ertragreiche und ökologische Landwirtschaft. Genossenschaftsbauern und ihre Erben sollen für die Gründung von Privatbetrieben Grund und Boden erhalten können.

Wir fördern, dass agrarindustrielle Komplexe und andere zentralisierte Landwirtschaftsunternehmen in umweltgerecht wirtschaftende und ertragreiche Betriebe genossenschaftlichen oder privaten Eigentums umgewandelt werden.

Die ökonomisch und ökologisch schädliche Trennung von Pflanzenanbau und Tierzucht soll aufgehoben werden.

Überhöhte Düngung und chemische Schädlingsbekämpfung haben Böden und Trinkwasser belastet. Wir werden eine ökologisch verträgliche Bodennutzung und Tierhaltung und die Erzeugung vollwertiger und schadstoffarmer Güter fördern.

Wir werden bei Preisen, Steuern, Abgaben und Förderung die Integration der Landwirtschaft in den EG-Markt vorbereiten und dazu ein Stufenprogramm ausarbeiten.

Wir sehen, dass künftig weniger Bäuerinnen und Bauern direkt in der Landwirtschaft arbeiten werden. Sozialdemokratische Agrarpolitik hat dafür zu sorgen, dass Arbeitsplätze auf dein Lande geschaffen werden. Dieses ist möglich durch die Förderung von Betriebsgründungen in den Bereichen Lagerung, Verarbeitung und Vermarktung, durch Förderungsprogramme für selbständige Handels- und Handwerksbetriebe, durch die Einbeziehung eines umweltschonenden Fremdenverkehrs als Einkommensquelle und durch die betonte Einbeziehung des ländlichen Raumes in den Ausbau des Kommunikations- und umweltschonenden Verkehrssystems. Auf diese Weise lassen sich strukturelle Veränderungen in der Landwirtschaft durch die Schaffung neuer Arbeitsplätze sozial abfangen.

Wir wollen, dass der künftige Wettbewerbsdruck nicht zum 16-Stunden-Tag für die Landbevölkerung wird.

Das Dorf darf als unmittelbarer Lebensraum nicht weiter zerstört werden.

4. Wohnungs- und Städtebau

Es ist Aufgabe des Staates, Rahmenbedingungen für individuelle und genossenschaftliche Wohnungsbauinitiativen zu schaffen und besonders denen bei der Wohnungsversorgung zu helfen, die nicht aus eigener Kraft eine Wohnung bauen, kaufen oder mieten können.

Wohnen ist mehr als Wohnung. Behutsame Stadt- und Landschaftserneuerung gehören dazu wie auch der Erhalt kulturhistorisch wertvoller Bausubstanz und traditionsreicher Stadtstrukturen.

Sozialdemokratische Wohnungs- und Städtebaupolitik orientiert sich an den folgenden Grundsätzen:

- Genossenschaftliches Wohnen. Wohnungsgenossenschaften und andere Wohnungsgesellschaften sollen sich frei organisieren. Ihnen kommt bei der Umwandlung von kommunalem Wohnungsbesitz in Privatbesitz eine Schlüsselrolle zu. Sie sind in besonderer Verantwortung, sich in bürgernaher Weise bei Instandhaltung, Modernisierung und Neubau von Wohnungen einzusetzen.

- Förderung der Eigeninitiative. Wir fördern auch die Bildung und Modernisierung von privatem Wohneigentum. Bausparmodelle sollen bei der Finanzierung helfen.

- Verhinderung der Spekulation. Wir treten für ein gemeinnütziges Bodenrecht ein. Grund und Boden müssen der Spekulation entzogen sein. Für Gebietsfremde ist die Nutzung von Grund und Boden durch Erbpacht zu regeln. Umfangreicher genossenschaftlicher Besitz von Wohnungen soll vor Spekulation schützen.

