Nach Wochen der Mühen - ungeduldig auf neue Aufgaben, Rollen: die Schauspielerin Walfriede Schmitt

Eine Sache ist erst dann wirklich verloren, wenn man sie aufgibt . . .

Tagung der Gewerkschaft Kunst, Kultur, Medien am Montag in Berlin. Dort traten wir Walfriede Schmitt, Schauspielerin an der Volksbühne Berlin. Sie hatte im Dezember 89 ad hoc den ehrenamtlichen Vorsitz der Gewerkschaft übernommen, nun macht die neue Lage neue Überlegungen nötig.

Nur wenige Standen sind seit der Volkskammerwahl vergangen. Wir kennen das Ergebnis, denken über Ursachen nach. Mit welchen Empfindungen sind Sie, Walfriede Schmitt, in diese Beratung gegangen?

Ich bin unheimlich unglücklich über den Wahlausgang. Viele Leute haben sich für die CDU nur entschieden, weil sie meinen, es muss erst mal Kapital in dieses Land. Sie glauben, das Kapital würde unter anderen Bedingungen nicht kommen. Viele sind sich über die Konsequenzen, glaube ich, noch nicht im Klaren. Aber ich will keine Panik machen, das ist gar nicht meine Art.

Und Sie denken sicher zurück an den 4. November, an die Oktobertage, an den Aufbruch in diesem Land?

Ja. Aber die Menschen, die etwas gewagt haben, die eine Revolution begannen, wurden nun an den Rand gedrückt. Die Wähler haben anderen die Zukunft dieses Landes anvertraut. Wir dachten, glaubten daran, eine bessere, menschlichere, gerechtere Gesellschaft zu schaffen, den aufrechten Gang zu lernen, Souveränität zu gewinnen. Nun kehrt es sich, fürchte ich, um, und man kommt unter eine neue Art von Diktatur, die des Kapitals. Ich weiß nicht, ob die Gewerkschaftsmitglieder das Gewerkschaftsgesetz verteidigen können.

Wird nicht auch die Kunst dafür streiten, dass der aufrechte Gang weiter trainiert wird?

Ja. Natürlich. Ich bin sowieso nicht ein Mensch, der in der Lage ist, sich von sich selbst loszulösen. Woran ich glaube, was nötig ist, um eine gerechtere Gesellschaft zu schaffen, daran werde ich festhalten. Mit allem, was ich tue.

Sie saßen einige Wochen mit am Runden Tisch. Könnten Sie sich vorstellen, dass etwas von der Art Demokratie, die dort geübt, praktiziert wurde, weiterlebt?

Das wäre zumindest mein großer Wunsch. Nicht, dass wir zurückfallen in ein Parteiensystem, sondern etwas von der neuen Form von Demokratie erhalten.

Sie haben in schwieriger Zeit die Funktion der Vorsitzenden der Gewerkschaft Kunst übernommen - Im Dezember - diese Wochen durchgestanden und sicher auch erfahren, dass ein Riesenpacken Arbeit dranhängt. Wie geht es weiter?

Die Funktion des Vorsitzenden ist ehrenamtlich, nicht mehr zu bewältigen, deshalb eine andere Vorsitzende, eine neue Leitungsstruktur. Aber das Stückchen Erfahrung, das ich gesammelt habe, möchte ich schon einbringen. Dazu fühle ich mich einfach verpflichtet. Und ich meine auch, eine Sache ist erst dann wirklich verloren, wenn man sie aufgibt.

Wir fanden in den vergangenen Wochen kaum Zeit, mit Künstlern über Kunst zu sprechen. Welche Pläne gibt es?

Ich freue mich auf neue Rollen, aber ich kann noch nicht darüber reden. Die Absprachen sind noch nicht bestätigt. Aber ich muss wieder mehr Theater machen, ich bin ja wie ein trockener Schwamm. Doch ich habe an diesem Platz in der Gewerkschaft gestanden, und da habe ich mich eben auch eingebracht.

Und welche Vorstellungen haben Sie von künftiger Gewerkschaftsarbeit?

Die Gewerkschaft Kunst, Kultur, Medien muss gemeinsam mit allen Kunst- und Kulturschaffenden, Schutzverbänden, Berufsverbänden versuchen, Kulturförderungs-, Kulturfinanzierungspläne durchzusetzen. Ich meine, wir müssen an unsere eigene Geschichte anknüpfen. Es darf nicht willkürlich in kulturelle Strukturen eingegriffen werden. In Gesprächen mit der IG Medien der BRD meinten die Kollegen von dort immer: Es darf kein Kulturhaus, kein Theater geschlossen werden.

Die Arbeitslosigkeit unter Künstlern drüben ist sehr hoch. Freischaffende leben zum großen Prozentsatz mit einem Existenzminimum. Wenn von uns noch viele dazukommen, dann wird das sozial nicht mehr abzusichern sein. Deswegen halte ich ein gemeinsames Vorgehen in diesen Fragen für so wichtig. Es wird ein harter Kampf werden. Aber die Gewerkschaft muss unsere Rechte gemeinsam mit den Verbänden gegenüber der neuen Regierung vertreten. Und wir müssen so gut arbeiten, solche kulturellen Konzepte entwickeln, dass unsere Kunst gebraucht wird, dass die Leute gern ins Theater gehen.

Das heißt, man muss sich dazu bekennen, vor einer ganz neuen Situation zu stehen?

Absolut.

Das Gespräch führte URSULA MEVES

Neues Deutschland, Sozialistische Tageszeitung, Zeitung der Partei des Demokratischen Sozialismus, 45. Jahrgang, Ausgabe 68, 21.03.1990. Die Redaktion wurde 1956 und 1986 mit dem Karl-Marx-Orden und 1971 mit dem Vaterländischen Verdienstorden in Gold ausgezeichnet.

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