"Eine BürgerInnenkammer für Berlin"

Die taz sprach mit Jutta Braband (Vereinigte Linke), 41 Jahre, Modegestalterin, die von der Alternativen Linken Liste als Kandidatin für die Stadtverordnetenversammlung aufgestellt wurde

taz: Den Zusammenschluss von Unabhängigem Frauenverband, Demokratischem Frauenbund Deutschlands, Vereinigten Linken, Alternativer Jugendliste (FDJ, USJV "Rosa Luxemburg", mjv "Junge Linke") und Die Nelken gab es zur Volkskammerwahl nicht. Wie ist die Alternative Linke Liste entstanden?

Jutta Braband: Anliegen der Vereinigten Linken war, in Berlin ein breites linkes Bündnis zu schaffen. Daran gab es einen Mangel, weil sich außer der PDS niemand eindeutig links apostrophiert hatte und nach unserem Verständnis die Zukunft der Politik nicht in Parteien liegt. Mit Bündnis 90 und den Grünen kam kein Zusammenschluss zustande - sie wünschten keine Zusammenarbeit mit der VL. Für die anderen, mit denen wir nun die ALL bilden, traf das nicht zu.

Offensichtlich nehmt ihr euch der Probleme von Frauen, Jugendlichen, Älteren, AusländerInnen und Behinderten besonders intensiv an.

Das klingt so nach "Minderheitenproblematik", obwohl Frauen natürlich keine Minderheiten sind. Es geht um Menschengruppen mit ganz speziellen Problemen, die andere so nicht haben. So unterstützen wir die Frauenbibliothek, das Frauenhaus, arbeiten eng mit dem Schwulenverband zusammen. Der Aspekt der Gleichstellung ist für uns so wichtig, dass wir ihn als einzigen über die Kommune hinausgehenden Punkt mit ins Programm genommen haben, eingeschlossen die Forderung nach dem Recht der Frau auf selbstbestimmten Schwangerschaftsabbruch. Tragischerweise ist auf Regierungsebene anstelle eines Gleichstellungsministeriums das für Frau und Familie installiert worden. Eine sehr enge Sicht, Frau ausschließlich über Familie zu definieren. In Berlin hat der Runde Tisch die Stelle einer Gleichstellungsbeauftragten durchgesetzt, und Petra Tesch kandidiert für uns für die Stadtverordnetenversammlung. Die Verbindung zur Kommunalpolitik stellt sich da sofort wieder her, wenn man an die 32 geschlossenen Betriebskindergärten denkt. Wir müssen die Kommune zwingen, dass sie solche Betriebe auch bestraft, zum Beispiel mit Steuern, damit sie die notwendigen Kindergartenplätze schaffen kann.

In eurem Wahlprogramm steht, dass ihr die Richtung, in die sich Berlin zukünftig entwickeln wird, "durch eine authentische Interessenvertretung der BürgerInnen im Stadtparlament" mitbestimmen wollt. Was heißt das?

Wir setzen uns dafür ein, dass die Stadtverfassung das Recht der BürgerInneninitiativen auf eigenständige Vertretung in einer BürgerInnenkammer festhält. Damit sie ihre Forderungen nicht über die Parteien äußern müssen. Gerade, da Abgeordnete ja nur ihrem Gewissen verpflichtet sein sollen und nicht ihren Wählern, was ich lächerlich finde.

Laut Programm favorisiert die ALL genossenschaftliches und kommunales Eigentum. Schließt das Privateigentum aus?

Nein, wir halten kleines privates Eigentum durchaus für gerechtfertigt, wo es notwendig ist, wie bei den Handwerkern. Aber nur das gesellschaftliche Eigentum in Kommunen kann gewährleisten, dass bestimmte Rechte - zum Beispiel das auf Wohnen - erhalten bleiben. Sozial vertretbare Mieten zu wollen ohne gesellschaftliches Eigentum ist einfach eine Farce.

Wo sind die wichtigsten Felder der Stadtentwicklung?

Uns geht es um die Lebensqualität in Berlin, um die Einheit von In-der-Stadt-leben-und-arbeiten-können. Durch den Zusammenschluss beider Stadtteile wird eine riesige Metropole entstehen, und die Gefahr, dass Investoren die Stadt mit Bürohäusern, Bankhäusern, Verwaltungshäusern zuballern, ist groß. Das alles in einer Stadt, wo Menschen leben, die einkaufen und ihre Freizeit gestalten wollen, wo ihre Kinder aufwachsen sollen... Es muss einfach ein Gegengewicht geben.

Welcher Art?

Wenn beispielsweise das Stadtparlament beschließt, eine Ladenstraße zu errichten, dann müssen BürgerInnen sagen können, nein, wir wollen hier den Kiez gestalten, mit einem Kino, einem Schwimmbad. Und sie brauchen die Möglichkeit, Unterschriften zu sammeln, um ihrer Initiative Nachdruck zu verleihen. Nach unserer Vorstellung müssen in der Innenstadt verkehrsberuhigte Zonen und solche ohne jeden Verkehr geschaffen werden. Aber nicht, indem man Parkhäuser baut, sondern indem man den Verkehr wirklich vermindert.

Interview: Susanne Steffen

aus: taz-Berlin Nr. 3098 vom 04.05.1990

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