- Menschen- und umweltgerechtes Verkehrswesen. Das Straßennetz muss saniert werden. In den Städten sind mehr verkehrsberuhigte Bereiche bzw. Fußgängerzonen nötig. Der öffentliche Nahverkehr hat gegenüber dem motorisierten Individualverkehr Vorrang und muss daher attraktiv gemacht werden.

- Erhöhung der Lebensqualität in Städten und Dörfern. Die Zerrissenheit der Lebensbereiche muss verringert werden. Industrie- und Gewerbebau sind Teil integrierter Stadtentwicklung. Sie müssen sich in das Stadtbild einpassen und die Humanisierung der Arbeitswelt fördern.

Wir wollen erhalten und nicht abreißen. Wir unterstützen die Initiativen vieler Bürgergruppen, erhaltenswerte Bausubstanz zu bewahren.

Bauen und Ökologie gehören zusammen. Kosten- und flächensparendes Bauen und Umweltverträglichkeitsprüfung sind unverzichtbar. Wir wollen mehr Grün in unseren Städten.

- Modernisierung der Bauwirtschaft. Privates Handwerk, Existenzgründungen und erhaltenswerte Handwerks- und Industriestrukturen müssen gefördert und ausreichend mit modernen Baumaschinen, Werkzeugen und Baumaterialien ausgestattet werden. Dringlich ist der Aufbau von Baumärkten, die als Groß- und Einzelhandel ein breitgefächertes und qualifiziertes Angebot bereithalten.

- örtliche Mitbestimmung. Jede Gemeinde hat Anspruch auf ihr eigenes Gesicht und auf Selbstbestimmung im Rahmen allgemeingültiger gesetzlicher Bestimmungen. Die örtlichen, demokratisch legitimierten Gremien tragen die Verantwortung für die Generalbebauungspläne. Bürgerbeteiligung ist Teil der Demokratie. Wir wollen sie ausbauen. Die Gemeinden sind dazu verpflichtet, früh, umfassend und öffentlich über ihre Planungen und Vorhaben zu informieren und berücksichtigen die Bürgermeinung bei ihrer Entscheidungsbildung.

5. Für eine saubere und gesunde Umwelt

Die Verschmutzung von Luft und Gewässern, die Vergiftung unserer Böden, die Ausrottung zahlreicher Pflanzen- und Tierarten und das Waldsterben verlangen einen grundlegenden Kurswechsel, damit unsere natürlichen Lebensgrundlagen nicht unwiederbringlich zerstört werden.

Wirtschaftliche Entwicklung steht für uns nicht im Gegensatz zu gesunder Umwelt. Gesamtwirtschaftlich ist nichts vernünftig, was ökologisch unvernünftig ist.

Wir Sozialdemokraten werden für die Unternehmen ökologisch richtiges Handeln vorteilhaft, ökologisch schädliches Handeln teuer machen. Grundsätzlich gilt für uns das Verursacherprinzip:

Wer die Umwelt belastet, muss für die Schäden aufkommen Wir setzen uns ein für eine umfassende Information der Öffentlichkeit und für strenge Umweltvorschriften, bei denen wir uns an den Regeln der Europäischen Gemeinschaft und der Bundesrepublik orientieren, die wir Schritt für Schritt einführen wollen. Vor allem aber müssen wir die gewaltigen Umweltlasten der Vergangenheit bewältigen. Dazu benötigen wir Technik und Kapital von außen.

Schwerpunkte unserer Umweltpolitik sind:

Müll und Sondermüll müssen dort entsorgt werden, wo sie anfallen. Für den Großraum Berlin muss eine partnerschaftliche Lösung gefunden werden. Die Sanierung der gefährlichen alten Deponien muss sofort in Angriff genommen werden. Wir sagen: Abfall vermeiden ist besser als Abfall beseitigen.

Die Braunkohlekraftwerke sind unser größtes Umweltproblem Wir wollen deshalb die Förderung von Braunkohle innerhalb von 10 Jahren halbieren, die Kraftwerke modernisieren, dezentrale, energiesparende Energieversorgungssysteme aufbauen, Energie importieren und mit allen Anstrengungen Energie einsparen.

