Zwischen allen Stühlen -
Initiative für eine linke Opposition

Am 20. 9. 1990 traf sich zum ersten Mal ein Kreis von Ehemaligen aus der Alternativen Liste Westberlins (AL), Bürgerbewegten aus der ehemaligen Hauptstadt der DDR sowie Unabhängigen aus beiden Teilen der Stadt im Haus der Demokratie in Berlin. Ihnen ging es um den Neubeginn einer Diskussion zwischen verschiedenen Spektren der politisch Aktiven. "Zwischen allen Stühlen" war hier durchaus wörtlich gemeint: allen gemeinsam war die Unzufriedenheit mit den vorhandenen Organisationsstrukturen: im Westteil der Stadt sind SPD und AL diskreditiert. In sozialer und ökologischer Hinsicht unterscheiden sie sich kaum von den Konservativen. Auf der anderen Seite befinden sich die PDS sowie die unterschiedlichen Bürgerbewegungen. Während die erste gesellschaftlich isoliert ist und den Neubeginn (noch) nicht glaubhaft und überzeugend darlegen kann, begnügen sich die letzteren damit, von der Herbstbewegung letzten Jahres zu zehren und ihre Ablehnung der vorhandenen Parteien, insbesondere der PDS, zu demonstrieren. Trotz der vielen Gemeinsamkeiten in Sachfragen - mensch vergleiche nur einmal die vorliegenden Aussagen der unterschiedlichen Organisationen zur Wahl - findet ein vehementes Ausgrenzen voneinander statt. Konkurrenzdenken bestimmt momentan die Debatten. Das Resultat hieraus lässt sich am ehesten mit dem Spruch "Getrennt marschieren - vereint geschlagen werden" charakterisieren. In dieser Situation, wo noch verstärkend der permanente Wahlkampf mit der Verunmöglichung von ausführlichen Diskussionen hinzukommt, fand sich nun der oben erwähnte Kreis zusammen, um - wie es in einem von ihm herausgegebenen Papier heißt - "eine breite, plurale Diskussion ohne Ausgrenzung jenseits von Partei- und Organisationsloyalitäten an(zu)stoßen, eine Diskussion, die die Aufarbeitung der Geschichte ebenso ernst nimmt wie das politische Eingreifen in die laufenden Prozesse".

Am 27.9.1990 fand eine erste öffentliche Veranstaltung im "Haus der jungen Talente" in Berlin statt, die das Anliegen dieser Gruppe vorstellte. Die Veranstaltung mit dem Titel "Verdrängen, Vertuschen, Enthüllen. Wie umgehen mit der Stasi-Vergangenheit?" war der Versuch, aktuell in die Diskussion einzugreifen, nachdem sich das PDS-Präsidiumsmitglied Rainer Börner öffentlich in einer Volkskammersitzung zu seiner Stasi-Vergangenheit bekannt hatte. Die Diskussion zwischen zwei Besetzern der Stasizentrale und Börner hat dabei gezeigt, wie schwierig der Dialog zwischen unterschiedlichen Gruppen ist. Das Misstrauen untereinander saß tief, gleichzeitig war das Bemühen um Verständnis der unterschiedlichen Haltungen sichtbar. Dass dieser Versuch der Verständigung vielleicht gegenwärtig nicht gern gesehen ist, mag an der Ignoranz der teilnehmenden Presse ablesbar sein: nirgendwo erschien ein Bericht zur Veranstaltung.

Neben verschiedenen weiteren öffentlichen Veranstaltungen, in denen es um die Blockaden alternativer, linker und bürgerbewegter Gruppen gehen soll, die eine gemeinsame Perspektive und Handlungsfähigkeit anstreben, geht es wöchentlich um die Klärung zeitgemäßer Fragen: warum soll Berlin Hauptstadt sein, wie halten wir es mit der Olympiade, wie verhalten wir uns zu betriebspolitischen Fragen etc.? In der Diskussion unterschiedlicher Politikansätze sowie dem Kennen lernen unterschiedlicher Erfahrungen in Ost und West liegt vorerst der Schwerpunkt dieses "Personenbündnisses". Die Selbstverständigung untereinander ist dabei bescheiden und unbescheiden zugleich. Bescheiden, weil die Teilnehmerinnen keine besondere Organisation anstreben, die Zugehörigkeit nicht durch formelle Mitgliedschaften entscheiden wollen; unbescheiden, weil sie die momentanen Organisationsgrenzen nicht anerkennen und quer zu den Parteiläden mit Menschen aus unterschiedlichen Zusammenhängen zusammenarbeiten wollen. Die "Einmischung in die Neuformierung einer linken Opposition - auch über den 2. Dezember hinaus" ist dabei das Ziel.

Kontaktadresse: ZASILO, c/o "Freundinnen der politischen Diskussion und Intervention e.V.", Eisenbahnstr. 4, W 1000 Berlin 36, Tel: (...).

aus: die andere, Nr. 40, 24.10.1990, Unabhängige Wochenzeitung für Politik, Kultur und Kunst, Herausgeber: Klaus Wolfram

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