Berlin (West). Wirtschafts- und Währungsfragen, insbesondere in Hinsicht auf die angestrebte Einigung Deutschlands, standen gestern [23.01.] auf der Tagesordnung der Sitzung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion im Westberliner Reichstagsgebäude. An den Beratungen nahmen der Generalsekretär der CDU der DDR, Martin Kirchner, der Vorsitzende des Demokratischen Aufbruch, Wolfgang Schnur, sowie Vertreter der DSU teil.
Mit großer Zustimmung nahmen die Bundestagsabgeordneten einen Vortrag von Dr. Tyll Necker, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, entgegen. "Bei offenen Grenzen und gleicher Sprache und Staatsangehörigkeit sind die Wirtschaftskreisläufe der Bundesrepublik und der DDR teilweise verkoppelt - ähnlich wie bei siamesischen Zwillingen. Pro Tag ist heute die Zahl der Übersiedler mindestens drei bis viermal so hoch wie vor dem Bau der Mauer 1961! Jedes politische Erdbeben in der Sowjetunion oder ein wirtschaftlicher oder gesellschaftlicher Kollaps in der DDR müssen zu einem Anschwellen der Völkerwanderung in die Bundesrepublik und zu einem Teufelskreis im anderen Deutschland führen", sagte Necker. "Wir wollen und müssen einerseits die Bindung der Menschen an ihre Heimat stärken und zu neuer Hoffnung und einer Aufbruchstimmung in der DDR beitragen. Wir dürfen aber andererseits nicht der SED in die Hände spielen", betonte der Redner.
Necker sprach sich für Privateigentum, die Freiheit wirtschaftlicher Betätigung, gute Reise- und Kommunikationsmöglichkeiten, eine intakte Umwelt sowie Chancen zum Wohlstand für alle in der DDR als Voraussetzung für Aufschwung und Heimatbindung im Osten Deutschlands aus. Als grundlegende Voraussetzung dafür erläuterte der BDI-Präsident einen Fünf-Stufen-Plan für die Wirtschafts- und Währungsunion beider deutscher Staaten.
In ihren Beiträgen sprachen sich die Leipziger Professoren Dr. Lotze und Dr. Nötzold für die soziale Marktwirtschaft aus.
Am Vortag hatte der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Dr. Alfred Dregger, im Fraktionsvorstand erklärt: "Auch in der DDR gibt es nur noch wenige, die dem Ziel der nationalen Einheit widersprechen." Auf die Forderung des Thüringer Landesverbandes, die CDU solle die Regierung Modrow verlassen, bemerkte Dregger: "Ich finde, das ist eine bemerkenswerte Tatsache, die uns hoffen lässt, dass die CDU, wenn auch spät, die Konsequenzen aus der Lage zieht. Es ist nicht zu verkennen, dass in der Ost-CDU sehr gute und einsatzbereite Menschen arbeiten, die mit uns zusammengehen wollen.
Nach der Fraktionssitzung kamen der Vorsitzende der CDU der BRD und Bundeskanzler Helmut Kohl und der Generalsekretär der CDU der DDR, Martin Kirchner, zu einem Gespräch zusammen.
Im Anschluss an die Tagung der Abgeordneten gaben der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende, Dr. Alfred Dregger, und Dr. Wolfgang Bötsch, Vorsitzender der CSU-Landesgruppe im Bundestag, eine Pressekonferenz. Dregger informierte, dass die Fraktion über monetäre und wirtschaftliche Hilfen für die DDR beraten hat. Er gehe von dem Ziel der Föderation der Bundesländer sowie der künftigen Länder in der jetzigen DDR in einem einheitlichen Deutschland aus.
Auf eine entsprechende Frage des Vertreters der "Neuen Zeit" sagte Dr. Dregger, dass gegenwärtig sehr wichtige, intensive Gespräche zur Formierung einer stärkeren politischen Kraft in der DDR stattfinden, wie sie in der Bundesrepublik die CDU/CSU ist. Dr. Bötsch betonte, es gäbe in der DDR christliche Kräfte, die nicht bereit sind, mit der CDU der DDR zusammenzuarbeiten. Wie Dregger jedoch unterstrich, existieren verschiedene Denkmodelle zur materiellen und politischen Unterstützung der christlichen Parteien und bürgerlichen Kräfte in der DDR.
Von unserem Berichterstatter Dr. Norbert Schwaldt
(Neue Zeit, Mi. 24.01.1990)
Im Fünf-Stufen-Plan des BDI-Präsidenten Tyll Necker soll zunächst bis zu den Volkskammerwahlen das Privateigentum an Produktionsmitteln und die Investitionsfreiheit garantiert werden und das Außenhandelsmonopol in der DDR aufgehoben werden.
Durch einen straffen Staatshaushalt und die Privatisierung von Staatsvermögen soll das Geld in der DDR bis zum 30. September 1990 das Geld in der DDR verknappt werden.
Die Preissubventionen in der DDR sollen bis zum 1. Januar 1992 abgeschafft werden. Flexible Wechselkurse im Außenverhältnis. Volle Konvertibilität im Innenverhältnis. Der Austausch zwischen D-Mark und DDR-Mark getestet werden.
Alle DDR-Mark werden bis zum 31. Dezember 1992 gegen D-Mark eingetauscht.