"Wir brauchen die Kommunikation jetzt"

DDR-Computerfreaks wollen ein eigenes Datennetz auf CB-Funk-Basis aufbauen / Telefonsystem ist überaltert / Erlaubt ist, was nicht verboten ist

INTERVIEW

taz: Welche Geräte benutzt ihr in der DDR? Und was kosten die?

Seeboldt: Wir haben aus der DDR-Produktion vier Geräte im Angebot, die leider nicht auf große Resonanz bei den Usern gestoßen sind, da sie ein bisschen der Zeit hinterherhinken. Ansonsten sind alle gängigen 8-Bit-Geräte verbreitet, die auch international eine Rolle spielen. Die internationale PC-Technik - DDR-Computer haben durch Werbekampagnen einen guten Ruf - ist eigentlich nicht repräsentativ dafür, was im persönlichen Anwendungsbereich eine Rolle spielt. Der Preis für einen XT lag zuletzt bei 70 000 bis 80 000 DDR-Mark - in der besten Zeit bei 120 000 Mark.

Liehr: Wenn solche Geräte einen so wahnsinnig hohen Preis haben, zehn-, zwanzigmal höher als die vergleichbaren Geräte in der Bundesrepublik, ist auch dem Investitionsrahmen der Industrie Grenzen gesetzt. Man besaß auch gar nicht die Kapazitäten, um der Nachfrage nachzukommen. Wahrscheinlich hat man versucht, mit Hilfe des hohen Preises die Nachfrage bewusst zu drosseln.

Stichwort Computerclubs. Wie viele gibt es - und wie setzen die sich zusammen?

Seeboldt: Es dürften vielleicht eine dreistellige Zahl an Computerclubs in der DDR existieren. Wir haben im "Haus der jungen Talente" ein Altersspektrum von 12 bis 65. Die einzige Schwierigkeit ist, dass Frauen und Mädchen ausgesprochen in der Minderheit sind; aber wie ich hier auf dem Kongress gesehen habe, scheint das ein internationales Problem zu sein.

Gibt es in der DDR Hacker?

Seeboldt: Es war de facto, bis vor drei Monaten, noch verboten, Computerdaten über Telefon auszutauschen. Verbot in dem Sinne, dass, wenn man einen Antrag auf den Betrieb eines Modems oder eines Akustikkopplers gestellt hat, wurde der abgelehnt. Und unsere Telefone hatten sehr große Ohren. Ich kenne Beispiele, wo zehn Minuten nach einem Koppelversuch Besuch vor der Tür stand, und das endete in der Regel mit der Konfiszierung der Anlage.

Auf dem Hacker-Kongress wurde die Frage diskutiert, ob die Umweltschutzbewegung und die Oppositionsgruppen in der DDR ein eigenes Datennetz auf CB-Funkbasis aufbauen sollen. Wie geht es jetzt weiter?

Liehr: Diese Sache scheint für uns jetzt interessant zu sein, weil unser Telefonsystem völlig überaltert ist. Man muss sich überlegen: Soll man jahrelang warten, bis das modernisiert ist - oder jetzt schnell handeln, auf ein völlig neues Pferd setzen?

Zurzeit ist alles erlaubt, was nicht verboten ist. Verboten ist inzwischen relativ wenig, wir sind dabei, die Grenzen erst einmal hinauszuschieben.

Seeboldt: Man muss Tatsachen schaffen, also Datenkommunikation anzetteln, ohne darauf zu warten, bis entschieden ist, ob es erlaubt ist oder nicht.

Liehr: Wir brauchen die Kommunikation jetzt, um Daten auszutauschen und der Bevölkerung gewisse Sachen zugänglich zu machen, damit wir überhaupt erst mal vernünftig arbeiten können. Wir müssen jetzt handeln - das ist vielleicht eine einmalige historische Chance.

Ben Ravt

aus: taz, 03.01.1990