Wir befürworten einen Ausstieg aus der Kernenergiewirtschaft, wo Entsorgung und die Sicherheit der Kraftwerke nicht gewährleistet werden können.

Unsere Gewässer sind durch Abwässer aus der Industrie, der Landwirtschaft und Haushalten und Kommunen Z.T. dramatisch verschmutzt. Wir werden den Schutz der Wasserressourcen und des Trinkwassers durch eine Sanierung der wichtigsten Schmutzeinleiter beginnen.

Wir werden darauf achten, dass bei staatlichen Planungen für Verkehrswege, Gewerbeflächen und Wohnbauten die Landschaft geschützt wird, um nicht die Fehler westlicher Staaten zu wiederholen.

Wir werden bei der Modernisierung unserer Verkehrswege neben der Sanierung der Straßen vor allem auch die Attraktivität der Reichsbahn und des öffentlichen Personennahverkehrs verbessern.

Unsere Autos müssen umweltfreundlicher werden.

Umweltbelastung ist grenzüberschreitend. Wir können die gewaltigen Lasten nicht allein tragen. Wir setzen in der Umweltpolitik auf eine umfassende deutsche Partnerschaft.

6. Soziale Sicherheit durch solidarische Sozialpolitik verwirklichen

Sozialer Friede und soziale Sicherheit sind die Grundlage wirtschaftlicher Erfolge. Ein dicht geknüpftes soziales Netz und hohe soziale Leistungen setzen andererseits ein effizientes Wirtschaften voraus.

Wer die Wirtschafts- und Währungsunion will, muss auch die Sozialunion mit der Bundesrepublik wollen Denn das Zusammenwachsen von Wirtschaft und Wahrung muss sozialpolitisch abgesichert und begleitet werden. Wir werden daher sofort Verhandlungen über die Bildung einer Sozialunion mit der Bundesrepublik aufnehmen.

Prinzip unserer Sozialpolitik ist die Solidarität. Das bedeutet Hilfe für sozial Schwächere Sie soll stets auch Hilfe zur Selbsthilfe sein.

Wir werden mit dem sofortigen Aufbau einer Arbeitslosenversicherung beginnen, um zu verhindern, dass der Verlust des Arbeitsplatzes zu einem existentiellen Risiko wird und zu Armut führt. Damit unser Rentensystem die notwendige Absicherung im Alter oder bei Berufsunfähigkeit bietet, werden wir es reformieren und die Renten an das im Berufsleben erzielte Gehalt koppeln. Mit der Bundesrepublik werden wir Verhandlungen über einen Ausgleich der Belastungen bei den Renten führen. Wir werden das Sozialhilferecht reformieren.

Jeder hat das Recht auf eine angemessene Wohnung. Bei den Mieten müssen zur Finanzierung von Sanierung und Renovierung die Kosten stärker berücksichtigt werden. Wir werden hier die bisherigen Subventionen durch personenbezogene Wohnbeihilfen ablösen. Einen völlig freien Wohnungsmarkt jedoch kann es nicht geben.

Bestehende Mängel in der Wohnraumbewirtschaftung, wie freistehende Wohnungen oder bürokratische Bearbeitung von Antragen, müssen sofort abgestellt werden.

Die Gesundheit ist ein menschlicher Wert, auf dessen Schutz, Erhaltung und Wiederherstellung jeder nicht nur Anspruch hat, sondern wofür er auch Mitverantwortung trägt.

Öffentliche Aufklärung, Information und Bildungsarbeit sollen den einzelnen zu gesunder Lebensweise befähigen und motivieren und zugleich Staat und Wirtschaft zwingen, gesundheitsschädigende Umwelteinflüsse, Arbeitsbedingungen und Konsumgewohnheiten abzuschaffen bzw. ihnen entgegenzuwirken.

