Revolution ging an Frauen vorbei

Ina Merkel: ich denke, dass Quotierung ein notwendiges administratives Mittel ist, um zu einem radikalen Schnitt in der bisherigen Behandlung von Frauen in der Politik zu kommen. Es gibt ja auch schon historische Erfahrungen mit Quotierung: Der Förderung der Arbeiter- und Bauernkinder nach 1945 verdanken doch heute eine ganze Menge von Leuten ihre leitenden Positionen.

DIE ANDERE: Aber diese Quotierung hatte doch auch Ihre Schattenseiten?

I. Merkel: Ja, weil sie historisch überstrapaziert wurde. Sie Ist ein Mittel, das nur kurzfristig anwendbar ist.

DIE ANDERE: Warum gerade jetzt die Forderung nach Frauen-Quotierung in leitenden Funktionen?

I. Merkel: Der revolutionäre Umbruch ist an den Frauen vorbeigegangen. Zum Beispiel sank in den sowjetischen Parlamenten der Frauenanteil (ca. 1/3 der Abgeordneten) in den letzten Jahren um 10 %. Im Ausschuss der Gleichstellung der Geschlechter waren wir uns darum einig (ausgenommen die Vertreter von CDU und DA, die nicht anwesend waren), dass ein Passus ins Wahlgesetz müsste, der die Nominierung von Frauen auf den Kandidatenlisten entsprechend ihres Anteils in den Parteien und Organisationen verlangt. Außerdem empfahlen wir, Quotierungen in den Verbänden selbst einzuführen. Das Ziel ist die 50 %-Regelung. Bei 30 % Frauen in Leitungen werden sie gleich wieder in die Ressorts Kultur und Soziales verdammt. Dort haben sie dann eine Alibifunktion. Erst bei 50 % Frauen-Beteiligung besteht die Chance, die patriarchalischen Strukturen zu durchbrechen und Eigenes einzubringen.

(Ina Merkel ist Sprecherin des Unabhängigen Frauenverbandes)

aus: Die Andere, Nr. 3, 08.02.1990, Zeitung für basisdemokratische Initiativen im Auftrag des Landessprecherrates des Neuen Forum, herausgegeben von Klaus Wolfram