An die Präsidentin der Volkskammer der DDR, die Fraktionsvorsitzenden der VK der DDR, den Ministerpräsidenten der DDR, die Parteivorsitzenden/DDR, den Bundeskanzler der BRD, die Präsidentin des Deutschen Bundestages, die Fraktionsvorsitzenden des BT, die Parteivorsitzenden des BT, die Ministerpräsidenten der Länder der BRD, die Mitglieder des geschäftsführenden Bundesvorstandes des DGB, die Vorsitzenden der DGB -Mitgliedsgewerkschaften, den Vorsitzenden des Sprecherrates des FDGB, den Vorsitzenden der IG Metall für die DDR

Sehr geehrte Damen und Herren,

der DSU-Entwurf des "Gesetzes zur Enteignung der Grundvermögen von Parteien und Massenorganisationen - Parteien-Enteignungsgesetz -" zielt darauf ab, auch das für die Gewerkschaftsarbeit notwendige Vermögen zu zerschlagen.

Die IG Metall für die Bundesrepublik Deutschland protestiert mit aller Entschiedenheit gegen diesen dreisten Versuch der DSU, die Gewerkschaften in der DDR entschädigungslos zu enteignen.

Dieser Gesetzentwurf ist nach dem in der Bundesrepublik herrschenden Verständnis von Demokratie und Rechtsstaat ein ungeheurer Skandal, der an die finstersten Zeiten der deutschen Geschichte erinnert. Das gilt auch für die Art des Handstreichs, mit dem dieser Gesetzentwurf in letzter Minute vor dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik durchgepeitscht werden soll. Nach den in der Bundesrepublik geltenden Maßstäben kann dieser Gesetzentwurf keinen Bestand haben.

Mit der verfälschenden Gleichstellung von einheitsstaatlichen Parteien und Gewerkschaften wird der Versuch gemacht, der im Aufbau befindlichen Gewerkschaftsbewegung in der DDR die existentiell notwendigen Arbeitsvoraussetzungen zu vernichten.

Wer die Beseitigung von Gewerkschaftshäusern in der DDR will, der muss sich vor den Millionen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern verantworten, aus deren Mitgliedsbeiträgen ihre Gewerkschaftshäuser überhaupt erst errichtet werden konnten.

Mit diesem Ermächtigungsgesetz soll der Aufbau demokratischer Gewerkschaftsarbeit in der DDR im Keim erstickt werden. Wir fordern die verantwortlichen Politiker in der DDR und in der Bundesrepublik auf, den demokratiefeindlichen Versuch der DSU zurückzuweisen, der gegen den Aufbau und die Existenz freier, demokratischer Gewerkschaften gerichtet ist.

Wer diesem Versuch der DSU zum Erfolg verhilft, trägt die Verantwortung dafür, dass den von massenhafter Arbeitslosigkeit bedrohten Frauen und Männern in der DDR ein wirksamer gewerkschaftlicher Schutz versagt wird. Wer den Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland will, der darf sich nicht mit dem Makel beladen, das Koalitionsrecht der Arbeitnehmer in der DDR noch in letzter Minute zu zerschlagen.

Wer ein einiges Deutschland will, der muss alles tun, um eine starke und demokratische Gewerkschaftsbewegung zu erhalten und nicht ihre Existenz zu bedrohen.

Der Versuch der DSU, den Anfang einer demokratischen Gewerkschaftsarbeit in der DDR durch die Zerschlagung aller Vermögenswerte zunichte zu machen, ist ein Angriff auf die freie, demokratische und durch das Grundgesetz geschützte Gewerkschaftsarbeit.

Mit freundlichen Grüßen

Franz Steinkühler, Vorsitzender der IG-Metall für die Bundesrepublik Deutschland (24.8.90)

die tageszeitung, Do. 30.08.1990

Gleichlautende Schreiben erhielten die Präsidentin der Volkskammer der DDR, die Fraktionsvorsitzenden, der Ministerpräsident der DDR, die Parteivorsitzenden/DDR und der Bundeskanzler der BRD, die Präsidentin des Deutschen Bundestages, die Fraktionsvorsitzenden, die Parteivorsitzenden, die Ministerpräsidenten der Länder der BRD sowie die Mitglieder des geschäftsführenden Bundesvorstandes des DGB, die Vorsitzenden der DGB-Mitgliedsgewerkschaften, der Vorsitzende des Sprecherrates des FDGB und der Vorsitzende der IG Metall für die DDR.

Neues Deutschland, Do. 30.08.1990, Jahrgang 45, Ausgabe 202

Briefwechsel zwischen Willi Hoss und Franz Steinkühler

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