Es ist sozialdemokratischer Grundsatz, dass Kranke, Leidende und Schwache Anspruch auf solidarische Hilfe haben Wir wollen, dass die gesetzliche Pflichtversicherung für alle Bürger Grundlage eines reformierten Versicherungssystems bleibt.

Krankenversicherungen sollen die Versorgungs- und Betreuungsleistungen finanzieren. Die öffentliche Hand, Kommunen und Länder sind für notwendige Investitionen und die Verbesserung des Leistungsangebotes zuständig. Der Nachholbedarf bei der materiell-technischen Ausstattung und der personellen Besetzung der medizinischen-Einrichtungen muss aus dem Staatshaushalt beglichen werden.

Wir brauchen ein bürgernahes, leistungsfähiges und wirtschaftliches, d.h. in den Eigentumsformen pluralistisches Gesundheitswesen. Öffentlichen Gesundheitsdiensten soll der Vorrang bleiben! Bürokratische Apparate müssen auf ein Mindestmaß reduziert werden. Wir treten ein für ein Netz häuslicher Pflegeangebote, ambulanter oder halb stationärer Betreuung, um die stationäre Behandlung auf das medizinisch notwendige Maß zu beschränken.

Die soziale Sicherung der Kinder, Jugendlichen, Familien und Alten ist ein Grundanliegen unserer Politik.

Eines besonderen staatlichen Schutzes bedürfen die Mütter, besonders die alleinerziehenden. Wir stehen für bezahlten Schwangerschaftsurlaub, Sicherheit des Arbeitsplatzes, Erziehungsgeld und Anrechnung der Erziehungszeiten auf die Renten (auch für erziehende Väter) ein.

Wir sind für eine familienfreundliche Arbeitswelt. Die tägliche Arbeitszeit soll Männern und Frauen Zeit für die Beschäftigung mit ihren Kindern und für deren Erziehung lassen. Wir sind gegen die Einbeziehung des Wochenendes, vor allem des Sonntags in die Arbeitszeit.

Wir wollen ein breites vielfältiges Angebot von familienergänzenden Einrichtungen - Kindergärten, Horte, Kinderläden erhalten bzw. private Initiativen auf diesem Gebiet unterstützen.

Schulspeisung soll weiter in Schulen angeboten werden.

Wir wollen eine kinderfreundliche Umwelt in unseren Städten, vor allem im Wohnungsbau und bei der Verkehrsgestaltung.

Kinder brauchen Schutz vor psychischer und physischer Gewalt. Für Kinder ohne familiäre Bindung sollen Kinderdörfer geschaffen werden.

Jugendlichen muss ein breites Angebot an Freizeit- und Kultureinrichtungen zugänglich sein.

Ihre selbständige Interessenvertretung soll durch demokratische Jugendverbände, parlamentarische Gremien und ein Staatssekretariat wahrgenommen werden.

Wir wollen eine öffentliche bzw. durch freie Träger gestaltete Bildungs- und Aufklärungsarbeit gegen Alkohol- und Drogenmissbrauch unterstützen.

Den älteren Menschen, die aus dem Berufsleben ausgeschieden sind, ist die Gesellschaft zu Dank verpflichtet, da sie von ihrer Arbeit und Lebenserfahrung profitiert.

Wir wollen ihnen nicht nur eine angemessene Rente garantieren - sie sollen auch über Möglichkeiten zur Pflege sozialer Kontakte, zur Weiterbildung und zur politischen Mitverantwortung verfügen können.

Wir wollen den Bau altersgerechter Wohnungen durch kommunale Träger fördern. Klubs, Vereine und Verbände sollen Angebote in den Wohngebieten schaffen und für eine öffentliche Vertretung der Probleme älterer Menschen sorgen können.

7. Bildung und Wissenschaft - Investitionen für die Zukunft

Wer seine Fähigkeiten entfalten kann, gewinnt die Freiheit zur Selbstbestimmung. Bildung und Weiterbildung sind Voraussetzungen des beruflichen Erfolgs. Wissen und Können entscheiden über die Leistungskraft einer Wirtschaft.

