"Die können uns ja nicht alle einsperren"

taz: Ein Jahr lang konnten sich Umwelt- und Friedensaktivisten in den Räumen der Umweltbibliothek der Zionsgemeinde relativ ungestört treffen. Dort gab es in der DDR nicht zugängliche Literatur, gut besuchte Infoveranstaltungen und ihr habt eigene Zeitschriften gedruckt. Wie erklärt Ihr Euch, dass der Staat jetzt so massiv gegen Euch vorgeht?

Es war uns klar und jetzt ist es offen zutage getreten, dass der angedeutete Spielraum, den die Friedens- und Umweltkreise über den Sommer gewährt bekommen haben, im Zusammenhang mit dem Berlin-Jubiläum steht. Da die Welt jetzt nicht mehr so konzentriert nach Berlin glotzt, werden diese Freiräume wieder massiv eingeengt.

Zwei von Euch, Wolfgang Rüddenklau und Bert Schlegel, wurden verhaftet. Viele wurden in den letzten Tagen vorübergehend festgenommen, Druckmaschinen wurden bei der Razzia in euren Räumen beschlagnahmt, Privatwohnungen durchsucht. Welche Konsequenzen hat das für eure weitere Arbeit?

Durch die Beschlagnahmung ist die kontinuierliche Arbeit unserer Gruppe nicht gewährleistet. Die Verhaftungen von Wolfgang und Bert treffen uns, aber sie werden die neue Qualität der Arbeit in Friedens- und Umweltkreisen der DDR nicht aufhalten - nur unterbrechen. Die können uns ja nicht alle einsperren.

Ihr werdet also weitermachen?

Ja, die Umweltbibliothek ist ein fester integrierter Teil der Zionsgemeinde. Wir haben viel spontane Solidarität bekommen: Gestern Abend ist ein polnischer Arbeiter gekommen, hat die Hälfte seines Monatslohns gespendet und ist wieder verschwunden. Oder eine junge Frau mit zwei Kleinkindern kommt zur Mahnwache, stellt eine Kerze hin und sagt "ich weiß, was Knast ist."

Glaubt ihr, dass die Stasi eure Arbeit völlig unterbinden will, oder war das ein "Wieder in die Grenzen weisen" - nach einem Sommer der Liberalisierung, mit einem öffentlichen Großtreffen der DDR-Alternativ, Friedens- und Umweltgruppen auf dem "Kirchentag von unten"?

Die wollten sicherlich auch mal ausprobieren, wie die Echos sind, wenn sie gegen uns vorgehen. Man kann unsere Arbeit nicht verbieten, aber man will Grenzen setzen.

Was meinst du, stinkt den DDR-Machthabern am meisten an eurer Arbeit?

Dass wir ein Kommunikationszentrum sind, das unkompliziert ist, wo alles anders abläuft als sonst in der DDR. Alle kennen das doch: Man geht in die DDR zu fünft in ein Lokal, es gibt einen Vierer-Tisch, man darf den fünften Stuhl nicht ranstellen. So `ne albernen Sachen gibt es bei uns nicht. Wir machen Veranstaltungen, da kommen Hunderte von Leuten. Wir ziehen Leute an. Das stinkt denen.

Was sagst du zu dem Vorwurf, dass ihr staatsfeindliche Schriften verbreitet habt?

Wir machen nichts Verbotenes. "Staatsfeindliche Schriften", das ist ein Gummiparagraph und eine Auslegungskiste. Die Umweltblätter sind im September ein Jahr alt geworden, wir haben ungefähr zwölf Ausgaben gemacht, es kann doch nicht erst nach der zwölften Ausgabe behauptet werden, dass wir Staatshetze machen. Wir haben uns doch nicht verändert. Wir haben nicht nur Umweltartikel geschrieben, uns interessiert die Politik in der Sowjetunion genauso. Wir versuchen, keine Zeitung, wie sie hier erhältlich ist, zu sein und auch keine, so wie es im Westen ist, weil für mich beide Arten kein objektives Bild ergeben.

Habt ihr das Gefühl, die Kirche, die ja in der DDR alleine unabhängigen Gruppen Raum gewährt, steht voll hinter euch?

Ich weiß nicht, wie stark der Druck vom Staat auf die Kirche sein wird. Ich weiß noch nicht, inwieweit sich die Kirchenleitung mit uns solidarisiert. Ich denke aber, es ist auch in ihrem Interesse und ihrer Vorstellung von kirchlicher Arbeit, dass sie hinter uns stehen. Es gibt Meldungen, dass Leute, die zum Ökologieseminar der unabhängigen DDR-Ökogruppen am Wochenende in der Zionskirche kommen wollten, festgenommen werden, bzw. Reiseverbot in die Hauptstadt bekommen.

Findet das Seminar trotzdem statt?

Es ist bekannt, dass Leute in der DDR nicht aus ihren Städten oder Bezirken raus dürfen. Wir wollen das Seminar, das sich mit Ökologie in der Industriegesellschaft befasst, dennoch stattfinden lassen. Außerdem wollen wir die Mahnwache vor und in der Zionskirche fortsetzen und die Freilassung von Wolfgang und Bert fordern.

Interview Xaviera Oberrödel

aus taz, 28.11.87

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