Leipzig (ND). Die radikale Weiterführung des Demokratisierungsprozesses in unserem Land forderten am Montagabend in Leipzig weit über 100 000 Bürger. Sie hatten sich zum Auftakt ihres kilometerlangen Marsches durch den Ring um das Stadtzentrum auf dem Platz zwischen Oper und Gewandhaus versammelt. Dabei bestimmten schwarz-rot-goldene Fahnen das äußere Bild. In Sprechchören und auf Transparenten wurden vor allem die deutsche Einheit sowie der rigorose Bruch mit dem einstigen Herrschaftssystem der SED gefordert.
Vertreter von oppositionellen Parteien und Gruppen sprachen sich für zügigen Fortgang der Demokratisierung sowie gegen Links- und Rechtsradikalismus aus. Die widersprüchlichen Meinungen der Demonstranten widerspiegelten sich in der Tatsache, dass selbst Warnungen vor einer sozialen Gefährdung durch übermäßigen Einfluss kapitalistischer Unternehmer von einem Teil der Zuhörer mit Pfiffen und Rufen "Rote aus der Demo raus" beantwortet wurden, andererseits aber ein Aufruf zur Besonnenheit und Respekt vor andersdenkenden Minderheiten durchaus Beifall erhielt.
Wie schon in den zurückliegenden Wochen waren wiederum Anhänger der Republikaner zu beobachten, die Handzettel und Plakate verteilten.
Halle Nach einer friedlichen Demonstration durch die Innenstadt von Halle fanden sich am Montagabend Zehntausende Hallenser vor dem Fahnenmonument auf dem Hansering zu einer Kundgebung zusammen. Die Veranstaltung war diesmal von der Grünen Partei getragen. Ihr Vertreter Henry Schramm forderte ein Aktionsbündnis aller politischen Kräfte, Gruppierungen und Bürgerbewegungen für die Lebensinteressen der Einwohner der Saalestadt. Es werde viel geredet, doch nichts getan. Tatsachen seien jetzt gefragt. Der Redner verwies auf zahlreiche Betätigungsfelder, so auf die Müllentsorgung und Stadtreinigung. Er forderte vom Rat der Stadt, das vorgesehene Wohnungsamt schnellstens einzurichten.
Vom Ruf nach Toleranz und Fairness in Potsdam bis zum "Rote raus!" in Dresden reichte das Spektrum der Meinungen auf weiteren Demonstrationen, an denen sich auch in Cottbus, Schwerin, Karl-Marx-Stadt, Suhl, Magdeburg und Berlin zahlreiche Bürger beteiligten.
(Neues Deutschland, Di. 23.01.1990)
Berlin (NZ/ADN). Weit über 200 000 DDR-Bürger beteiligten sich in zahlreichen Städten an den schon traditionellen Montagsdemonstrationen. Die größte Zahl war wiederum in Leipzig auf der Straße, wo sich mehr als 100 000 Menschen versammelten.
Die aus vielen Orten angereisten Teilnehmer wurden mit Losungen von SPD, CDU, Demokratischem Aufbruch und anderen konfrontiert. Vorherrschende Themen waren die Ausgrenzung der SED-PDS und der Wunsch nach deutscher Einheit. "Nieder mit der SED" wechselte sich mit Parolen wie "Deutschland, Deutschland!" und der Forderung nach "Volksentscheid für Einigkeit!" ab. Hunderte schwarz-rot-goldene Fahnen, Plakate zur Auflösung und Enteignung der SED-PDS bestimmten das Bild, das zahlreiche in- und ausländische Massenmedien übertrugen.
Eine von vorwiegend jungen Linken betriebene "Gegen-Demo" setzte - nach einer ersten Begegnung mit den Demonstranten vor der Thomaskirche - ihren Marsch in entgegengesetzter Richtung der Hunderttausend fort. Zunehmend erregten sie Missfallen der für deutsche Einheit und gegen "Rote" Demonstrierenden. Vor dem Komplex der Leipziger Universität kam es zur regelrechten Hetzjagd auf die etwa 100 jungen Leute, die sich mit Sprechchören, DDR-Fahnen und Transparenten für linke Positionen bekannten. Eine größere Gruppe aus dem Zug der Montagsdemonstration beschimpfte die Flüchtenden, die sich schließlich in die Uni-Mensa retteten. Augenzeugenberichten zufolge sei es nur dem Auftreten eines Pfarrers zu verdanken gewesen, dass die brisante Situation nicht eskalierte und gewalttätig endete. Er zollte den jungen Linken Mut für ihr Auftreten, gab jedoch zu bedenken, ob dies der rechte Ort und Zeitpunkt für das Bekunden solcher Meinungen sei.
Nahezu ausschließlich schwarz-rot-goldene Fahnen ohne Emblem waren auch in Dresden zu sehen, wo mehrere Zehntausend demonstrierten. Auch dort waren Anti-SED-PDS-Losungen vorherrschend. In Cottbus ging es den Demonstranten neben der Einheit Deutschlands und der Auflösung der SED-PDS in erster Linie um den Umweltschutz.
(Neue Zeit, Mi. 24.01.1990)
Leipzig (ADN). Die Konfrontation während der jüngsten Leipziger Montagsdemonstration hatte am späten Abend ein Nachspiel. Die von vorwiegend jungen Linken betriebene "Gegen-Demo" erregte zunehmend Missfallen der für deutsche Einheit und gegen "Rote" Demonstrierenden. Vor dem Komplex der Leipziger Universität kam es zur regelrechten Hetzjagd auf die etwa 100 jungen Leute, die sich mit Sprechchoren, DDR-Fahnen und Transparenten zur DDR bekannten und sich schließlich in die Uni-Mensa retteten. Augenzeugenberichten zufolge sei es nur dem Auftreten eines Pfarrers zu verdanken gewesen, dass die brisante Situation nicht eskalierte und gewalttätig endete. Er bescheinigte den jungen Linken Mut für ihr Auftreten, gab jedoch zu bedenken, ob dies der rechte Ort und Zeitpunkt für das Bekunden solcher Meinungen sei. An die deutsch-national gesonnenen Kräfte gewandt, fuhr er fort, dass der Ruf des 9. Oktober, an dem es hieß "Keine Gewalt!", auch jetzt gelte und gehütet werden müsse.
(Neues Deutschland, Mi. 24.01.1990)
Ein totaler Ausfall der Mikrofontechnik zwang die Organisatoren der ersten "Berliner Montagsdemo" dieses Jahres zum Abbruch der geplanten Veranstaltung auf dem Alexanderplatz. Hunderte von Berliner Bürgern hatten sich am Montagabend vor der Weltzeituhr versammelt, um Näheres über Programme und Ideen der neuen politischen Parteien und demokratischen Bewegungen zu erfahren. Zahlreiche Demonstranten waren mit selbstgefertigten Plakaten und Transparenten erschienen. Darauf wurde massiv gefordert, der SED-PDS am 6. Mai keine Stimme zu geben.
Als nach einer halben Stunde Mikrofon und Lautsprecher ausfielen, bat ein Sprecher des Bürgerkomitees "Berliner Montagsdemo" die Anwesenden, am kommenden Montag erneut um 18 Uhr auf dem Alex zu erscheinen.
ADN/BZ
(Berliner Zeitung, Di. 23.01.1990)
Der montägliche Demonstrationszug in Bernburg bewegt sich zum Marktplatz.