Die Umbenennung der "Sozialdemokratischen Partei in der DDR (SDP)" in "Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)" und das Bekenntnis zur deutschen Einheit waren die wichtigsten Ergebnisse der Landesdelegiertenkonferenz der Partei in der Berliner Kongresshalle. Mit der Konferenz wurde der Landesparteitag vorbereitet, auf dem die Führungsgremien gewählt und die Programmatik verabschiedet werden sollen.
In der Erklärung zur deutschen Frage heißt es "Wir Sozialdemokraten bekennen uns zur Einheit der deutschen Nation. Ziel unserer Politik ist ein geeintes Deutschland. Eine sozialdemokratisch geführte Regierung der DDR wird die notwendigen Schritte auf dem Weg zur deutschen Einheit in Abstimmung mit der Regierung der Bundesrepublik Deutschland gehen. Was sofort möglich ist, soll sofort geschehen. Eine sozialdemokratische Regierung wird einen Wirtschafts- und Währungsverbund als vorrangige Aufgabe in Angriff nehmen." Die Sozialdemokraten wollten die deutsche Einheit nur mit der Zustimmung aller Nachbarländer. Deren Grenzen seien unantastbar.
In den grundsätzlichen Wahlaussagen der DDR-Sozialdemokraten wird hervorgehoben, Freiheit und Recht seien der beste Schutz für alle Bürger. Die Sozialdemokraten stünden für Demokratie und Rechtstaatlichkeit für Offenheit, Vielfalt und Toleranz. Im Bereich der Wirtschaft wird eine "soziale Marktwirtschaft mit ökologischer Orientierung" angestrebt. Der notwendige radikale Umbau der Gesellschaft werde zumindest in der Übergangsphase auch zu Arbeitslosigkeit führen. Dem solle durch Umschulung, vorzeitige Berentung durch die Einführung des 8-Stunden-Tages begegnet werden.
In einem programmatischen Entwurf werden der grundlegende Umbau des Bankensystems, die Schaffung eines modernen Steuersystems und die Einrichtung von Devisenmärkten gefordert. Als wirksames Instrument zur Ankurbelung der DDR-Wirtschaft werde eine Währungsunion, das heißt eine Anbindung der DDR-Mark an die D-Mark zu einem festen, politisch vorgegebenen Wechselkurs, betrachtet. Zum Thema Interessenvertreter der Werktätigen werden freie, unabhängige Gewerkschaften, gewählte Betriebsräte, ein Betriebsverfassungsgesetz, der Umbau der Sozialversicherung und die Einrichtung einer Arbeitslosenversicherung verlangt.
Die SPD trete für eine ökologische Erneuerung ein. Im Bereich der Sozialpolitik will die Partei in enger Anlehnung an die Schwesterpartei in der BRD "Solidarität als Leitidee für die ganze Gesellschaft erlebbar machen". Erforderlich seien unter anderem Maßnahmen zur Humanisierung der Arbeitswelt und eine Verlängerung der Erziehungszeit für Mütter und Väter auf drei Jahre. Angestrebt werde die Erhöhung der Mindest- und die Abschaffung aller Sonderrenten.
Die demokratische Gesellschaft brauche Öffentlichkeit. Es müssten die rechtlichen Vorkehrungen gegen jede Monopolisierung von Medienmacht getroffen werden. Das staatliche Bildungsmonopol sei zu brechen und alternative Schulbildung zuzulassen.
Zur Rechtsstaatlichkeit gehörten das Prinzip der Gewaltenteilung, Unabhängigkeit der Richter, eine Strafrechtsreform, die Schaffung eines Verfassungsgerichts und der Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Oberstes Ziel im Wahlkampf der SPD sei die Entmachtung der SED, sagte der 1. SPD-Sprecher, Hilsberg. Der 2. Sprecher, Meckel, betonte, Demokratie brauche freie Medien. Dazu müsse der monopolistische Medienkonzern SED beseitigt werden. Fernsehen und Rundfunk sollten vorrangig öffentlich-rechtlich, aber auch privat möglich sein. Der Verleger und Eigentümer könne und dürfe aber nicht vorschreiben, was der Redakteur schreibe oder sende.
Zu den Höhepunkten gehörte die Grußansprache des SPD-Vorsitzenden Hans-Jochen Vogel, der von den 505 stimmberechtigten Delegierten mit starkem Beifall begrüßt worden war. Er mahnte Chancengleichheit für alle demokratischen Kräfte in der DDR an und sicherte den Sozialdemokraten umfassende Hilfe und Unterstützung für den Wahlkampf zu. Vogel sprach sich für einen "freiheitlichen, demokratischen Sozialismus" aus und plädierte dafür, solche Grundelemente deshalb nicht preiszugeben, weil sie wie in den vergangenen Jahrzehnten in der DDR - "pervertiert und verfälscht" worden sind. Das Unrecht, das den Sozialdemokraten in der DDR angetan worden sei, dürfe nicht vergessen werden, sagte Vogel. "Er forderte die Rückerstattung des nach 1945 beschlagnahmten Parteivermögens der SPD.
