Seit gestern hat die DDR eine Regierung der Nationalen Verantwortung. Persönlichkeiten von acht neuen Parteien und Vereinigungen wurden von der gestern in Berlin tagenden Volkskammer auf Vorschlag von Premier Modrow ins Kabinett gewählt. In der wenig mehr als zweistündigen Parlamentsdebatte bestätigten die Abgeordneten den eigentlich von niemandem mehr angezweifelten Termin für die Wahlen zur Volkskammer am 18. März. Nach teilweise kontroverser Debatte wurde mit nur einer Gegenstimme die Tätigkeit der Republikaner auf dem Territorium der DDR für unzulässig erklärt.
Das gilt auch für Nachfolge- und Ersatzorganisationen unter anderem Namen, die die gleichen Ziele anstreben. Damit sollen bis zu einer gerichtlichen Entscheidung über die Verfassungsfeindlichkeit der Republikaner schon jetzt deren Aktivitäten unterbunden werden.
Zu Beginn der Tagung hatte Ministerpräsident Modrow die Notwendigkeit der Einbindung der oppositionellen Kräfte in die Regierungsarbeit erläutert. Das Land sei nur noch in erweiterter Verantwortung regierbar. Modrow forderte die Bürger der DDR auf, alles zu unterlassen, was der Wirtschaft, der Versorgung und Betreuung der Bürger schade. Wer sich mit volkswirtschaftlichen Verlusten einen Weg bahnen wolle, den müsse man darauf aufmerksam machen, dass Autodemonstrationen und Streiks zu nichts Gutem, sondern nur zur Verschlechterung der eigenen Situation führten.
Die Abgeordneten bestätigten folgende zusätzliche Mitglieder des Ministerrates ohne Geschäftsbereich: Tatjana Böhm (Unabhängiger Frauenverband), Rainer Eppelmann (Demokratischer Aufbruch), Sebastian Pflugbeil (Neues Forum), Matthias Platzeck (Grüne Partei), Gerd Poppe (Initiative Frieden und Menschenrechte), Dr. Walter Romberg (Sozialdemokratische Partei Deutschlands), Klaus Schlüter (Grüne Liga), Dr. Wolfgang Ullmann (Demokratie jetzt). Damit sind nun insgesamt 13 Parteien und Gruppierungen in der Regierungsverantwortung.
In erster Lesung behandelten die Parlamentarier den Gesetzentwurf über die Kommunalwahlen am 6. Mai. Er unterscheidet sich vom Gesetz über die Wahlen zur Volkskammer grundsätzlich dadurch, dass am 6. Mai im Gegensatz zum Verhältniswahlrecht ein Mehrheits- oder Personenwahlrecht zur Anwendung kommen soll. Es wurde vorgeschlagen, den Gesetzentwurf am 12. Februar zu veröffentlichen und die Aussprache dazu bis zum 24. Februar zu führen. So könnte die gesetzliche Frist zur Ausschreibung der Kommunalwahlen - 60 Tage vorher - eingehalten werden.
In Anbetracht der Kürze der Zeit bis zur Volkskammerwahl wurde in Übereinstimmung mit dem Runden Tisch vorgeschlagen, auf das Sammeln der jeweils eintausend Unterschriften für die Zulassung zu den Wahlen zu verzichten.
Außerdem fassten die Abgeordneten einen Beschluss, der bis zum Inkrafttreten eines Mediengesetzes die Meinungs-, Informations- und Medienfreiheit sichern soll. Darin ist das Verbot jeglicher Zensur festgeschrieben. Ebenso aber auch, die Medien für Kriegshetze, für Rassen- und Völkerhass, für Aufrufe zur Gewalt sowie für militaristische und faschistische Propaganda zu missbrauchen. Betriebe und Institutionen sind verpflichtet, alle Auskünfte für wahrheitsgetreue Informationen zu erteilen. Bis zum 12. Februar soll ein Medienkontrollrat gebildet werden, in dem alle Fraktionen der Volkskammer und die Vertreter des Runden Tisches Sitz und Stimme haben. Rundfunk, Fernsehen und ADN wurden als unabhängige öffentliche Einrichtungen deklariert.
Anschließend begründete Justizminister Wünsche umfangreiche Änderungen am geltenden Strafrecht. Umstrittene Paragraphen der Vergangenheit, wie ungesetzliche Verbindungsaufnahme, staatsfeindlicher Menschenhandel oder landesverräterische Nachrichtenübermittlung, sollen ersatzlos gestrichen werden. Sämtliche Änderungen dienen dazu, das Strafrecht der DDR mit entsprechenden völkerrechtlich verbindlichen Verpflichtungen internationaler Konventionen in Einklang bringen. Es sollen aber auch neue Paragraphen hinzukommen.
Und wieder gab es Novitäten im Hohen Haus. Nachdem Mandatsveränderungen schon zur schönen Regel geworden waren, gab es diese diesmal nicht. Dafür waren jedoch nur drei Viertel der Abgeordneten zur Kammertagung erschienen. Gleich nach der Modrow-Erklärung zu Beginn der Tagung verordnete Volkskammerpräsident Maleuda der Tagung eine Zwangspause. Der Grund: Jemand hatte mit der Explosion einer Bombe gedroht.
Von unseren Berichterstattern Rainer Stephan und Axel Knack
(Berliner Zeitung, Di. 06.02.1990)