Wir Sozialdemokraten wollen eine Bildungsreform auf allen Ebenen. Wir wollen eine Schule frei von formalistischer Vereinheitlichung und ideologischer Überfrachtung. Die Schule soll die individuelle und soziale Dimension des Lernens vereinigen.

Eine neue Schulverfassung soll die Mitwirkungsrechte für Schüler, Eltern und Lehrer garantieren. Lehrerausbildung und Weiterbildung sind ein Hauptelement sozialdemokratischer Bildungsreform.

Chancengleichheit im Bildungswesen ist ein Grundpfeiler sozialer Gerechtigkeit.

Wir wollen dafür sorgen, dass unabhängig von gesellschaftlicher und sozialer Herkunft, kultureller, politischer und religiöser Identität jeder sein Recht auf Bildung wahrnehmen kann. Schüler, Lehrlinge und Studenten haben Anspruch auf finanzielle Unterstützung, damit sie unabhängig vom Einkommen der Eltern ihren Bildungsweg gehen können.

Nicht nur Begabte sollen Förderung erfahren, sondern auch Lernschwache und Behinderte sollen nach Möglichkeit in die Normalschule integriert werden. Sonderpädagogische Angebote sind zubauen.

Sozialdemokratische Bildungspolitik will differenziert fördern statt auslesen!

Wir wollen die allgemeinbildenden Schulen zur 10- bis 12klassigen Gesamtschule ausbauen, die der Vielfalt der Interessen und Begabungen entspricht. Öffentliche Schulen haben weiter Vorrang vor privaten.

Für die Berufsausbildung der Mädchen und Jungen tragen Staat und Wirtschaft gleichermaßen Verantwortung. Wir wollen die berufliche Weiterbildung durch wirtschaftliche Anreize und öffentliche Angebote fördern. Die Volkshochschulen sollen als allgemeine Qualifikationsmöglichkeiten erweitert werden.

Wer studieren will und zum Studium befähigt ist, soll Fachrichtung und Studienort frei wählen können, soweit es die Kapazitäten der Universitäten und Hochschulen erlauben.

Wir Sozialdemokraten wollen die Universitäten und Hochschulen wieder zu Stätten der Einheit von Forschung und Lehre machen. Sie brauchen eine demokratische Selbstverantwortung.

Die wissenschaftlichen Einrichtungen müssen durch öffentliche Mittel hinreichend ausgestattet sein, damit Wissenschaft und Forschung frei und unabhängig sind.

Unsere Studien- und Forschungsstätten, die Studiengänge und Abschlüsse müssen im Zeitalter der Freizügigkeit in Europa attraktiver werden.

Frauen sollen sowohl im Studium als auch in Forschung und Lehre dieselben Chancen haben wie die Männer.

8. Unseren Beitrag zur deutschen Kulturnation sichern - für eine erfüllte und aktive Freizeitgestaltung

In keinem anderen Bereich der Gesellschaft bringt der deutsche Einigungsprozess und der Übergang zur Marktwirtschaft zugleich so viele Chancen und Gefahren mit sich, wie in der Kultur. Kultur ist das Feld, in dem sich viele Bürger dieses Landes Freiraume schufen ihre Identität behaupteten, sich der Lüge widersetzten und Alternativen vorbereiteten.

Wir sind gegen einen kulturellen Kahlschlag und für die Verteidigung der bei uns gewachsenen Kultur und Kunst der kulturellen Traditionen, die das Heimatgefühl der Menschen mitbestimmen. Wir wollen sie als Beitrag zur deutschen Kulturnation in ein föderalistisches Deutschland einzubringen.

Andererseits hat aber die von der SED erzwungene Staatskultur das kulturelle Leben des Volkes auf vielen Gebieten deformiert, verarmt und den Menschen entfremdet.

