Ministerpräsident Modrow empfing am Donnerstag in seinem Amtssitz den Chef des Bundeskanzleramtes der BRD, Minister Rudolf Seiters. Das Treffen diente der Vorbereitung des Bonn-Besuchs Hans Modrows. Es wurde mitgeteilt, dass dieser am 13. und 14. Februar stattfindet. Die BRD-Regierung gehe davon aus, dass Vertreter der oppositionellen Parteien und Gruppierungen daran teilnehmen, sagte Seiters.
Im Anschluss an ihr Treffen stellten sich Hans Modrow und Rudolf Seiters der in- und ausländischen Presse. Der Kanzleramtsminister bezeichnete das Gespräch als intensiv und offen. Es habe die ganze Bandbreite politischer und wirtschaftlicher Fragen behandelt. Er brachte nochmals zum Ausdruck, dass die BRD-Regierung ein unmittelbares Interesse an der Stabilisierung des Demokratisierungsprozesses in der DDR habe. Sie sei zu einer engen Zusammenarbeit auch auf wirtschaftlichem Feld bereit. Er begrüßte, dass die DDR in den letzten Tagen bei den Wirtschaftsverhandlungen gemacht habe, von denen die BRD-Regierung glaube, dass sie ganz wichtige Schritte darstellen. Er gehe davon aus, dass die angekündigten Kreditvolumen von sechs Milliarden DM (ERP) sehr schnell freigesetzt werden können. Es gäbe nach seiner Ansicht eine gemeinsame wichtige Aufgabe, alles zu tun, die Menschen zum Bleiben in der DDR zu veranlassen. Vom 1. Januar bis zum heutigen Tag seien 42 506 Personen aus der DDR in die BRD übergesiedelt. Niemand, so hob er hervor, könne ein Interesse an einem Aderlass der DDR haben, der die Überwindung der Probleme in der DDR von Tag zu Tag und von Woche zu Woche schwieriger mache.
Hans Modrow würdigte das Bemühen beider Seiten, das bevorstehende Treffen in Bonn konstruktiv vorzubereiten. Für die wirtschaftliche Stabilisierung der DDR 1990 nannte der Ministerpräsident zwei wichtige Ereignisse in den letzten Tagen: die Tagung der deutsch-deutschen Wirtschaftskommission und der Paritätischen Regierungskommission DDR-UdSSR. BRD-Wirtschaftsminister Haussmann hätte sich zufrieden gezeigt über die Voraussetzungen, die für privates Kapital in der DDR geschaffen wurden. Nach seiner Ansicht. sagte Hans Modrow, habe es weder in der DDR noch in der BRD je eine Regierung gegeben, die in so kurzer Zeit und in solchem Umfang gesetzgeberische Arbeit leisten musste, wie das gegenwärtig in der DDR geschehe.
Der Ministerpräsident der DDR setzte sich dafür ein, im Interesse der Bürger beider deutscher Staaten, aber auch der Nachbarn behutsam und verantwortungsvoll an die Fragen beider Staaten heranzugehen. Sie könnten nicht losgelöst vom europäischen Komplex behandelt werden.
Auf eine entsprechende Frage erklärte Minister Seiters, die Bundesregierung sei der Auffassung, dass eine Vertragsgemeinschaft erst nach dem 6. Mai zum Abschluss gebracht werden könne, wenn es ein freigewähltes Parlament in der DDR gebe. Bis dahin müsse aber alles geschehen, was notwendig wäre. Es dürfe weder eine Gesprächs-, Denk- noch Handlungspause geben.
Ministerpräsident Modrow wurde mehrfach nach seiner weiteren Mitgliedschaft in der SED/PDS gefragt. Die Küche, aus der das Gerücht stamme, er Wolle die SED/PDS verlassen, sei nicht neu. Er habe am Runden Tisch am vergangenen Montag seinen Standpunkt erklärt dass er an keine Partei gebunden sei, sondern beim Volk der DDR in Verantwortung stehe. Das hebe nicht auf, dass er Mitglied einer Partei wäre.
Am Abend traf Minister Seiters mit Vertretern der Opposition zusammen.
(Neues Deutschland, Fr. 26.01.1990)
Bei seinem Treffen mit Kanzleramtsminister Rudolf Seiters übergibt Ministerpräsident Hans Modrow einen Entwurf einer Vertragsgemeinschaft zwischen der DDR und der BRD. Dazu eine Liste zu möglichen Industriekooperationen und Joint-ventures. Außerdem wird um Finanzhilfe gebeten.
Modrow wirft der BRD-Seite vor, von der Absichtserklärung von Dresden abgegangen zu sein. Seiters erwiderte, es bleibe bei der grundsätzlichen Bereitschaft der BRD-Regierung entsprechend der Absichtserklärung von Dresden eine Vertragsgemeinschaft zu bilden. Angesichts der veränderten Lage könne der entsprechende Vertrag aber erst nach der Volkskammerwahl abgeschlossen werden. Was vorher geregelt werden könne, solle geregelt werden. Auch Zahlungen seien keinesfalls zu erwarten.