Der stellvertretende Innenminister und Polizeipräsident Generalmajor Dieter Winderlich informierte gestern Medienvertreter des In- und Auslands über die Vorgänge am 15. Januar im ehemaligen MfS-Komplex in der Normannenstraße.
Er teilte mit, dass bereits gegen Mittag zwei anonyme Bombendrohungen auf den Gebäudekomplex eingingen, die von der Polizei sehr ernst genommen wurden. Ab 16.45 Uhr begannen rund 300 Bauarbeiter, den Eingang Normannenstraße zuzumauern. Kurz vor 17 Uhr versammelten sich vor dem Objekt etwa 50 000 Menschen, von denen einige das Eingangstor überkletterten. Bis gegen 17.45 Uhr stieg die Zahl der Versammelten auf 100 000. Während Vertreter der Bürgerinitiativen und der Polizei ständig zur Gewaltlosigkeit aufriefen, öffneten Demonstranten gewaltsam die Tore in der Ruschestraße. Tausende stürmten daraufhin den Komplex und zerstörten u. a. Büros, Inventar und warfen Gegenstände wie Möbel, Akten und Bilder durch die Fenster. Der Frisiersalon, der Buchladen, Küchen und Lagerräume wurden geplündert, Stahlblechschränke seien aufgebrochen und Technik sowie Ausrüstungen gestohlen worden, teilte Winderlich mit.
Er sagte, dass in den Bereich der Spionageabwehr eingebrochen worden sei, jedoch der Quellenschutz nicht angetastet wurde. Es lägen Hinweise vor, dass nicht nur DDR-Bürger eingedrungen waren.
Nachdem der Ministerpräsident der DDR und der Innenminister an Ort und Stelle zur Ruhe und Besonnenheit aufriefen, beruhigte sich die Situation.
Der Polizeipräsident erklärte dann, dass der Gebäudekomplex jetzt durch Vertreter der Bürgerkomitees und der Polizei gesichert wird. Im Auftrag der Generalstaatsanwaltschaft hat die Kripo ihre Ermittlungstätigkeit aufgenommen. Insgesamt seien Schäden in Millionenhöhe zu beklagen.
Die Generalstaatsanwaltschaft habe nach den Ereignissen des Montags angewiesen, Untersuchungen wegen des Tatbestandes der schweren Sachbeschädigung, des Hausfriedensbruchs, des Rowdytums und des Diebstahls von Eigentum zu führen, erklärte Staatsanwalt Gerhard Krüger.
Insgesamt, so wurde mitgeteilt, sind gegenwärtig 10 000 bis 12 000 Mitarbeiter des früheren MfS noch nicht entlassen.
Vertreter der Bürgerkomitees kritisierten das Neue Forum als Veranstalter der Demonstration, weil es entgegen seiner Zusage nicht die 250 Ordner gestellt hatte.
Prof. Jens Reich vom Neuen Forum gab dann eine Erklärung ab. Nach seiner Ansicht waren die unzureichenden Auskünfte der Regierung vor den am Runden Tisch Beteiligten über die Auflösung des Amtes für Nationale Sicherheit ein Grund dafür, dass die ehemalige MfS-Zentrale gestürmt wurde. Das Neue Forum gebe seiner Freude darüber Ausdruck, dass es nicht zu Gewalt gegen Menschen gekommen ist, und bedauere, dass Zerstörung stattgefunden hat. Auseinandersetzungen müssten mit Argumenten, nicht mit Tätlichkeiten geführt werden, hob er hervor.
Eindringlich appellierten gestern auch die SPD und die LDPD an die Bevölkerung, sich nicht zu Akten von Gewalt und Willkür hinreißen zu lassen.
(Berliner Zeitung, Mi. 17.01.1990)
Das Tor wurde nicht gewaltsam von außen, sondern auf Veranlassung von Vertretern eines Bürgerkomitees, die sich bereits auf dem Gelände befanden, von innen geöffnet.