Demgegenüber wollen wir Sozialdemokraten eine wirklich demokratische Kultur, getragen von Freiheit und parteipolitischer Unabhängigkeit der Medien und der Künste, eine Kultur, in der sich der Dialog über individuelle und gemeinsame Werte entfalten kann.

Wir treten ein für eine Kulturpolitik, die "populäre" und "hohe" Kultur nicht als Gegensatz betrachtet und Angebote sinnvoller Freizeitbetätigung erschließt.

Wir setzen uns für die Kulturförderung durch die Gemeinden, Städte und Länder ein, statt durch eine anonyme Zentrale. Sie sollen durch Gesetz verpflichtet sein, die kulturelle Infrastruktur (von Bibliotheken bis zu Theatern, von Kulturhäusern bis zu Museen) zu erhalten.

Wir setzen uns ein für eine Kulturstiftung aller deutschen Länder, die überregionale Aufgaben fördern und Kultureinrichtungen von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung erhalten soll.

Die im Kulturbereich Tätigen sollen sozial, rechtlich und materiell abgesichert sein, damit sie sich unter Marktbedingungen behaupten und entfalten können (Subventionsumverteilung, Urheberrechtsschutz, Steuererleichterung für private Förderer und Sammler).

Kulturpolitische Entscheidungen sollen sich demokratisch vollziehen durch Einbeziehung von Beiraten und Künstlerorganisationen sowie durch öffentliche Ausschreibungen.

Wir Sozialdemokraten sehen im Sport vor allem ein Angebot für aktive Freizeitgestaltung, dessen Gemeinnützigkeit wir anerkennen und gesetzlich sichern werden. Unser Hauptaugenmerk gilt dem Breitensport.

Kinder- und Jugendsport, Altensport sowie Behinderten- und Versehrtensport sollen durch die Gemeinden, Städte und Länder finanziell gefördert werden.

Sportgemeinschaften, -vereine und -verbände sind ohne politische Bevormundung als selbständige Einrichtungen und Interessenvertretungen des Sports zu unterstützen. Leistungssport soll in dem Maße gefördert werden, wie es der Forderung von Talenten auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen entspricht.

9. Außenpolitik und europäische Einheit

Jede vernünftige und verantwortungsvolle Außenpolitik muss heute darauf gerichtet sein, das friedliche Zusammenleben der Völker und Staaten zu fördern, Interessengegensätze und Konflikte gewaltfrei auszutragen und zu lösen, zur Herstellung der Chancengleichheit aller Völker und Staaten tatkräftig beizutragen und Solidarität mit unterdrückten Völkern und Gruppierungen zu üben.

Wir Sozialdemokraten verstehen uns in einem weltweiten Bündnis für eine Politik, die den Prinzipien von Demokratie, sozialer Gerechtigkeit und Solidarität auch in der Gestaltung der internationalen Beziehungen Geltung verschaffen will. Wir treten für eine Stärkung der UNO ein.

Unser Ziel der deutschen Einheit wollen wir in den europäischen Einigungsprozess einbinden. Aus der deutschen Geschichte ergibt sich für uns eine besondere Verantwortung in den Beziehungen zu Polen, Israel und zur Sowjetunion.

Im europäischen Einigungsprozess halten wir die Integration aller europäischen Staaten zu einem gemeinsamen Wirtschaftsraum für eine dringend erforderliche Aufgabe. Deshalb streben wir die zugige Einbindung unserer Wirtschaft in den europäischen Binnenmarkt an, der auch die anderen mittel- und osteuropäischen Länder folgen sollten. Dieser wirtschaftliche Integrationsprozess Europas darf nicht auf Kosten der Länder der Dritten Welt gehen. Das wirtschaftlich und politisch geeinte Europa kann wirksamer helfen. Es soll sich für den Aufbau einer gerechten Weltwirtschaftsordnung einsetzen.

