Ausländer bei uns - gebraucht, geduldet, gehasst?

Etwas mehr Unhöflichkeit jetzt und überhaupt

Vietnamesen in Luckenwalde - Erfahrungen im Alltag

Er lächelt. "Bitte, fragen Sie mich!" N(...) N(...) C(...), der 28-jährige Hanoier, lädt uns in sein Zimmer. Es ist spartanisch eingerichtet, auffällig der große Farbfernseher, der Riesenkalender mit einer Blütenschönheit aus der Heimat.

N(...) ist Dolmetscher und Betreuer in einem, er spricht im Namen seiner 53 Landsleute, die im oberen Teil des Lehrlingswohnheimes leben. Seit zweieinhalb Jahren sind sie in Luckenwalde, arbeiten als Ungelernte im Kontaktbauelementebetrieb und harren auf die für die zweite Hälfte ihrer Aufenthaltsdauer festgesetzte Ausbildung zum Elektromonteur. Wir dachten immer, es liefe umgekehrt. "Ach, wissen Sie, das ist gar nicht so schlecht, da kennen die Leute die Materie wenigstens schon, ehe sie zu lernen beginnen." N(...) lächelt und schiebt sofort hinterdrein, dass hier alle mit allem zufrieden sind. "Wir haben keine Wünsche, wir sind hier, um zu arbeiten." Und dann: "Ein bisschen Sorge machen wir uns schon. Ob die Regierungsabkommen durchgehalten werden?"

Angst vor Öffentlichkeit

Auf die Bitte, mit ein paar Frauen reden zu können, die vor der Spätschicht noch in ihren Zimmern sind, springt N(...) bereitwillig auf, bleibt ziemlich lange weg - und kommt dann allein zurück. "Sie wollen nicht", bedauernd zuckt er die Schultern. Nein, das ginge nicht gegen uns. Man sei eben zurückhaltend. In der Botschaft könne man in die Zeitung gucken, herauslesen, was nicht erwünscht sei ... Die eine Seite. Die andere: Es könne den DDR-Bürgern in die falsche Kehle kommen, wenn sich Vietnamesen in der Öffentlichkeit zu Wort melden.

Wir klopften dennoch ein paar Türen weiter. Das Zimmer ist vollgestopft mit drei Betten, Schränken, Nähmaschine, Kühlschrank. Drei Frauen wohnen hier mehr schlecht als recht. Auf dem kleinen Kocher gleich neben dem Wachbecken dampft der Reis. Vor der Spätschicht im VEB Kontaktbauelemente wollen sie noch was Warmes essen, so wie es ihrer Gewohnheit entspricht. In der Gemeinschaftsküche sind vier Kochplatten seit Wochen kaputt, da kochen sie eben gleich im Zimmer.

Die junge Frau aus Hanoi fährt in wenigen Tagen nach Hause. Erster und letzter Heimaturlaub während ihrer fünf Jahre in der DDR. Nein, ihren Namen möchte sie lieber nicht sagen. Als sie hierher kam, ließ sie eine kleine Tochter, den Mann und die Verwandtschaft zurück. "Ich denke immer an zu Hause", sagt sie.

Schnellkurs für Deutsch

Sie bekräftigt, wie gut es ihr in der DDR gefällt, die Arbeit, wie gut sie mit den Kollegen auskommt. Nein, keine Probleme. Überhaupt nicht. Das freundliche Lächeln wirkt wie eine Maske, hinter die keiner sehen soll. Über die wirklichen Erfahrungen wird nicht gesprochen. Kein Nachfragen nutzt.

Als Montiererin verdient die 33-jährige etwa 750 Mark in zwei Schichten. Sie wurde nur angelernt, beherrscht ihre Handgriffe. Die Deutsch-Kenntnisse reichen gerade für ein paar Höflichkeiten mit den deutschen Kolleginnen. Es gab nur einen Schnellkurs, um ein paar Sprachkenntnisse zu bekommen. In ihrer Heimat hat die junge Frau einen ordentlichen Beruf gelernt und dann in einem Werk als Elektromotorenbauer gearbeitet.

Nun ist sie hier, um ihre Familie daheim zu unterstützen, ein bisschen besseres Leben zu sichern. Sechs Pakete mit jeweils 20 Kilogramm kann sie im Jahr nach Hause schicken. Dafür arbeitet sie. Vom Verdienst gehen 30 Mark für die Miete im Wohnheim ab. Viel Geld gibt sie für das Essen nicht aus. Die normalen Essgewohnheiten der Vietnamesen sind hier teuer. Gemüse, Glasnudeln, Obst.

Kino, Tanz, Gaststätte in der freien Zeit? "Nein da passen wir nicht hin." Aus der Höflichkeit einem anderen Volk gegenüber ist Isolation geworden. Da bleibt sie lieber mit ihren Freundinnen im Wohnheim. Fernsehen, Kartenspielen, Nähen. Mal besucht sie auch Bekannte in anderen Städten. Sie ist angewiesen auf das hier verdiente Geld. Deshalb will sie genau wie die anderen ihrer Landsleute durchhalten in Luckenwalde.

Disput um die Wandzeitung

Bedrückung kommt auf und wiederum sehr große Zurückhaltung, wenn nach Ausländerfeindlichkeit gefragt wird. "Ein bisschen mehr Unhöflichkeit, jetzt und überall", drückt es Dolmetscher N(...) vorsichtig aus. "Vielleicht, weil sie uns zu wenig kennen, vielleicht auch, weil einige von ihnen inzwischen Angst haben, nicht wissen, was aus ihnen und ihrem Land eigentlich werden soll." Mit demselben Verständnis reagierten N(...) und seine Kolleginnen, als im Bereich V ihres Betriebes über die Wandzeitung eine Diskussion um die Ausländer ausgelöst worden ist. Es gab plötzlich Stimmen, die die Vietnamesen lieber zu Hause sehen würden. Man sprach sich schließlich aus, einigte sich darauf, miteinander auskommen zu wollen.

aus: Tribüne, Nr. 58, 22.03.1990, 46. Jahrgang, Zeitung der Gewerkschaften

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