Bundeskanzler Helmut Kohl sagte vor dem deutschen Bundestag: "Meine Damen und Herren, die Lage hat sich deutlich zugespitzt. Die politischen Parteien und Gruppierungen in der DDR am sogenannten Runden Tisch haben der Bundesregierung für das Gespräch zwischen dem Ministerpräsidenten und mir ein Positionspapier übermittelt, in dem sie von einer 'Lage' sprachen, 'die durch rasche Destabilisierung gekennzeichnet ist'.
Für uns werden die zunehmenden Probleme insbesondere durch den anhaltend großen Zustrom von Übersiedlern deutlich: Ihre Zahl belief sich 1989 auf insgesamt rund 340 000. Seit Jahresbeginn, also in wenigen Wochen, sind rund 85 000 hinzugekommen. Wenn sich dieser Zustrom in diesem Monat fortsetzt, werden wir am Monatsende über 100 000 Übersiedler haben. Ich will das noch einmal im Beispiel verdeutlichen: Das entspricht der Einwohnerzahl der Stadt Dessau."
(Deutscher Bundestag, Stenographischer Bericht, 197. Sitzung, 15. Februar 1990)
Der SPD-Vorsitzende sagte in seiner Rede: "Der internationale, der europäische Aspekt der deutschen Einigung ist wichtig, noch wichtiger aber ist, dass wir die Einheit auf den Gebieten, die für das tägliche Leben der Menschen von Bedeutung sind, nämlich auf dem Gebiet der Währung, der Wirtschaft, der sozialen Sicherheit, des Verkehrs und der Umwelt, bereits vorbereiten und organisieren, solange die bündnisrelevanten Fragen noch Gegenstand der Verhandlungen sind.
Hinsichtlich der von uns schon lange geforderten Währungsunion ist zu Beginn dieser Woche mit der Einsetzung einer Expertenkommission endlich ein Anfang gemacht worden.
Zur Entwicklung eines konkreten Konzeptes auf all diesen Gebieten sollten nach den Wahlen vom 18. März 1990 unverzüglich sowohl eine gemeinsame Parlamentskommission des Bundestages und der Volkskammer als auch eine gemeinsame Kommission der beiden Regierungen gebildet werden. Dabei, meine Damen und Herren, müssen die demokratisch legitimierten Organe der DDR Gelegenheit haben, ihre Vorstellungen und ihre Wünsche in vollem Umfang einzubringen,
(Beifall bei der SPD)
etwa die Vorstellung über ein Bodenrecht, das besser ist als das unsere,
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
oder über Sicherungen für berufstätige Frauen, die über die unseren hinausgehen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Notwendig ist bei alldem insbesondere die soziale Flankierung, d. h. die Absicherung der Rentner und Arbeitslosen, aber auch die Bildung von Betriebsräten, die die Interessen der Arbeitnehmer auf betrieblicher Ebene wirksam zur Geltung bringen können.
Es geht eben nicht um den Anschluss eines herrenlosen Territoriums, es geht um die Vereinigung mit Menschen, die sich selbst die Freiheit erkämpft haben und über Erfahrungen verfügen, die sie uns voraus haben.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der GRÜNEN und der FDP)
Das alles muss im partnerschaftlichen Geiste geschehen.
(Zuruf von der SPD: Kein Anschluss!)"
(Deutscher Bundestag, Stenographischer Bericht, 197. Sitzung, 15. Februar 1990)
Frau Matthäus-Maier (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auf der letzten Montagsdemonstration in Leipzig konnte man ein Plakat sehen, auf dem stand: "Kommt die D-Mark, bleiben wir, kommt sie nicht, gehn wir zu ihr." Das trifft den Kern, warum wir Sozialdemokraten in Ost und West seit Wochen für eine deutsch-deutsche Währungsunion mit der Einführung der D-Mark in der DDR eingetreten sind. Das wäre für die Menschen ein überzeugendes Signal zum Bleiben und beim wirtschaftlichen, ökologischen, politischen und sozialen Aufbau ihrer Heimat mitzuarbeiten.
(Beifall bei der SPD)
Wir begrüßen es, dass die Bundesregierung unseren Vorschlag jetzt aufgegriffen und der DDR beim Besuch von Ministerpräsident Modrow eine Währungsunion angeboten hat. Wir hoffen, dass in den nächsten Wochen die notwendigen Vorbereitungen so zügig geleistet werden, dass die D-Mark-Währungsunion möglichst rasch nach der Wahl am 18. März in Kraft treten kann.
Dabei ist aber sicherzustellen:
Erstens. Die D-Mark Geldmenge für die DDR muss so bemessen werden, dass die Stabilität unserer D-Mark gesichert bleibt.
Zweitens. Eine Bestandsgarantie für Sparguthaben ist möglich und erforderlich.
(Stratmann [GRÜNE]: Zu welchem Kurs?)
Drittens. Angesichts des niedrigen Rentenniveaus in der DDR müssen die Renten nach der Währungsumstellung deutlich erhöht werden.
Viertens. Der Strukturwandel in der DDR muss sozial flankiert werden, durch Anpassungshilfen für Unternehmen, durch eine Umschulungs- und Qualifizierungsoffensive, durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und durch den Aufbau einer Arbeitslosenversicherung.
Fünftens. Die notwendigen Wirtschaftsreformen, weg von der Kommandowirtschaft, hin zu mehr Markt, die die Regierung Modrow nur allzu zögerlich betreibt, sind energisch durchzuführen. Sie müssen zu einer sozialen und ökologischen Marktwirtschaft führen, die unsere sozialdemokratischen Freunde in der DDR schon bei ihrer Gründung vor dem Fall der Mauer noch in der Illegalität als erste gefordert haben, Herr Waigel, zu einem Zeitpunkt, als Ihre Schwesterpartei als Blockpartei
(Uldall [CDU/CSU]: Zum Zeitpunkt, als die SPD noch dagegen war!)
noch alles in der SED unterstützt und die Marktwirtschaft verteufelt hat.
(Beifall bei der SPD)
(Deutscher Bundestag, Stenographischer Bericht, 197. Sitzung, 15. Februar 1990)