Für den stärksten Partner entschieden

Die Automobilbauer in Ludwigsfelde haben für einen Kooperationsvertrag mit Daimler gestimmt / Sie erhoffen sich die Sicherung ihrer Arbeitsplätze

INTERVIEW

Karl R(...) ist seit dem 31. Januar 1990 Vorsitzender der Betriebsgewerkschaftsleitung des IFA Nutzkraftwagenwerks Ludwigsfelde. Rund 10 000 Menschen arbeiten dort, über die Hälfte im "unproduktiven Bereich".

taz: Was hält die Belegschaft von dem geplanten Joint-venture?

R(...): Erst gingen Gerüchte im Werk um, und es kamen immer mehr Kollegen in mein Büro und fragten: Was ist mit meinem Arbeitsplatz? Es gab Gerüchte, dass viele entlassen werden sollten. Ich war bei den Verhandlungen, die seit Januar liefen, nicht dabei. Darum bin ich zum Generaldirektor H(...) gefahren und habe gesagt, dass jetzt alles Mal auf den Tisch müsste. Ende Januar gab es eine erste große Informationsveranstaltung. Damals interessierten sich ja noch Iveco-Magirus (Fiat) und MAN für Ludwigsfelde. Letzte Woche gab es noch eine große Sitzung, und der Generaldirektor hat dort eindeutig erläutert, was jetzt beabsichtigt ist. Anschließend hat die übergroße Mehrheit der rund 600 Anwesenden für eine Zusammenarbeit mit Daimler gestimmt. Viele Kollegen haben sogar gesagt: Jetzt fangt endlich an. Fast alle Kollegen sind der Meinung, dass die wirtschaftliche Kraft von Daimler dazu beitragen wird, ihre Arbeitsplätze zu erhalten; man hat für den stärksten Partner gestimmt.

Sie glauben also nicht, dass es zu Entlassungen in Ludwigsfelde kommen wird?

Nein das glaube ich nicht, auf keinen Fall im Produktionsbereich. Es müssen sogar noch mehr eingestellt werden, damit wir die zwei Produktionsbänder endlich wirtschaftlich effektiv laufen lassen können, die Maschinen ausgelastet werden. Entlassungen wird es sicher im Verwaltungsbereich geben, da waren viel zu viele Leute beschäftigt, die für die Planerfüllung Kennziffern gezählt haben. Aber wenn die Firmen demnächst Steuern an die Kommunen bezahlen, kann endlich die städtische Infrastruktur verbessert werden. Dazu braucht man Leute - ich glaube nicht, dass viele Leute auf der Straße sitzen werden.

Was soll mit den rund 1 000 Vietnamesen, Angolanern und Mosambikanern werden, die jetzt im Schichtdienst eingesetzt sind?

Es wird damit gerechnet, dass nach der Wahl die Verträge, die zwischen den Regierungen und der DDR geschlossen wurden, gekündigt werden. Das bedeutet, dass die Ausländer vermutlich stufenweise in ihre Heimatländer zurückgeschickt werden. Man muss aber sehen, dass die Ausländer bei uns gerade in den Bereichen arbeiten, für die man sehr schwer eigene Arbeitskräfte bekommt. Das wird sich alles ändern müssen. Wir müssen in der Marktwirtschaft ein anderes Verhältnis zur Arbeit bekommen.

Haben Sie vor, die alten Betriebsgewerkschaftsstrukturen durch ein Betriebsverfassungsgesetz zu ersetzen?

Hier hoffen wir auf die IG Metall West-Berlin, damit sie uns informieren. Wir kennen die Möglichkeiten eines Betriebsverfassungsgesetzes noch nicht. Aber irgendwann wird sich ein Kompromiss zwischen den beiden Systemen nicht vermeiden lassen.

Berührt Sie die Tatsache, dass zwischen 1936 und 1945 auf dem Gelände des IFA-Werkes ein Rüstungswerk der Daimler Benz war? Vernichtung durch Arbeit nennt man heute die damalige Behandlung der Zwangsarbeiter.

Dazu kann ich wenig sagen, ich weiß darüber nichts. Zwangsarbeiter gab es doch überall.

Interview: Anita Kugler

aus: taz, 13.03.1990, Berlin lokal

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