Berlin. BZ - Axel Knack Die kurze und somit schnell zur Einmütigkeit geführte Diskussion zum Statutenentwurf am Ende der zweitägigen Gründungskonferenz des NEUEN FORUM gestern in Berlin kann über eines nicht hinwegtäuschen: Ein Bruch geht quer durch diese Bürgerbewegung.
Was sich am Sonnabend in langwierigen Debatten über Geschäftsordnungs- und Sachfragen hinzog, gipfelte gestern nach teilweise chaotischen Auseinandersetzungen unter den 257 stimmberechtigten Delegierten in mehreren Konferenzunterbrechungen. Reibungspunkte waren hierbei wohl in erster Linie die völlige Neufassung der Programmerklärung in der Frage der deutschen Einheit, als auch die programmatischen Aussagen zur Marktwirtschaft.
So bekennt sich das NEUE FORUM zur Einheit der deutschen Nation. Die friedliche Revolution in der DDR verstehen sie als einen Beitrag zu mehr Demokratie in einem zukünftig geeinten Deutschland. Voraussetzung für einen Volksentscheid über die Einheit der Nation in beiden Staaten sei praktizierte demokratische Selbstbestimmung in der DDR. Einen deutschen Sonderweg, der in die NATO führe, lehne das NEUE FORUM ab.
In der Programmerklärung heißt es, dass das NEUE FORUM als Bürgerbewegung eine politische Plattform für alle Bürger sein will, die unabhängig von Parteien eine konsequente und basisorientierte Demokratisierung anstrebe. Die Bürgerbewegung tritt für eine Marktwirtschaft mit soviel Markt wie notwendig und soviel sozialer Sicherheit wie nötig ein.
Eine erste Zerreißprobe musste dann die Bürgerbewegung durchstehen, als sich in der gestrigen Diskussion zu einem Sofortprogramm die Kräfte polarisierten. Reinhard Schult, einer der Vertreter des NEUEN FORUM am Runden Tisch, brachte es für eine etwa Ein-Drittel-Minderheit auf den Punkt, als er einen Bruch konstatierte zwischen jenen Leuten, die als Unternehmer einen Kapitalismus wie im 19. Jahrhundert anstrebten, und jenen, die eine neue Perspektive für die DDR wollten. Gleichzeitig bemängelte er die Intoleranz des rechten Spektrums in der Bürgerbewegung.
Damit hatte die ohnehin emotionsgeladene Atmosphäre in der Akademie der Künste einen Höhepunkt erreicht. Der Eklat war da, als die mit Reinhard Schult und der gleichfalls für das NEUE FORUM am Runden Tisch sitzenden Ingrid Köppe Sympathisierenden das Plenum zeitweilig verließen.
Nach dieser nicht geplanten, jedoch notwendigen Pause stellte Reinhard Schult fest, dass die Konferenz gezeigt habe, die Situation in der Bürgerbewegung sei genauso desolat wie im gesamten Oppositionsspektrum. Ohne klare politische Vorstellungen sei es unnütz, an den für denselben Abend angesetzten Verhandlungen über eine Regierungsbeteiligung bei Ministerpräsident Modrow teilzunehmen. Er plädierte dafür, sich auf kommunale Arbeit zu beschränken und sich nicht an den Wahlen am 6. Mai zu beteiligen. Rolf Henrich, der dritte Vertreter am Runden Tisch, plädierte unter dem Beifall einer Mehrheit der Delegierten dafür, dass eine Minderheit unter Führung von Schult und Köppe nicht die Mehrheit dominieren dürfe.
Nach erneuter Unterbrechung der Konferenz wurden in einem teilweise kaum noch durchschaubaren Wahlverfahren denn doch noch die Vertreter des NEUEN FORUM am Runden Tisch gewählt. Als Vertreter der Mehrheit erhielten das Vertrauen Heiko Lietz und Werner Schulz. Die drittmeisten Stimmen konnte Reinhard Schult auf sich vereinen, der sich dieses Amt jedoch mit Ingrid Köppe teilen wird.
Eile war nun geboten, um die Vertreter des NEUEN FORUM noch rechtzeitig mit dem Mandat für die Verhandlungen mit dem Premier auszustatten. "Unter gewissen Bedingungen ist das NEUE FORUM bereit, mit der Regierung zu kooperieren, um den 6. Mai zu erreichen", betonte dazu der Versammlungsleiter Prof.Jens Reich. Ihre Mitarbeit boten die Delegierten dabei in der Innen- und Sicherheitspolitik, im Wirtschaftsressort, dabei insbesondere in der Energie- und Umweltpolitik, sowie in der Justiz und der Generalstaatsanwaltschaft an.
Ohne lange Debatten wurde zum Abschluss der Gründungsversammlung ein Republiksprecherrat bestätigt, dem jeweils ein Vertreter jedes Bezirkes angehört. Dieser Rat soll einmal pro Woche tagen. Ebenfalls benannt wurde ein Schlichtungsausschuss aus fünf Mitgliedern. Um das Wahlprogramm der Bürgerbewegung beschließen zu können, soll der Wahlkongress des NEUEN FORUM spätestens Anfang März stattfinden.
Ob bis dahin jedoch der an diesem Wochenende erkennbar gewordene deutliche Riss quer durch die Bürgerbewegung nicht zu zersprengen droht, bleibt fraglich. Noch halfen dramatische Appelle zum Zusammenhalt von Bärbel Bohley und eine moderate Tagungsleitung durch Prof. Reich. Doch der Vertreter des sogenannten Linken Flügels Reinhard Schult hat schon zu einer Sonderkonferenz dieser Kräfte in zwei Wochen in Berlin aufgerufen.
(Berliner Zeitung, Mo. 29.01.1990)
Käthe Reichel (Deutsches Theater, Berlin)
Man kann doch die Leute, die das NEUE FORUM gegründet haben und so fabelhaft am Runden Tisch arbeiten, jetzt nicht vom konservativen Flügel abwählen lassen. Mir kommt das vor wie 1937, als Stalin das Leninsche Politbüro an die Wand gestellt hat.
(Die Andere Zeitung Berlin Nr. 2)
Petra Kelly (Die Grünen, BRD)
Ich war enttäuscht über die Diskussion zur deutschen Frage. Ich hatte viel mehr Kritik zum jetzigen Europa erwartet. Zum Beispiel der Vorschlag im Europa-Parlament, dass die DDR in die EG und in die NATO gehen soll, müsste Euch doch in einem Aufschrei einigen - das darf es in einem vereinigten Deutschland nicht geben! Kein Versuch zur Eigenständigkeit - ich hörte immer die Töne von Kohl. Davor bekomme ich Angst, denn ihr werdet erstickt werden vom unterschwelligen Druck dieses Staates BRD. Ich denke, der Westen hat Osteuropa keine Chance zur Selbständigkeit gegeben.
(Die Andere Zeitung Berlin Nr. 2)