Wir sehen den Weg zur deutschen Einheit als Chance, den Aufbau eines europäischen Sicherheitssystems auf der Grundlage einer Sicherheitspartnerschaft zu beschleunigen. Der KSZE-Prozess soll Institutionen gemeinsamer Sicherheit schaffen, die den berechtigten Sicherheitsinteressen aller europäischen Staaten Genüge tun. Er soll einer radikalen Abrüstung in Europa und zur Auflösung der Blöcke führen. In diesem Prozess wäre ein deutscher Sonderweg zur Neutralität nur ein Hindernis.

III. Und gegen wen führt die SPD den Wahlkampf?

Vor uns steht die Aufgabe einer grundlegenden Erneuerung des Landes im Prozess der Einigung beider deutscher Staaten. Diese ungeheure Aufgabe erfordert die Zusammenarbeit aller, die die Prinzipien des demokratischen Rechtsstaates in sozialer und ökologischer Verantwortung anerkennen. Wir brauchen den Konsens aller Demokraten, unabhängig von der Frage, wer nach der Wahl die Regierungsverantwortung trägt und wer die notwendige Aufgabe der parlamentarischen Opposition wahrnimmt.

Wir führen diesmal den Wahlkampf vor allem gegen die inneren und äußeren Verwüstungen, die die SED uns hinterlassen hat, gegen die passive Gleichgültigkeit, gegen Panik und Angstmache, gegen die bloß nörgelnde Distanz, gegen die Hoffnungslosigkeit.

Wir wollen einen Wahlkampf führen, der bei aller sachlichen Auseinandersetzung sorgsam mit dem demokratischen Konsens umgeht. Wir müssen nach der Wahl zusammenarbeiten können, und sei es in verteilten Rollen.

Die PDS ist allerdings für uns unter keinen Umständen koalitionsfähig. Zwar spricht auch sie von ökologisch orientierter Marktwirtschaft, von den Menschenrechten und der Demokratie. Aber wir bezweifeln, dass sie dasselbe meint, wenn sie dasselbe sagt. Wir sehen, dass sie sich noch nicht hinreichend erneuert hat. Wir glauben ihr nicht, dass sie während der Fahrt die Reifen wechseln kann. Noch immer betreibt sie die Politik mit der Angst und die Politik der leeren Versprechungen. Wir behaften die PDS als Partei bei ihrer SED-Vergangenheit, nicht jedoch jedes einzelne ihrer Mitglieder.

Wenn wir nach den Wahlen durch den Willen der Bürgerinnen und Bürger zur stärksten Partei im neuen Parlament werden sollten, werden wir eine Regierung bilden, die einen breiten demokratischen Konsens sucht. Hierbei können wir uns die Beteiligung der unseren demokratischen Grundpositionen nahestehender, vertrauenswürdiger Personen am Kabinett wie eine Koalition mit solchen Parteien vorstellen.

Das Wahlbündnis "Allianz für Deutschland" (CDU, DA, DSU) scheint sich ganz auf Anschluss statt auf Zusammenwachsen eingestellt zu haben. Aber Anschluss ist gefährlich, weil er den europäischen und den sozialen Frieden aufs Spiel setzt.

Wir Sozialdemokraten treten für die soziale Demokratie ein. Das hat nichts zu tun mit dem Staatssozialismus der SED und ist auch nicht dasselbe wie der demokratische Sozialismus der PDS: Wer uns unter der Überschrift "Sozialismus" mit SED und PDS in denselben Kasten sperrt, betreibt Rufmord und zerbricht den Konsens der Demokraten.

Wir Sozialdemokraten können gegenwärtig nur eine sichere Koalitionsaussage machen: niemals mit der PDS. Wir erstreben nach der Wahl eine starke Regierung auf breiter parlamentarischer Grundlage, die das große Reformwerk tragen kann. Wir können in diese Regierung ein klares Programm einbringen. Wir können uns der Solidarität unserer Schwesterpartei in der Bundesrepublik Deutschland sicher sein. Mit ihrem Verständnis können wir auch dann rechnen, wenn wir in den bevorstehenden Verhandlungen zuerst und vor allem die Interessen der Bürger der DDR vertreten.

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