Ein Brief brachte die Lawine ins Rollen

BE-Gespräch mit Marlies Oettel, Sprecherin der Ketziner Bürgerinitiative

BE-Gespräch mit Marlies Oettel, Lehrerin in Ketzin und Sprecherin der Ketziner Bürgerinitiative '89

Am 20. und 21. Januar fand in Ketzin ein deutsch-deutsches Umwelt-Aktions-Wochenende statt.

Die Aktion richtete sich gegen die andauernden Müllimporte in die DDR. Wir berichteten darüber bereits in unserer Montagsausgabe. Am Samstag hatten wir die Gelegenheit, ein recht interessantes Gespräch mit der Sprecherin der Ketziner Bürgerinitiative zu führen.

Bauern-Echo: Ein Brief der Ketziner Bürgerinitiative '89 ging vor 8 Wochen an den damaligen Umweltminister Reichelt und brachte eine Lawine ins Rollen. Was ist seitdem geschehen, was haben sie erreicht?

Marlies Oettel: Erst einmal muss ich sagen, dass wir uns freuen, dass dieser Aktionsmonat bisher so viel Resonanz erfahren hat. In den letzten Tagen wurde in Berlin über den Sondermüll verhandelt. Es wurde sogar eine Sondermeldung verbreitet, dass die Sondermüllimporte in die DDR gestoppt werden. Leider wurde diese Meldung wenige Stunden danach dementiert. Aber Wir wissen nun, dass man uns hört und auf unser Problem aufmerksam geworden ist.

Bauern-Echo: Warum haben Sie zu dieser deutsch-deutschen Aktion aufgerufen?

Marlies Oettel: Umweltschutz ist grenzenlos und wir müssen unsere Umwelt, unsere Menschen schützen. Wir müssen etwas dafür tun und darum haben wir uns als Bürgerinitiative hier zusammen mit anderen Umweltgruppen aus Ost und West versammelt.

Bauern-Echo: Wie fing diese ganze Problematik "Mülldeponie" in Vorketzin an?

Marlies Oettel: 1975 wurde der erste Schutt nach Vorketzin geliefert. Bereits 2 Jahre nach Inbetriebnahme dieser Deponie sind Gutachten erstellt worden, mit der Aussage, die Deponie ist nicht einmal als Hausmülldeponie sicher.

Bauern-Echo: Was haben die Verantwortlichen unternommen?

Marlies Oettel: Nichts! Im Gegenteil, es wurde sogar noch Schadstoffmüll geliefert. Eine Firma in Westberlin ist dafür berühmt-berüchtigt, dass sie unter den Hausmüll Gifte mischt, um sie auf diese Art und Weise billig zu entsorgen. Dieses ganze Müllproblem ist ein Geschäft, gegen das wir uns wehren.

Bauern-Echo: ... und unsere Behörden?

Marlies Oettel: Obwohl immer mehr Gutachten besagen, dass diese Deponie die Umwelt und die Menschen enorm gefährdet, verschwanden alle Hinweise an die entsprechenden Stellen in der Schublade.

Bauern-Echo: Was meinen Sie, warum hatten die entsprechenden Stellen in der DDR, in Westberlin und der BRD nichts gegen das Müllproblem in die Wege geleitet?

Marlies Oettel: Das liegt auf der Hand. Für die DDR-Behörden ist der Müllimport ein lukratives Geschäft gewesen, eine Möglichkeit, an die "harte" Währung heranzukommen. Aus dem gesamten Deponiebetrieb in der DDR betrug die Einnahme allein für 1989 170 Mio. DM. Für die BRD und Westberlin war die DDR ein äußerst kostengünstiges Exportland, denn sie konnten auf billige Art und Weise, ohne teure Deponien zu schaffen, ihren Dreck einfach hier abkippen. Und sie konnten hier eine Technologie anwenden, die seit Jahren in der BRD verboten ist.

Bauern-Echo: Welche ist das?

Marlies Oettel: Es Ist seit Jahren verboten, irgendwelche Müll- und Abfallstoffe In Kies- und Tonlöcher abzukippen. Bei uns tat man es wider diesen Wissens doch. Das ist, glaube ich, eine Frage der Politik und nicht der Vernunft.

Bauern-Echo: Wie verhält sich der Senat von Westberlin zum Müllproblem?

Marlies Oettel: Ich bin verwundert über die Haltung des Senats von Westberlin, speziell über die Haltung der Umweltsenatorin, Frau Schreyer. Ihr Umweltbereich hatte es sich doch auf die "Fahne" geschrieben, gegen diesen Müllexport zu sein. Noch im November 1989 forderte Frau Schreyer den Stopp für den Sondermüll in die DDR. Jetzt lehnt sie den notwendigen Stopp ab und ruft voller Angst den Sondermüllnotstand aus. Das ist eine ganz unmögliche Politik auf unsere Kosten. Und Ich möchte ganz deutlich sagen, wir sind keine Schachfiguren im Wahlkampf irgendwelcher Senatoren oder Parteien. Wir wollen eine saubere Umwelt, und dafür kämpfen wir.

(Die Fragen stellte Uwe Zeibig.)

aus: Bauern-Echo, Nr. 22, 26.01.1990, 43. Jahrgang, Tageszeitung der Demokratischen Bauernpartei Deutschlands

Δ nach oben