"Mir scheint es gibt ein gewisses Einvernehmen darüber bei den Deutschen in Ost und West sowie bei den Repräsentanten der vier Mächte, dass die Vereinigung der Deutschen niemals und von niemandem prinzipiell in Zweifel gezogen wird." Das erklärte der sowjetische Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow am Dienstagvormittag vor Beginn seiner Gespräche mit DDR-Ministerpräsident Hans Modrow in Moskau. Zugleich sprach er sich für verantwortungsvolles Handeln aller Beteiligten aus.
Der Verlauf der gegenwärtigen Ereignisse in der Welt, in Europa, in der Sowjetunion und in der DDR mache es erforderlich, diesen Prozess genau zu durchdenken. Die Zeit beginne darauf einzuwirken und habe ihn ganz offensichtlich beschleunigt. "Aber ich denke, das ist ein sehr wichtiger Funkt in der europäischen und in der Weltpolitik. Wir alle, in der DDR und in der BRD und davon bin ich überzeugt - in allen europäischen Hauptstädten und erst recht in denen der vier Mächte, müssen verantwortungsvoll handeln."
Gorbatschow setzte fort: "Ich meine, auch die Deutschen in der BRD und in der DDR brauchen es, dass diese wichtige Frage, die ihr Schicksal und das anderer Völker Europas betrifft, eben verantwortungsvoll gelöst wird. Ich denke, sie darf nicht auf der Straße gelöst werden."
Die Ausgangspunkte seien klar. "Es gibt", betonte der sowjetische Partei- und Staatschef, "zwei deutsche Staaten, es gibt die Verpflichtungen der vier Mächte, es gibt den europäischen Prozess - und auch der verläuft stürmisch. All das muss in Einklang gebracht werden. Das liegt in unserem gemeinsamen Interesse. Auf gar keinen Fall dürfen die Interessen der Deutschen geschmälert werden, denn ich bin für einen realistischen Prozess." Schon oft habe er gesagt, dass die Geschichte entscheiden werde. Bereits jetzt, so glaube er, bringe sie ihre Korrekturen ein.
Hans Modrow bestätigte im Anschluss an seine Gespräche auf einer internationalen Pressekonferenz: "Die Perspektive einer Vereinigung liegt vor uns." Sie sei im Rahmen eines europäischen Prozesses zu sehen. Bedingt durch historische, gesellschaftliche und ökonomische Realitäten sei davon auszugehen, dass dieser Prozess in Etappen verlaufen werde und im Interesse der Deutschen in beiden Staaten liege.
(Neues Deutschland, Mi. 31.01.1990)
Michail Gorbatschow äußerte den Eindruck, dass sich die Mehrheit in der DDR nach wie vor für den Erhalt ihres Arbeiterstaats einsetze.
Hans Modrow meinte, der Gedanke der Zweistaatlichkeit werden von einem wachsenden Teil der Bevölkerung nicht mehr mitgetragen. Er legte eine Konzeption mit dem Titel "Für Deutschland einig Vaterland" vor. Der spontane Prozess solle unter Kontrolle gebracht und möglicherweise abgebremst werden.
Wenn wir jetzt nicht versuchen die Initiative zu übernehmen, werde die andere Seite ihre Vorstellungen rasch durchsetzen.
Helmut Kohl und Willy Brandt beuten die gegenwärtige Entwicklung in der DDR parteipolitisch in ihrem Sinne aus, stimmten Modrow und Gorbatschow überein.
Helmut Kohl sei in bestimmten Maße darüber besorgt, dass sich die SPD in der DDR stärker etablieren könnte, meinte Michail Gorbatschow.