Wer sind und was trennt eigentlich die "Linken"?

Die Vergangenheit der PDS, die sie immer wieder einholt, wenn irgendwo aufs neue Korruption und Wahlmanipulation aufgedeckt werden, sie verdeckt das eigentliche Dilemma der Linken. Die Zersplitterung der Linken erscheint nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch vielen Linken selbst als bloßes Abrücken von einer stalinistischen Vergangenheit. In Wahrheit liegen die Ursachen tiefer.

Wer sind eigentlich die "Linken"? Da gibt es Marxisten, Leninisten, Maoisten und Trotzkisten (irgendwo in Tirana auch noch Stalinisten), Anarchisten, Syndikalisten, Sozialisten, Kommunisten, und aus dem Westen kommen penetrant aufdringliche Spartakisten. Sie alle sind mit "ismen" behaftet, betrachten ihre "Lehre" als die einzig wahre, der sie alles unterordnen und durch die sie sich "ganz prinzipiell" von den anderen "...isten" unterscheiden.

Ganz anders bei den "Bürgerlichen". Sie sind entweder Liberale oder Konservative oder eben liberale, freie, christliche oder wie auch immer benannte Demokraten. Da ist kein "ismus." - außer Pragmatismus. Die "Bürgerlichen" lösen praktische Fragen ganz pragmatisch, ohne Rücksicht auf irgendwelche Lehren. Und darum haben die "Bürgerlichen" auch nur geringe Schwierigkeiten beim Zusammenfinden. Sie müssen sich nur über die Prioritäten einigen. Die hängen natürlich stark von der sozialen Basis ab, die die jeweilige bürgerliche Gruppierung vertritt. Das Großkapital setzt die Prioritäten ganz anders als das klein- und mittelständische Unternehmertum oder die Handwerker oder die Landwirte oder die Beamtenschaft. Aber aus praktischen Erwägungen, einfach um des Überlebens willen wird man sich zumeist rasch einig, welche Fragen vorrangig und in Abwägung der Interessen aller Beteiligten wie gelöst werden.

Ganz anders bei den splittrigen "Linken". Sie alle haben eine "weit in die Zukunft weisende" Lehre, eine allseligmachende Vision. Und alles, was sie tun, scheint für die Ewigkeit bestimmt, muss dem Erreichen ihres "fernen Zieles" dienen. Und ohne Rücksicht darauf, ob irgend jemanden außer sie selbst das "ferne Ziel" interessiert, können sie sich darüber, ob dieser oder jener Schritt sie diesem Ziel näher bringt, streiten wie die Kesselflicker.

So ist das heute, und so war das wohl auch schon zu Marx' Zeiten, als sich die Feuerbachianer, Hegelianer, Junghegelianer und wer - was weiß ich noch - in den Haaren lagen. Das hat dann Marx und Engels veranlasst, diesem Scholarenstreit ihre ganz praktische Position gegenüberzustellen: "Wir müssen damit anfangen, dass die Menschen im Stande sein müssen zu leben, um Geschichte machen zu können. Zum Leben aber gehört vor allem Essen und Trinken, Wohnung, Kleidung und noch einiges andere." Und an anderer Stelle bemerken sie, dass "Geschichte" auch abläuft, "ohne dass irgendein politischer oder religiöser Nonsens existiert, der die Menschen noch extra zusammenhalte." (MEW Band 3, Seiten 28 und 30)

Es ist schon erstaunlich, wie so ganz lebensnahe Auffassungen zur Ideologie zu Ersatzreligionen mit Anspruch auf alleinige Wahrheit verkommen konnten. Und dass dieser Anspruch auf alleinige Wahrheit heute vielfache Urständ feiert, verblüfft umso mehr, als wir gerade die Herrschaft einer "alleinigen Wahrheit" hinter uns und als Zusammenbruch eines ganzen Weltsystems mit noch nicht absehbaren Folgen vor uns haben.

Wie wäre es, wenn unsere splittrigen "...isten" zur höchst praktischen Denkweise ihrer geistigen Väter zurückkehrten?! Wie wäre es, wenn sich unsere "...isten" endlich einmal auf ganz praktische Weise der ganz praktischen Sorgen und Nöte, Wünsche und Forderungen all jener annehmen, die mit Kopf und Hand auf den Feldern und in den Betrieben unser aller Existenz sichern, statt sich im Streit um Worte und Begriffe zu verheddern?! Sie können's natürlich auch lassen - dann aber dürfen sie sich nicht wundern, wenn man über sie hinweg zur Tagesordnung übergeht.

Hans S(...), Vereinigte Linke

aus: Neues Deutschland, 45. Jahrgang, Ausgabe 41, 17.02.1990. Die Redaktion wurde 1956 und 1986 mit dem Karl-Marx-Orden und 1971 mit dem Vaterländischen Verdienstorden in Gold ausgezeichnet.

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