Grußworte an die Delegiertenkonferenz richteten auch die SPD-Politiker Johannes Rau, Egon Bahr, Walter Momper und Abgeordnete des Europaparlaments sowie Gäste von befreundeten Parteien aus Ungarn, Polen und Schweden. In einem Pressegespräch informierte Rau über die Bildung eines Gemeinsamen Ausschusses für politische Fragen der SPD in der BRD und der SPD in der DDR, der eine Beraterfunktion im Vorfeld der Wahlen ausüben solle. Momper sagte, eine sofortige Wiedervereinigung werde keines der realen Probleme der DDR lösen. Für die DDR sei die ökonomische Frage eine nationale und umgekehrt. Zuerst müsse in der Ökonomie eine Annäherung erreicht werden.
In einem Schreiben an Michail Gorbatschow würdigten die Delegierten dessen "mutige Politik", die bei vielen Menschen Hoffnungen geweckt hat, "dass die globalen Probleme der Menschheit doch noch lösbar sind".
Berliner Zeitung, Mo. 15.01.1990, Jahrgang 46, Ausgabe 12
Eine dreitägige Delegiertenkonferenz der SPD in der DDR beendete am Sonntag in Berlin ihre Beratungen. Die 500 Delegierten hatten am letzten Tag den Entwurf des Statuts sowie Aussagen zu den Mai-Wahlen diskutiert und eine Erklärung zur deutschen Frage angenommen. Die SPD der BRD und Westberlins war auf der Konferenz prominent vertreten. Neben SPD-Vorsitzenden Hans-Jochen Vogel traten auch die Politiker Johannes Rau, Egon Bahr und Walter Momper mit Grußworten an die Delegierten. Hans-Jochen Vogel plädierte dabei am Sonntag für einen demokratischen Sozialismus in der DDR, auch wenn dieser Begriff in den vergangenen Jahrzehnten "pervertiert und verfälscht" worden sei. Er versicherte den Sozialdemokraten in der DDR die aktive Unterstützung in Vorbereitung der Wahlen.
In ihren Wahlaussagen erklärt die Partei, die sich am Sonnabend von SDP in SPD umbenannt hatte, sie bekenne sich zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, zu Offenheit und Toleranz.
Nach heftigen Angriffen auf die SED-PDS wurde ausdrücklich erklärt: Wir werden mit der SED-PDS weder jetzt noch künftig ein Bündnis eingehen.
Neues Deutschland, Mo. 15.01.1990, Jahrgang 45, Ausgabe 12
Nach seiner Grußansprache hat der SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel am Sonntag in der Kongresshalle am Berliner Alexanderplatz am Rande der SPD-Landesdelegiertenkonferenz auf Fragen von Pressevertretern geantwortet. Er erinnerte an die Beschlagnahme und Enteignung des SPD-Parteieigentums im Jahre 1933 durch die Faschisten. Das Thema werde nun politisch aufgegriffen. Wie in Ungarn, der ČSSR und Polen werde es auch in der DDR Auseinandersetzungen um das Vermögen der ehemaligen Staatspartei geben.
Neues Deutschland, Mo. 15.01.1990, Jahrgang 45, Ausgabe 12
Die Erörterung des Statutenentwurfs, Wahlaussagen und eine Erklärung zur deutschen Frage bestimmten am Sonntagvormittag den Verlauf des dritten und letzten Beratungstages der SPD-Landesdelegiertenkonferenz in Berlin. "Wir Sozialdemokraten bekennen uns zur Einheit der deutschen Nation. Ziel unserer Politik ist ein geeintes Deutschland", heißt es in der Erklärung.
Zu den Höhepunkten gehörte die Grußansprache des SPD-Vorsitzenden Hans-Jochen Vogel. Er äußerte die Besorgnis seiner Partei darüber, dass die Zahl jener, die die DDR verlassen, noch immer steigt. Jeder Weggang würde die Kräfte schwächen, "die Demokratie und menschliche Lebensbedingungen in diesem Lande wollen".
Im Bereich der Wirtschaft wird eine "soziale Marktwirtschaft mit ökologischer Orientierung" in der Übergangsphase werde dies auch zu Arbeitslosigkeit führen. Dem solle durch Umschulung, vorzeitige Beratung, durch die Einführung des 8-Stunden-Tages begegnet werden.
Mit einer Gegenstimme und acht Enthaltungen wurde tags zuvor der Erklärung des Parteivorstandes auf der Landesdelegiertenkonferenz zugestimmt, die Langfassung der zuvor beschlossenen Abkürzung des neuen Parteinamens "SDP" mit der Bezeichnung "Sozialdemokratische Partei Deutschlands" festzulegen.
Neue Zeit, Mo. 15.01.1990
Im Entwurf des Grundsatzprogramms wurde der Begriff des "demokratischen Sozialismus" aus dem West-SPD-Programm übernommen. Der Antrag, den Begriff durch "soziale Demokratie" zu ersetzen findet keine Mehrheit.
Lautete gestern das Motto der Landesdelegiertenkonferenz der SPD in der Berliner Kongresshalle noch "Vieles spricht für uns Sozialdemokraten", so wurde über Nacht das Motto in "Alles spricht für uns Sozialdemokraten" umgeschrieben. Die Delegierten sprechen sich für eine Wirtschafts- und Währungsunion mit der BRD aus. Es wird die Einheit der beiden deutschen Staaten befürwortet.